Alle reden von "Aufbruch" - aber wohin?

Die Töne Mannheims

"Aufbruch" hat sich langsam, aber sicher zum Mantra von Mannheim entwickelt: Riesige rote Rucksäcke in der City symbolisieren ihn. Musiker besingen ihn, Politiker fordern ihn. Bischöfe predigen über ihn, Reformer predigen ihn herbei. Niemand, der ihn ablehnt. Von der Bibelarbeit am frühen Morgen bis zum Nachtgebet - immer wieder Aufbruch. Aber Aufbruch wohin? Ein Betrachtung von Thomas Winkel.

Autor/in:
Thomas Winkel
 (DR)

Die Söhne Mannheims wollten lieber draußen bleiben. Und Distanz halten zu den rund 80.000 Brüdern und Schwestern des Katholikentags, der am Sonntag in ihrer Heimatstadt zu Ende ging. Die Band, so ist zu hören, tritt grundsätzlich nicht bei religiösen Events auf. In einer pluralen Gesellschaft ihr gutes Recht - und zugleich ein Indiz: Kirchennähe ist mitunter schlecht fürs Image. Der Umbruch der Gesellschaft bleibt Bischöfen und katholischen Laien kaum verborgen. Auch deshalb wollten sie "Einen neuen Aufbruch wagen".



Auch nach den fünf Tagen in der Multikulti-Metropole steht das noch nicht fest. Denn, um bei der Musik zu bleiben: Was wird aus den Tönen Mannheims? Eine Komposition in Dur oder Moll, allegro-flott-fröhlich oder adagio-getragen-gebremst? Wer spielt mit, wer die zweite Geige und wer sorgt für den harmonischen Zusammenklang?



Zu große Harmoniesucht warfen Vertreter von Basisgruppen den Veranstaltern vor. Der Jesuit Friedhelm Hengsbach schärfte dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ein, auch auf Konfrontation zu gehen. ZdK-Präsident Alois Glück steht für einen gemäßigten Kurs und nimmt auf diese Art viele mit ins Boot: "Wir wollen den partnerschaftlichen Dialog, nicht die Konfrontation." Wobei alle Seiten natürlich den "Aufbruch" wollen - bis hin zu Papst Benedikt XVI., wie er in seiner Grußbotschaft gleich bei der Eröffnung deutlich machte.



Neutral und nebulös

"Einen neuen Aufbruch wagen" - das klingt konkret und klar, ist zugleich aber auch neutral und nebulös. So können sich von dieser Art Ruck-Ruf an das katholische Deutschland viele angesprochen fühlen. Auch wenn jedes Milieu darunter etwas anderes versteht: Viele Bewahrer deuten das Leit-Wort des Leitworts theologisch-spirituell und hoffen auf einen missionarischen Aufbruch. Kirchenkritiker verbinden es mit ihrem Wunsch nach Veränderungen, etwa bei den "heißen Eisen" wie Zölibat und wiederverheiratete Geschiedene.



Die beiden Seiten müssen keine Gegensätze bleiben, sondern können im Idealfall zu einer Medaille werden. Erzbischof Robert Zollitsch und andere arbeiten daran. Der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz spricht immer wieder von der tiefen spirituellen Dimension des Katholikentages und von Mannheim als einem Glaubensfest. Andererseits verschließen er und seine Mitstreiter nicht die Augen vor kirchlichen Reformen.



Keine Frage, Aufbruch ist immer ein Wagnis. Bergsteiger und Pilger wissen das so gut wie Einbrecher. Unsicherheit kann den Wunsch nach Veränderung ersticken, so Werner Scholze-Stubenrecht von der Duden-Redaktion in Mannheim. Der Chefredakteur findet jedoch auch: Nur wer Neues riskiert, kommt voran.



Unvollendete Symphonie

Das gelingt nicht immer von heute auf morgen, weiß Sigmar Gabriel, Chef der im Vergleich zur Kirche unverschämt jungen SPD. Er ist wie so viele Politiker für einen Tag Richtung Mannheim aufgebrochen und spendet den Ungeduldigen unter den Teilnehmern Trost: Auch seine Partei versuche, alle Strömungen unter einen Hut zu bringen - und das seit ihren Anfängen vor über 100 Jahren. Die ersten Aufbrüche und auch Schiffbrüche der Apostel lagen da schon knapp zwei Jahrtausende zurück.



Ob aus den vielen Tönen und Stimmen in der Quadratstadt ein großes Ganzes entsteht, bleibt abzuwarten. Derzeit ist die Symphonie, an der eifrig komponiert wird, eine unvollendete. Vielleicht liegt das sogar in der Natur der Sache. Kirche ist eben ihrem Selbstverständnis zufolge "nicht von dieser Welt", zumindest nicht nur. Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims wissen das wahrscheinlich auch.