Missbrauchsskandal entzweit Bischofskonferenz und Bundesregierung

Ultimatum und Brief an die Kanzlerin

Der Streit zwischen Bischofskonferenz und Bundesregierung spitzt sich zu: In ungewohnt harschen Worten hat Erzbischof Robert Zollitsch Sabine Leutheusser Schnarrenberger falsche Tatsachenbehauptungen vorgeworfen. Zugleich stellte er der Bundesjustizministerin ein Ultimatum. Hintergrund ist die Missbrauchsaffäre. Die FDP-Politikerin wirft der Kirche vor, zu wenig an Aufklärung interessiert zu sein.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
 (DR)

Mit einem beispiellosen Gegenangriff hat die katholische Kirche in Deutschland auf schwere Vorwürfe von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) reagiert. Sichtbar erregt und verärgert forderte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, am Dienstag in Freiburg die Ministerin auf, ihre Behauptungen über eine mangelnde Kooperation der Kirche mit den Strafverfolgungsbehörden bei Missbrauchsfällen zurückzunehmen.

Dafür stellte er, auch dies ein einmaliger Vorgang, der Justizministerin öffentlich ein Ultimatum von 24 Stunden. Aus Kreisen der in Freiburg tagenden Vollversammlung der katholischen Bischöfe hieß es dazu, die Fristsetzung sei ein notwendiger Schritt, um eventuell mit einer Unterlassungsklage dafür zu sorgen, dass die Ministerin ihre Behauptungen aus dem Tagesthemen-Interview vom Montagabend nicht mehr wiederhole.

Novum der bundesdeutschen Rechtsgeschichte
Sollte es eine erfolgreiche Unterlassungsklage gegen die Justizministerin geben, wäre auch dies vermutlich ein Novum der bundesdeutschen Rechtsgeschichte. Zollitsch und seine Mitbrüder hatten am späten Montagabend, einige erst am Dienstagmorgen, von den Äußerungen der FDP-Politikerin erfahren. Erst nachdem er die Abschrift des gesamten Wortlauts studiert hatte, entschloss sich Zollitsch, den Rechtsweg einzuschlagen und gleichzeitig alle politischen Register zu ziehen, die ihm zu Gebote stehen.

Leutheusser-Schnarrenberger hatte in der ARD gesagt, die katholische Kirche erwecke bislang nicht den Eindruck, dass sie auch nur bei Verdachtsfällen mit den Strafverfolgungsbehörden konstruktiv zusammenarbeiten wolle. "Es ist leider bisher nicht ersichtlich, dass sie ein aktives Interesse an wirklich rückhaltloser und lückenloser Aufklärung gezeigt haben, und deshalb muss natürlich überall da, wo nicht verjährt ist, das ganz klar erfolgen."

Die Entscheidung zum kirchlichen Gegenangriff fiel offenbar nach einer ersten Phase der Verärgerung und des "blanken Entsetzens darüber, dass sich eine Ministerin so unsachlich äußern kann". Dann aber folgte man einem klaren politischen und verfassungsrechtlichen
Kalkül: "Wir müssen zeigen, dass es eine Grenze gibt, die man nicht überschreiten darf", fasste ein Konferenzteilnehmer die Überlegung zusammen. Die Kirche könne sich nicht alles bieten lassen.

Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel
Parallel zum juristisch motivierten Ultimatum bemühte sich Zollitsch um ein Telefonat mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), das allerdings bis zum Dienstagmittag zunächst nicht zustande kam. Einen vergleichbaren Krisenkontakt hatte es zuletzt vor rund einem Jahr gegeben, als Zollitsch und die Kanzlerin nach Merkels öffentlicher Papstschelte auf dem Höhepunkt der Williamson-Affäre miteinander sprachen. Damals hatte die Kanzlerin Zweifel an der Haltung des Papstes und der katholischen Kirche zum Antisemitismus angedeutet.

Das Verhältnis zwischen der katholischen Kirche und Merkel hat sich nie ganz von den damaligen Verstimmungen erholt. Der aktuelle Frontalangriff der Justizministerin auf die Bischöfe und die harte Replik von Zollitsch setzen die Kanzlerin nun auch innerparteilich sowie in ihrer Koalition unter Druck. Distanziert sie sich nicht von Leutheusser-Schnarrenberger, dürfte die unterkühlte Distanz der alten katholischen Kerntruppen der CDU zu ihrer protestantischen Vorsitzenden noch einmal weiter zunehmen. Ruft sie aber die Justizministerin zur Ordnung, verschlechtert sie das ohnehin schon angeschlagene Koalitionsklima zwischen der CDU und den Liberalen.

Bei einem solchen Dilemma spricht manches für die bewährte Strategie des Aussitzens. Aus dem Kanzleramt war denn auch erst einmal inoffiziell zu hören, man halte die Äußerungen der Ministerin zwar für streckenweise unglücklich, sehe aber keinen hinreichenden Grund, dagegen vorzugehen.