Hyksos: Aggressive Invasoren oder Profiteure eines Machtvakuums?

Historische Fake News um legendäres Volk

Wer war dieses mysteriöse Eroberer-Volk, das für ein Jahrhundert die Herrschaft am Nil an sich riss und dann wieder verschwand. Archäologen und Historiker rätseln schon lange. Eine neue Studie gibt einige Antworten.

Judäische Wüste / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Judäische Wüste / © Elisabeth Schomaker ( KNA )

Ihre Geschichte zählt zu den großen Rätseln der
Antike: Da kam ein gefürchtetes Eroberer-Volk vor 3.500 Jahren irgendwo aus dem Nahen Osten, fiel in Ägypten ein, verdrängte die Pharaonen, riss für ein Jahrhundert (1638-1530) die Herrschaft am Nil an sich (15.-17. Dynastie) und verschwand ebenso plötzlich wieder vom Radar. Das Schicksal der Hyksos fasziniert Historiker und Archäologen. Jahrzehntelang erforschen sie schon die alte Hauptstadt Avaris im östlichen Nildelta.

Kreative Bibelforscher vermuteten sogar eine Verbindung zu den Israeliten. Denn auch diese zogen aus dem Land Kanaan ins Nildelta, machten am Herrscherhof Karriere, fielen dann aber in Ungnade und brachen ebenso überstürzt wieder auf zum "Exodus" ins Gelobte Land. Doch nach jüngsten Forschungen soll die Geschichte der Hyksos gar nicht so spektakulär gewesen sein, wie Historiker über Jahrhunderte vermuteten.

Aggressive Eroberer?

Schon in der Antike stellten Schriftsteller sie als aggressive Eroberer und barbarische Räuber dar. Wie die Wissenschafts-Onlinezeitschrift "Plos one" (Mittwoch) darlegt, waren die Hyksos weder ein einheitliches Volk aus der Levante noch eine Horde mysteriöser Invasoren, die plötzlich am Nil einbrachen. Vielmehr handelte es sich um Einwanderer, die sich in einem jahrhundertelangen Migrationsprozess aus verschiedenen Teilen des Nahen Ostens in Ägypten niedergelassen hatten. Sie waren dort zur neuen Elite aufstiegen, übernahmen in der Unruhephase und dem Machtvakuum der "Zweiten Zwischenzeit" vorübergehend die Regierung, bevor dann die einheimischen Pharaonen wieder die Oberhand gewannen und die Fremden vertrieben.

Schon die archäologischen Grabungen in Avaris beim heutigen Tel el-Daba hatten keine Anzeichen für Zerstörungen ergeben, wie sie zu erwarten gewesen wären. Allerdings zeugten semitische Namen, Waffen und Architektur von jahrhundertelangen Einflüssen aus der Levante. Im neuen Beitrag von "Plos one" untersuchte der britische Bioarchäologe Chris Stantis von der Bournemouth University nun zusätzlich die Knochen und insbesondere die Zähne von 75 dort gefundenen Skeletten.

Wissenschaftliche Datierung

Mit Hilfe der Strontium-Isotopen-Methode, die aus dem Zahnschmelz Angaben zum Aufenthaltsort einer Person ermitteln kann, wiesen sie nach, dass mehr als die Hälfte der Menschen ihre Kindheit außerhalb des Nildeltas verbracht hatte und dass die Einwanderer im Laufe von mehreren Jahrhunderten ins Land kamen. Freilich lässt die Studie offen, aus welchem Gebiet die Hyksos stammten: ob aus Syrien, von der libanesischen Küste oder aus Kanaan.

Bevor die Archäologen dem Geheimnis der Hyksos nachgingen, war jahrhundertelang der jüdisch-römische Geschichtsschreiber Flavius Josephus Quelle für jenes Volk. Josephus, der die Römer im Jahr 70 als Dolmetscher bei der Eroberung Jerusalems begleitete, zitierte in seiner Schrift "Gegen Apion" einen 300 Jahre alten Bericht des ägyptischen Priesters Manetho.

"Männer unedler Geburt"

Dort werden die Hyksos als "Männer unedler Geburt aus dem Osten" bezeichnet, die "unsere Städte niederbrannten, die Göttertempel zerstörten und die Bewohner barbarisch behandelten". Sie wurden schließlich von einer einheimischen Dynastie von Pharaonen vertrieben, wanderten zurück in die Levante, landeten in Judäa und gründeten dort die Stadt Jerusalem, so Josephus' Bericht von Manetho.

Allerdings spreche wenig für eine solche direkte Verbindung zwischen den ehemaligen Herrschern von Ägypten und den Israeliten, schreibt die israelische Zeitung "Haaretz" in einem Artikel zu dem neuen Forschungsbericht. Immerhin liege eine Zeitspanne von 300 Jahren zwischen dem Fall der Hyksos in Ägypten um 1530 v. Chr. und der ersten Erwähnung eines Volkes namens Israel auf einer Stele des ägyptischen Pharaos Merneptah Ende des 13. vorchristlichen Jahrhunderts.

biblischer Exodus?

"Haaretz" verweist auf den Ägyptologen Donald Redford, nach dem die biblische Geschichte des Exodus «entfernte kanaanitische Erinnerungen an die Vertreibung der Hyksos enthalten könnte". Das sei möglich, aber sehr schwer zu beweisen, so Daphna Ben-Tor, ehemalige Kuratorin für ägyptische Archäologie am Israel Museum in Jerusalem. Bis heute gebe es "keine archäologischen Beweise dafür, dass die Geschichte des Exodus ein bestimmtes historisches Ereignis widerspiegelt - weder unter Beteiligung der Hyksos noch der Israeliten".

Johannes Schidelko


Quelle:
KNA