Margot Käßmann über Geschwister in der Bibel

Von Jakob und Esau bis Lea und Rahel

Kain und Abel sind wohl die berühmtesten Geschwister der Bibel. Dass es aber noch viel mehr bedeutsame Geschwister-Geschichten gibt, zeigt Margot Käßmann in einem Buch. Darin will sie auch darlegen, dass die Geschichten noch aktuell sind.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Wie sind Sie auf das Thema "Geschwister in der Bibel" gestoßen?

Margot Käßmann (Evangelische Theologin und Autorin): Ich habe selber zwei Schwestern, einen Bruder, vier Kinder, sechs Enkelkinder. Da war also auch schon ein privates Interesse vorhanden. Ich selber sehe, wie sich Geschwister entwickeln. Natürlich lese ich auch gerne in der Bibel. Da ich die Geschichten immer wieder faszinierend finde, hatte ich richtig Spaß daran, die Geschwister der Bibel zu entdecken.

DOMRADIO.DE: Sie erzählen 20 Geschwister-Geschichten aus der Bibel und schlagen dabei auch immer wieder den Bogen zur Gegenwart. Los geht es gleich mit dem brutalen Bruderzwist zwischen Kain und Abel. Kain erschlägt seinen eigenen Bruder. Was zeigt sich in dieser mörderischen Anekdote?

Käßmann: Kain ist der Erstgeborene. Als sein Bruder Abel geboren wird, wird Kain sozusagen entthront. Kain wird eifersüchtig, kann das nicht bewältigen und das mündet in brutaler Gewalt. Ich glaube, wir sind da heute ein Stückchen weiter. Eltern achten bewusst darauf, dass das erste Kind sich nicht zur Seite gedrängt fühlt, wenn das zweite geboren wird.

Interessant an der Geschichte ist, dass auch noch ein dritter Sohn geboren wird. Da kommt die Frage auf: Soll er jetzt diesen toten Bruder Abel ersetzen? Auch das ist etwas, das manchmal für Kinder eine Rolle spielt, wenn vor ihnen ein Geschwisterkind gestorben ist.

DOMRADIO.DE: Sie behandeln auch eine wirklich schreckliche Missbrauchsgeschichte, nämlich die von Lots Töchtern?

Käßmann: Ich habe den beiden erst einmal einen Namen gegeben, weil mich das so stört, dass sie immer nur "Lots Töchter" heißen. Ich habe die Geschichte dann mit einer Kinder- und Jugend-Therapeutin durchgesprochen. Sie sagte, dass es eigentlich eine typische Missbrauchsgeschichte sei, weil den Töchtern die Schuld gegeben wird. Sie haben diesen armen alten Vater betrunken gemacht und dann zum Sex verführt, weil sie unbedingt vom Vater schwanger werden wollten.

Das ist eigentlich ein Verdecken, wie wir es leider heute auch immer wieder erleben. Ich finde es sehr anrührend, dass die Bibel auch so was nicht verschweigt. Aber, wenn wir uns die Bilder der Geschichte angucken, dann sind es immer hübsche junge Frauen, die den armen Vater "verführen". Das finde ich schon brutal. Sie sind im Grunde zweimal geschändet worden - einmal durch die Tat selber, aber dann durch die Geschichte.

DOMRADIO.DE: Immer wieder geht es um miteinander konkurrierende Geschwister - zum Beispiel auch die Schwestern Lea und Rahel, die einen Wettstreit des Gebärens austragen. Das klingt schon ein bisschen antiquiert.

Käßmann: Es ist so, dass sie beide denselben Mann lieben. Sie ringen um die Liebe dieses Mannes Jakob, indem sie möglichst viele Kinder in die Welt setzen wollen und sich dadurch hervorheben. Das ist schon tragisch. Lea ist mit der Zeit etwas rehabilitiert worden. Sie wurde früher als "scheel dreinschauend" beschrieben, in neueren Übersetzungen heißt es jetzt, ihre Augen seien sanft oder zärtlich.

DOMRADIO.DE: Sie haben vor allem Geschwister-Geschichten aus dem Alten Testament gewählt. Da geht es unter anderem um Jesus und seine Geschwister. Von denen ist sonst nicht so oft die Rede.

Käßmann: Ich finde es schade, dass so wenig von den Geschwistern die Rede ist. Es ist interessant, was von ihnen erzählt wird. Sie stehen mit der Mutter vor der Tür und Jesus weist sie zurück und sagt dann: "Die, mit denen ich jetzt zusammen bin, sind meine Familie."

Sie werden wohl auch ein bisschen merkwürdig angesehen. Ich habe eine Stelle zitiert, da sagen die Nachbarn: "Die Schwestern von ihm wohnen doch bei uns im Dorf, was spielt er sich so auf?" Das muss nicht einfach gewesen sein, wenn der große ältere Bruder so von anderen verehrt wird und die Geschwister ständig zurückstehen.

DOMRADIO.DE: All diese Geschichten, die spielen in längst vergangener Zeit. Warum haben Sie trotzdem wirklich etwas mit uns heute zu tun?

Käßmann: Ich denke, dass die Bibel einfach elementare Beziehungen erzählt. Wenn ich diese Geschichten lese, kann ich da ganz viel von heute wiederfinden. Ich kann das auch ziemlich leicht in unsere Zeit transportieren. Dafür ist die Bibel für mich immer wieder eine Quelle. Es geht nicht darum, zu sagen, das war so und das ist vergangen. Sondern ich denke, es geht darum, diese Bibelstellen in Bezug zu uns zu setzen. Das geht natürlich ganz besonders gut in den Erzählungen vom Leben der Menschen.

DOMRADIO.DE: Für wen haben Sie das Buch geschrieben?

Käßmann: Für Menschen, die neugierig auf die Bibel sind und vielleicht länger nicht mehr darin gelesen haben. Ich möchte eigentlich damit auch Lust machen, mal wieder selber in der Bibel zu lesen.

Das Interview führte Hilde Regeniter.


Margot Käßmann / © Norbert Neetz (epd)
Margot Käßmann / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
DR