Wie aktuell ist die Bibel heute noch?

"Gefühle, die wir auch heutzutage teilen"

In ihrer Jugend wandte sich die Schauspielerin Ulrike Kriener vom Glauben ab. Jahre später führte sie ausgerechnet ein Schweigeseminar zum Wort Gottes zurück – darin fand sie einen klaren Blick auf die drängenden Fragen des Lebens.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Sie beschreiben in ihrem Buch "Alles ist Windhauch" Ihre katholisch geprägte Kindheit, dann Ihren Kirchenaustritt und irgendwann den Wiedereintritt. Mich interessiert jetzt zunächst, wann und warum Sie sich von der Kirche abgewendet haben?

Ulrike Kriener (Schauspielerin und Sprecherin): Das fing an als ich zwischen 14 und 16 Jahre alt war. Es war eine Zeit, in der ich mich mit der Kirche einfach nicht mehr zusammengehörend empfunden habe. Als Kind war das einfach. Da bin ich durch meine Eltern unbefangen und frei an das Thema Kirche herangeführt worden. Es war bei uns in der Familie selbstverständlich, das Kirchenjahr miteinander zu begehen. Als aber in der Pubertät andere Fragen auftauchten, die man als spannend fand – die Frage nach Liebe, Sexualität, Empfängnisverhütung, Jungs – hörte die Kirche auf, mir ein begleitender Freund zu sein. Und auch von den alten Herren, den Priestern, habe ich mich nicht mehr verstanden gefühlt.

DOMRADIO.DE: Haben Sie nichts vermisst? Ein Stück Heimat oder Halt bei Gott?

Kriener: Gott war für mich in der Zeit immer mit Kirche verbunden und ich hatte das Gefühl, das passt nicht mehr zusammen. Ich habe das mehr an der Kirche festgemacht, als an dem, was eine erfahrene und emotionale Religiosität gewesen wäre. Das habe ich nicht mehr empfinden können.

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie den Weg zu Gott zurückgefunden?

Kriener: Erst einmal durch meinen Mann. Ich habe mich wider Erwarten in einen Mann verliebt, der in seinem Glauben relativ unerschütterlich war. Das war für mich ungewohnt und wir haben hitzige und spannende Gespräche darüber geführt. Aber ich habe in den Gesprächen mit ihm auch festgestellt, dass ich in dem Moment, wo ich mit 16 Jahren aus der Kirche ausgetreten war, das Thema abgeschlossen hatte und damit auch bestimmte Fragen ans Leben nicht mehr weiter behandelt habe. In dem Moment, wo ich mich verliebt habe und eine Familie gründen wollte, wo es um "Für immer und ewig" und "Bis dass der Tod uns scheidet" ging, sind für mich große Fragen ans Leben wach geworden. Da wurde das Thema Kirche wieder wichtig.

DOMRADIO.DE: Sie haben bei einem Schweigeseminar mitgemacht. Hätte man Ihnen das vor 30 Jahren gesagt, dass Ihnen das guttun würde, hätten Sie das geglaubt?

Kriener: Nein! Schweigen – überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil. Ich bin ein relativ kommunikativer Mensch, ich rede gern, höre gern zu und ich quassel auch gern. Das Schweigen konnte ich mir am Anfang nicht vorstellen. Ich habe zwar viele Freundinnen, die dem Buddhismus nahe sind, doch der Weg in diese Form der Religion hat mir nicht gelegen. Ich fand diesen in sich versunkenen Buddha zwar immer sehr sympathisch, aber ich wusste nicht, was das soll und was das jetzt mit meiner Kultur zu tun hat.

DOMRADIO.DE: Warum war das Schweigen dann doch eine gute Erfahrung?

Kriener: Ich war in meinem Leben noch nie so stark auf mich selbst zurückgeworfen wie in diesem Seminar, an dem ich vier Tage teilgenommen habe. 6 Uhr morgens aufstehen und dann gleich zwei Stunden meditieren – so ist dann der ganze Tag durchstrukturiert. Es steht keine Absicht dahinter, warum man das tut. Es geht nur um das Sitzen und um das Aushalten dieses Sitzens. Und was dann mit einem geschieht, erfährt jeder selbst.

DOMRADIO.DE: Jetzt habe ich noch gar nicht über die Bibel gesprochen. Sie haben ja auf dieser CD aus der Bibel gelesen. Was geben Ihnen diese alten Texte für ihren aktuellen Alltag?

Kriener: Das Schweigeseminar ist von einem Jesuiten, also einem katholischen Geistlichen, geleitet worden, der aber auch Zen-Meister ist, und der sich selber als Brückenbauer sieht. Und dieses Brückenbauen war für mich letztendlich genau der Weg, den ich gehen konnte. Da wurde für mich eine Verbindung zum Katholizismus, zur Kirche und auch zu dem geistigen Gehalt geknüpft, den meine Religion ausmacht – das war der entscheidende Punkt für mich.

Während des Seminars habe ich abends das Buch Kohelet aus dem Alten Testament gelesen und damit dieses große und begeisternde Kapitel kennengelernt. Und später haben mich verschiedene Teilnehmer angesprochen, ob ich den Text nicht als Hörbuch veröffentlichen wollen würde. Das hat mich nicht mehr losgelassen. Und dann habe ich mit der orientalischen Musik von Quadro Nuevo ein Produkt gemacht, bei dem ich das Gefühl habe, dass es auch eine Brücke zwischen den Texten unserer Kirche und dieser orientalisch eingefärbten Musik schlägt.

DOMRADIO.DE: Im Alten Testament wird das Buch Kohelet zu den Büchern der Weisheit gezählt. Der Titel der CD lautet "Alles ist Windhauch" – das ist auch aus dem Buch, oder?

Kriener: "Alles ist Windhauch" sagt natürlich, alles ist nichts. Aber auch alles ist Atem. Ich habe mich für die Einheitsübersetzung der Protestanten und Katholiken entschieden, weil sie mir von der Bildsprache am überzeugendsten erscheint. Der Text führt uns die Endlichkeit und die Zweifel an unser Leben so drastisch vor Augen, wie es für mich sonst kein Text in der Bibel kann. Und er findet trotzdem den Weg aus dieser Stimmung, die andere Leser manchmal als depressiv oder traurig empfinden.

Ich empfinde das als einen sehr klaren Blick auf die Welt, die eben nicht schön ist, die nicht so einfach ist, die uns zweifeln und hadern lässt – das sind doch Gefühle, die wir heutzutage teilen können. Und trotzdem einen Weg daraus zu finden und zu sagen: "Ja, es lohnt sich zu leben, weil es um den Moment und um das Jetzt und um die Freude geht, die du dir selbst mit deinem Leben geben kannst." Das finde ich so heutig und so modern wie kaum einen Text, den ich in der Bibel gefunden habe.

Das Interview führte Dagmar Peters.


Schauspielerin Ulrike Kriener / © Barbara Bauriedl (dpa)
Schauspielerin Ulrike Kriener / © Barbara Bauriedl ( dpa )
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DR