Briefwechsel zwischen Benedikt XVI. und Wiens Oberrabbiner

Theologische Annäherungen

Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat sich erneut zum interreligiösen Dialog mit dem Judentum zu Wort gemeldet. Die internationale theologische Zeitschrift "Communio" veröffentlichte einen Briefwechsel mit dem Wiener Oberrabbiner Arie Folger. 

Papst em. Benedikt XVI.  / © Osservatore Romano (KNA)
Papst em. Benedikt XVI. / © Osservatore Romano ( KNA )

Der Briefwechsel kam als Reaktion auf einen Beitrag Benedikts XVI. im Juli zustande, der zahlreiche, auch kritische Reaktionen hervorgerufen hatte. Hintergrund ist die 50 Jahre zuvor erschienene Erklärung "Nostra aetate", die auf das Verhältnis der Kirche zu den nicht-christlichen Religionen eingeht und dies neu bewertet.

"Nicht in der gebotenen Ehrfurcht"

Der Wiener Oberrabbiner hatte daraufhin in der "Jüdischen Allgemeinen" eine "Einordnung aus rabbinischer Sicht" veröffentlicht. Auf diesen Text hatte in einem persönlichen Brief Benedikt XVI. geantwortet; die letzte Antwort Folgers folgte Anfang September.

In seinem auf 23. August datierten Brief an den Rabbiner hält Benedikt XVI. fest, dass die Auseinandersetzung über die Frage, ob die hebräische Bibel auf die Person Jesu hin auszulegen sei, von christlicher Seite her "häufig oder fast immer nicht in der gebotenen Ehrfurcht für die andere Seite geführt" worden sei.

Gestalt des Mose

Stattdessen habe sich, so der emeritierte Papst, "die traurige Geschichte des christlichen Antisemitismus gebildet, die schließlich in den antichristlichen Antijudaismus der Nazis mündet und mit Auschwitz als traurigem Höhepunkt vor uns steht". Tatsächlich müsse der Dialog konstruktiv weitergeführt werden - obgleich er "nach menschlicher Voraussicht" wohl "nie zu einer Einheit der beiden Interpretationen führen" werde. Es bleibe aber "beiden Seiten aufgetragen, um die rechte Erkenntnis zu ringen und die Auffassung der je anderen Seite ehrfürchtig zu bedenken".

Einen Dreh- und Angelpunkt für ein wertschätzendes Verständnis sieht Benedikt XVI. etwa in der Gestalt des Mose, von dem es heißt, er habe "mit dem Herrn wie ein Freund" gesprochen. Daraus ergebe sich eine christliche Anschlussfähigkeit, so Benedikt XVI.: "Jesus von Nazareth erscheint uns Christen als die zentrale Hoffnungsgestalt, weil er mit Gott auf Du und Du steht."

Säkulär bedeute nicht antireligiös

Mit Blick auf den heutigen Staat Israel hält Benedikt XVI. fest, dass dieser ein säkularer Staat sei, "der freilich durchaus religiöse Grundlagen hat". Die Entwicklung der Idee eines säkularen Staates an sich sei gar "wesentlich auch jüdischem Denken zu verdanken, wobei säkular nicht antireligiös bedeutet". Insofern könne man in der Entstehung des säkularen Staates Israel gar "auf eine geheimnisvolle Weise die Treue Gottes zu Israel erkennen".

Als ein weiteres Thema für den künftigen Dialog zwischen Christen und Juden bezeichnete Benedikt XVI. schließlich die Figur Martin Luthers. Dessen "antijudaistisches Denken" habe in der Folge einen "pseudoreligiösen Markionismus" hervorgebracht. Weiter heißt es: "Mir scheint, dass gerade in diesem Punkt wichtige Möglichkeiten für ein erneuertes Gespräch mit dem Judentum liegen."

Auftrag für Juden und Katholiken

In seiner auf 4. September datierten Antwort betont der Wiener Oberrabbiner, der Brief Benedikts XVI. enthalte Thesen, "die im jüdisch-christlichen Dialog tatsächlich ein Wegweiser sein können". "Volles Einverständnis" äußerte Folger dazu, dass beide, Juden wie Katholiken, heute aufgerufen seien, "sich zusammen für den Erhalt der moralischen Standards im Westen einzusetzen". Wenn der Westen "immer säkularer" werde und dabei eine Mehrheit "zunehmend intolerant gegenüber Religionen" werde, so könne man dies als Auftrag sehen, "öfter zusammen auf(zu)treten", so Folger. "Gemeinsam können wir viel stärker sein als vereinzelt."

Dankbar zeigte sich Folger auch über Benedikts Deutung des Status des Staates Israel. Indem er im säkularen Staat ein Zeichen für den Fortbestand des Bundes zwischen Gott und dem Volk Israel sehe, sei "die Distanz zwischen unseren jeweiligen Positionen sicher kleiner geworden", so der Oberrabbiner. Tatsächlich sei Israel ein säkularer Staat; doch gerade für die Rückkehr der Juden aus aller Welt nach Israel sei die Vorstellung Zions "religiös nicht unbedeutend". Abschließend unterstreicht Folger noch einmal, wie wichtig aus jüdischer Sicht eine deutliche Betonung des "ungekündigten Bundes" zwischen Gott und dem Volk Israel sei.


Quelle:
KNA