Wie der Rücktritt von Benedikt XVI. zu bewerten ist

"Er wollte nicht zur Marionette werden"

Viele haben es für einen Witz gehalten, als vor sieben Jahren die Meldung über den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. die Runde machte. Doch die Realität holte die Kirche schnell ein. War seine Entscheidung rückblickend betrachtet richtig?

11. Februar 2013: Papst Benedikt XVI. verkündet seinen Rücktritt / © Osservatore Romano (KNA)
11. Februar 2013: Papst Benedikt XVI. verkündet seinen Rücktritt / © Osservatore Romano ( KNA )

DOMRADIO.DE: Wie haben Sie den 11. Februar 2013 und die Rücktrittserklärung von Papst Benedikt XVI. erlebt?

Ludwig Ring-Eifel (Chefredakteur der Katholischen Nachrichten-Agentur / KNA): Ich habe es erst für einen Witz gehalten, als ich den ersten Anruf bekam. Ich habe dann nach der Nachrichtenquelle gefragt. Als ich dann wiederum hörte, dass es sich um die italienische Nachrichtenagentur Ansa handelt, habe ich gedacht, dass da doch was dran zu sein scheint. Denn ich wusste aus meiner Zeit in Rom, dass die recht gute Vatikan-Korrespondenten haben, die so etwas nicht erfinden würden. Dann haben wir unser Büro in Rom alarmiert und innerhalb weniger Minuten war klar, dass alles stimmt, was da berichtet wurde.

Es war ein bisschen schwierig für die Korrespondenten, das mitzukriegen, weil sich der Papst ja auf Latein erklärt hatte und nicht mehr jeder Latein kann. Deswegen haben es eben viele im ersten Moment nicht mitgekriegt.

DOMRADIO.DE: Papst Benedikt XVI. hat seinen Rücktritt damals auch damit begründet, dass er körperlich einfach nicht mehr die Kraft habe, die Kirche zu führen. Heute, sieben Jahre später, lebt er mit 92 Jahren und einer dem Alter angemessenen Gesundheit im Vatikan. War der Rücktritt deshalb nicht vielleicht verfrüht?

Ring-Eifel: Es gab ja schon im Jahr 2012 einige Anzeichen dafür, dass seine körperlichen und geistigen Kräfte stark nachließen. Er erkannte einige Bischöfe nicht mehr, obwohl er sie kannte. Aber er hat sie einfach nicht wiedererkannt. Er war auf einem Auge weitgehend erblindet. Er hatte schwere sonstige gesundheitliche Probleme.

Er hätte in einem jahrelangen Siechtum tatsächlich die Kirche noch weiterführen können, so wie es auch sein Vorgänger Johannes Paul II. gemacht hat. Aber genau das wollte er vermeiden. Damals war er Präfekt der Glaubenskongregation, als Johannes Paul II. alt und krank war. Da musste er sich sozusagen mit Kardinal Sodano die Regierung der Kirche teilen, während der amtierende Papst quasi nur noch wie eine Marionette geführt wurde. Diesen Zustand wollte er für sich vermeiden und wollte in dem Moment, wo er sieht, dass seine Kräfte nicht mehr reichen, zurücktreten.

Das hat er im übrigen auch schon mal in einem Interview gesagt, dass er das eigentlich für richtig hielte. Deswegen war es letztlich dann doch keine so große Überraschung.

DOMRADIO.DE: Gerade in letzter Zeit gab es aber immer mehr Gerüchte, dass es vielleicht nicht nur die Altersschwäche gewesen ist, sondern auch die Last des Missbrauchsskandals, die Diskussion um den Gründer der Legionäre Christi beispielsweise. Denken Sie, das hat etwas damit zu tun oder deuten wir einfach zu viel hinein?

Ring-Eifel: In Sachen Legionäre Christi hatte er eigentlich ziemlich rasch aufgeräumt. In der Zeit, als er noch nicht Papst war, hat er sich da nicht durchsetzen können. Aber sobald er Papst war, hat er den Gründer quasi ins Exil geschickt. Das war, glaube ich, nicht der Grund.

Aber er hat, glaube ich, gemerkt, dass die Summe der Skandale zu viel für seine Gesundheit war. Es gab sowohl den Missbrauch als auch die Geschichten um homosexuelle Seilschaften im Vatikan und zudem den Geheimnisverrat von seinem Kammerdiener an den Journalisten Nuzzi.

Das war einfach insgesamt so viel, dass er merkte, dass er in seinem Gesundheitszustand und seinem zunehmenden geistigen Nachlassen nicht mehr in der Lage ist, ein so schwer geschütteltes Schiff durch die Wellen zu steuern. Wären es ruhigere Zeiten für die Kirche gewesen, dann hätte er sich vielleicht noch ein, zwei Jahre zugetraut. Aber es waren eben sehr stürmische Zeiten. Und da brauchte es einen starken und frischen Kapitän.

DOMRADIO.DE: Es war der erste Papstrücktritt in der Neuzeit. Viele Konflikte, die damit verbunden sind, sind bis heute noch nicht geklärt. Zum Beispiel die Frage, wie und ob sich ein emeritierter Papst überhaupt öffentlich und politisch äußern sollte. Jetzt sind wir in der Situation, wo gewisse Kirchenkreise fast schon von einer Spaltung in der katholischen Kirche sprechen. Denken Sie, das war im Jahr 2013 schon absehbar? Hätte man das irgendwie verhindern können?

Ring-Eifel: Es haben damals schon einige Leute davor gewarnt. Etwa Kardinal Brandmüller hat darauf hingewiesen, dass zu den Zeiten der Geschichte, in denen es mehr als einen Papst gab, man sich entweder in einem Schisma befand, es zu einem Schisma führte oder mit einem Schisma zu tun hatte. Diese Warnung war ja nicht ganz substanzlos.

Es zeigt sich jetzt, dass es sehr schwierig ist, wenn der neue Papst bestimmte Akzente setzt und der alte Papst vielleicht in den Dingen etwas anders denkt. Wenn das dann von interessierten Kreisen gegeneinander ausgespielt wird und daraus dann zwar keine Kirchenspaltung, aber doch ein Gegensatz an der Spitze der Kirche entsteht, dann ist das nicht gut.

Das hätte man vermeiden können, indem der emeritierte Papst, eben ganz klar zurückgetreten wäre. Er hätte auch sein weißes Gewand und Titel ablegen sollen.

Das müsste man beim nächsten Mal, wenn wieder ein Papst zurücktritt, gründlich anders machen, damit es nicht wieder zu so einem ungeklärten Zustand kommt.

DOMRADIO.DE Das heißt, Sie gehen davon aus, Benedikt XVI. wird nicht der letzte bleiben?

Ring-Eifel Ich gehe davon aus, weil sich gezeigt hat, dass die Führung der Kirche einfach jemanden braucht, der in der Lage ist, das mit voller geistiger und körperlicher Kraft zu tun.

Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.


Ludwig Ring-Eifel / © Elisabeth Schomaker (KNA)
Ludwig Ring-Eifel / © Elisabeth Schomaker ( KNA )
Quelle:
DR
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