Theologin Rahner zu 200 Jahre katholisch-theologische Fakultät Tübingen

"Nicht im Elfenbeinturm"

Wie wichtig ist die Theologie als Wissenschaft in der heutigen Gesellschaft, die zunehmend als verweltlicht gilt? Die Studenten interessieren sich sogar zunehmend für Theologie, sagt die Tübinger Theologie-Professorin Johanna Rahner.

Prof. Johanna Rahner / © Friedhelm Albrecht (Universität Tübingen)

DOMRADIO.DE: Theologie studieren. Religion ist doch eher eine Frage des Glaubens, nicht des Wissens. Wie geht das zusammen?

Prof. Dr. Johanna Rahner (Dekanin der Katholisch-Theologischen Fakultät Tübingen): Das ist ein Bild, das in vielen Köpfen existiert. Die Theologie aber bringt Glaube und Vernunft zusammen.

Der Glaube ist nicht nur eine Sache des Herzens. Der emeritierte Papst Benedikt XVI. hat einmal gesagt: "Im Christentum ist Aufklärung Religion geworden." Er hat damals bei uns in Tübingen an der Fakultät als Professor gelehrt hat. Das bedeutet: Die Theologie rechtfertigt als Wissenschaft rational den Glauben und sein Fundament. Diese Idee ist sowohl in der Wissenschaft, an den Unis, wie auch in den Kirchen zuhause.

DOMRADIO.DE: Die Zahl der Katholiken, der Christen im Land geht zurück. Wie sieht das denn an den Universitäten mit den Studenten aus? Welche Rolle spielt da noch die Theologie?

Rahner: Wir erleben den gleichen Trend wie in der Gesellschaft. Auch bei uns an den Universitäten gibt es weniger Theologie-Studenten als noch in den Achtzigern und Neunzigern. Trotzdem stellen wir ein bleibendes Interesse an der Theologie fest, in den letzten Jahren hat das Interesse sogar leicht zugenommen.

DOMRADIO.DE: Woran liegt das?

Rahner: Das liegt sicher auch daran, dass wir in Tübingen drei theologische Fakultäten haben, die evangelische, die katholische und das Zentrum für Islamische Theologie. Wir haben also ein interreligiöses Miteinander im Theologiestudium.

DOMRADIO.DE: Wie funktioniert das denn konkret dieses Miteinander? Gerade im Bereich des Glaubens muss ich ja von meiner Ansicht überzeugt sein, ich muss „glauben“. Wie geht man da mit anderen religiösen Überzeugungen um?

Rahner: Es ist auch die Aufgabe der Universitäten, den Glauben auf eine reflektierte, vernünftige Art zu begründen. Dazu gehört auch, sich mit anderen wissenschaftlichen Erkenntnissen auseinanderzusetzen. Auch bei uns an den theologischen Fakultäten treten die Wahrheitsansprüche der anderen an uns als Katholiken heran. Bei uns herrscht das Prinzip, das wir mit „offenem Visier“ aufeinander zugehen. Ein Streit und eine aufgeklärte Auseinandersetzung - auch mit der eigenen Position - ist da notwendig.

DOMRADIO.DE: Mit dem emeritierten Papst Benedikt XVI., Joseph Ratzinger, hatten wir einen der profiliertesten Theologen des 20. Jahrhunderts auf dem Stuhle Petri. Was hat er von dort mitgenommen?

Rahner: Joseph Ratzinger hat sich in seiner Zeit in Tübingen das Profil unserer Fakultät angeeignet. Das heißt: Theologie findet nicht im Elfenbeinturm statt, sondern darin, sich mit den Fragen der Welt auseinanderzusetzen.

DOMRADIO.DE: Was sind das für Fragen?

Rahner: Das sind pastorale Fragen, aber auch die Ur-Fragen, die jeder Mensch in sich trägt.

DOMRADIO.DE: Man sagt, dass Papst Franziskus mehr Wert auf die Seelsorge als auf die Theologie legt. Welchen Wert hat diese denn noch in Franziskus‘ Kirche?

Rahner: In Tübingen ist Ratzingers "Einführung ins Christentum" entstanden. Der emeritierten Papst Benedikt XVI., damals noch Joseph Ratzinger macht darin deutlich, dass Theologie angesichts der Fragen, Nöte und Sehnsüchte der Menschen von heute auch so formuliert, übertragen und interpretiert werden muss. Dieses Anliegen Ratzingers nehmen wir jetzt in verstärkter Weise auch bei Papst Franziskus wahr. Da liegen die beiden auf der gleichen Linie.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Quelle:
DR