Die Vollversammlung der Bischöfe in Freiburg setzt neue Maßstäbe

Oberhirten im Dauerstress

Mehr Aufregung bei einer Vollversammlung der katholischen Bischöfe war selten. Statt der geplanten bedächtigen Grundsatzdebatten überschlugen sich in dieser Woche die Ereignisse: Die katholische Kirche entschuldigte sich im sexuellen Missbrauchsskandal erstmals bei allen Opfern - gleichzeitig gab es weitere Enthüllungen und Vorwürfen.

Autor/in:
Volker Hasenauer
 (DR)

Dann eskaliert der Streit zwischen Kirche und Bundesjustizministerin, die den Kirchenführern den Willen zur vollständigen Aufklärung der Missbrauchsfälle abspricht. Dies empört den Konferenzvorsitzenden Erzbischof Robert Zollitsch, der sichtlich verärgert Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zum Dementi aufruft und ihr dafür ein Ultimatum setzt. Zwar widerruft die Ministerin nicht, immerhin will sie den Streit in einem persönlichen Gespräch mit Zollitsch ausräumen. Zuvor protestierte die Kirche auch bei der Bundeskanzlerin. "Es blitzt und donnert zwischen Staat und Kirche", kommentiert die "Süddeutsche Zeitung".

Schließlich muss die katholische Seite am Mittwoch aus der Ferne beobachten, wie ihre erste Ansprechpartnerin auf evangelischer Seite, die EKD-Ratsvorsitzende Bischöfin Margot Käßmann, im Blitzlichtgewitter mit einer berührenden Erklärung zu ihrer Trunkenheitsfahrt von allen kirchlichen Führungsämtern zurücktritt. Das so vermittelte Bild einer zeitgleichen moralischen Krise in der Führungsriege beider großer Kirchen beunruhigt auch die katholischen Bischöfe.

Hunderte Journalisten - mehr als sonst
Dass mehr als hundert Journalisten und ein Dutzend Fernsehteams das als Pressezentrum dienende Freiburger Priesterseminar bevölkerten, war vor allem dem Missbrauchsskandal geschuldet, der in den letzten Wochen ausgehend vom Berliner Canisius-Kolleg eine Lawine ins Rollen brachte.

Mit Entschuldigungen und dem Hinweis auf ihre Richtlinien von 2002 sagt die Kirche umfassende Aufklärung zu und tritt zugleich Generalverdächtigungen entgegen. Nach mehrwöchigem Schweigen entschuldigt sich auch der Vorsitzende Zollitsch bei den Opfern mit klaren Worten, die er sichtlich nervös vom Blatt abliest. Er spricht von abscheulichen Verbrechen und schwerer Sünde. Zudem sagen die Bischöfe zu, die vollständige Aufarbeitung der zumeist mehrere Jahrzehnte zurückliegenden Fälle zur Chefsache zu machen und bereits im März bei Papst Benedikt XVI. vorzubringen.

Zu größeren Protestaktionen kommt es am Rande der Konferenz nicht.
Nur eine eher kleine Gruppe enthüllt im Schatten des Freiburger Münsters gelbe "Bischöfe, stoppt den sexuellen Missbrauch!"-Spruchbänder. Eine Demonstrantin berichtet vom Suizid ihres Vaters als Spätfolge sexuellen Missbrauchs.

Sonderbeauftragten für sexuelle Missbrauchsfälle
Wichtigstes Ergebnis der Beratungen zu den Missbrauchsfällen ist die Ernennung des Trierer Bischofs Stephan Ackermann (46) zum ersten nationalen Sonderbeauftragten für sexuelle Missbrauchsfälle. Unter seiner Führung wird bei der Bischofskonferenz ein zentrales Büro zur Koordinierung aller Aktivitäten geschaffen. Und die katholische Kirche richtet eine zentrale Telefon-Hotline ein.

Die Einrichtung des zentralen Büros ist Teil eines  Vier-Punkte-Plans, der für eine umfassende Aufklärung, eine Überprüfung der bestehenden kirchlichen Richtlinien und für mehr Prävention sorgen soll. Eine von Kritikern geforderte verbindliche Anweisung, bei Verdachtsfällen künftig automatisch die Staatsanwaltschaft einzuschalten, beschließt die Bischofskonferenz in Freiburg nicht.

Die weiteren Themen des Bischofstreffens finden in der aufgeheizten Missbrauchsdebatte kaum Gehör. Auch wenn die Bischöfe pflichtbewusst alle Punkte der Tagesordnung abarbeiteten: So die Neubewertung des deutschen Afghanistan-Einsatzes; die Suche nach Rezepten, um im Schatten des demografischen Wandels das Auseinanderdriften der Gesellschaft zu verhindern; die Beratungen über eine Neuübersetzung des Neuen Testaments; die Neugestaltung der kirchlichen EU-Kontakte nach Inkrafttreten des Lissabon-Vertrags oder der Widerstand gegen befürchtete staatliche Eingriffe in die kirchliche Freiheit an theologischen Fakultäten.