"Letzte Gespräche" mit Benedikt XVI.

Für Peter Seewald ein wehmütiges Projekt

Obwohl Peter Seewald eher kritisch über ihn schrieb, stimmte der emeritierte Papst später einem Interviewbuch zu. Nun erscheint das vierte Interviewbuch der beiden: "Letzte Gespräche". Dazu ein Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Peter Seewald / © Katharina Ebel (KNA)
Peter Seewald / © Katharina Ebel ( KNA )

KNA: "Letzte Gespräche" ist das vierte große Interviewbuch, das Sie mit Joseph Ratzinger geführt haben. Was war diesmal anders?

Peter Seewald (Journalist und Publizist): Es ist eine Weltpremiere. Noch nie hat ein Pontifex ein Resümee seiner Amtszeit gezogen. Zum anderen ist da die Unbefangenheit und beispiellose Offenheit, mit der er spricht.

KNA: Wie kam das?

Seewald: Ursprünglich waren diese Aufzeichnungen nicht direkt zur Publikation gedacht, sondern als Hilfe für meine Arbeit an der großen Ratzinger-Biografie. Als ich sah, dass wir hier ein unvergleichliches, geschichtliches Dokument haben, war mir klar, dass man diesen Text der Welt nicht vorenthalten darf. Papst Benedikt war zunächst nicht dafür, aber ich konnte ihn überzeugen. Im Grunde geht es darum, den Zugang zur Botschaft Benedikt XVI. freizuhalten.

KNA: Gab es Hürden?

Seewald: Voraussetzung war für Benedikt, dass Papst Franziskus seine Zustimmung gibt. Und die hat es ohne Einschränkung gegeben.

KNA: Wie kann man sich den Ablauf der Gespräche vorstellen?

"Wie's einem alten Mann halt so geht"

Seewald: Sie finden in einer Arbeitsatmosphäre statt. Man trifft sich, gibt sich die Hand, dann frag ich meistens: "Wie geht"s?" Er antwortet: "Wie's einem alten Mann halt so geht." In seinem Klösterchen sitzen wir über Eck auf der Couch, und so kann ich von der Seite laut fragen, wo sein Gehör noch besser ist. Die Uhr läuft, und wenn der Gongschlag ertönt, ist es Zeit, aufzuhören.

KNA: Ratzinger ist dafür bekannt, dass er Texte akribisch korrigiert. Wie war das bei diesem Buch?

Seewald: Er ist völlig uneitel und versucht nicht nachher noch, sich besser oder anders darzustellen. Man hört und spürt ihn quasi live, so wie er ist. Seine Wesensart, sein Denken, seine Demut, seinen Humor. Er ist ja nicht nur der wohl bedeutendste Theologe, der jemals auf dem Stuhl Petri saß, sondern auch ein sehr musischer Mensch, im Grunde ein Poet.

KNA: Hat er nicht mit diesem Buch sein selbst auferlegtes Schweigen gebrochen?

Seewald: Nein. Benedikt XVI. ist kein Schattenpapst. Er hat sich zurückgezogen, er mischt sich nicht ein. Der Hintergrund für dieses Projekt war, wie schon gesagt, Zusatzinfos für die Biografie zu erhalten. Hinzu kam: In den Medien hatte sich eine irreführende Kurzformel eingeschlichen. Sie sagt: "Ratzinger war die falsche Wahl, und seine größte Tat war der Rücktritt." Was für ein Unsinn! Diese "Letzten Gespräche" zeigen, dass das Pontifikat alles andere als gescheitert ist. Auch wenn es Probleme gab wie Vatileaks, die Williamson-Affäre oder die mangelnde Unterstützung von Teilen des katholischen Establishments.

KNA: Welche weiteren Probleme kommen zur Sprache?

"Viel Persönliches"

Seewald: Benedikt hat keine Scheu, über Schwächen seiner Regierungsarbeit zu sprechen. Aber es geht viel auch um Persönliches: Was mochte er als Papst besonders? Was mochte er gar nicht? Mit wem hat er sich gut verstanden? Es war nicht bekannt, dass er bereits vor seiner Wahl auf einem Auge völlig erblindet war; dass er Herzprobleme hatte; dass er nicht von einem langen Leben ausging. Angesichts einer kurzen Amtszeit macht man dann keine lange Planung, sondern das Drängendste. Und jene Dinge, zu denen er sich in besonderer Weise berufen fühlte, nämlich der Welt noch einmal Christus zu zeigen, ganzheitlich. Fast minuziös werden in dem Buch die Umstände des Rücktritts erläutert, der ja noch immer für irre Verschwörungstheorien genutzt wird.

KNA: Ist er zufrieden mit seiner Bilanz?

Seewald: Wie denn nicht? Nach dem überragenden Johannes Paul II. hat er einen Übergang ohne jeden Bruch geschafft! Oder nehmen wir die Krise, die der Missbrauchsskandal auslöste. Hier wird sein Management sogar von Gegnern gelobt. Seinem ökologischen Bewusstsein verdankte er den Titel "grüner Papst". Und er hat viele Reformen, Initiativen und Impulse - denken Sie an das Wort von der notwendigen "Entweltlichung" der Kirche - auf den Weg gebracht, die nun von Franziskus weitergeführt werden.

KNA: Es gibt immer wieder Spekulationen über Gegensätze zwischen ihm und Papst Franziskus. Beschäftigt ihn das?

"Gegensätze werden künstlich konstruiert"

Seewald: Nein. Benedikt XVI. sieht mit großem Wohlwollen und Liebe auf seinen Nachfolger. Was nicht heißen muss, dass er von allem begeistert ist. Mit seinem Rücktritt hat er ein Tor aufgemacht, hin zu einer neuen Stunde der Kirche. Umgekehrt ist Franziskus dankbar für den "Halt und Trost", den er beim Papa emeritus findet. "Mit der Hilfe Gottes", so sagt er wörtlich, "strenge ich mich an, in derselben Richtung fortzufahren." Franziskus nennt ihn einen "Revolutionär", dessen Geist "immer größer und mächtiger in Erscheinung treten" wird. Natürlich haben die beiden unterschiedliche Temperamente und Charismen. Aber gewisse Gegensätze werden künstlich konstruiert, um sie gegeneinander auszuspielen.

KNA: Verfolgt er die allgemeine politische Entwicklung, und auch die Entwicklung der Kirche in Deutschland?

Seewald: Er nimmt rege am Zeitgeschehen teil - und sieht dabei mit großer Sorge auf die Krise Europas. Auch die Kirche in Deutschland ist in unserem Buch ein Thema. Da findet er deutliche Worte. Etwa über die Macht der Bürokratien oder den Mangel an Dynamik.

KNA: Warum sorgen Aussagen über die Gründe für den Rücktritt bis heute für Schlagzeilen?

Seewald: Vielleicht, weil ein 20 Zeilen langes lateinisches Statement nicht ausreicht, einen solchen historischen Schritt ganz zu erklären. Und viele der Vatikan-Berichterstatter leben von Spekulationen über die "geheimnisvolle Welt hinter den Mauern des Vatikans".

KNA: Wie sind Sie auseinander gegangen? War das emotional?

Seewald: Schon sehr. Wobei ich hoffe, dass er noch lange lebt, bei einigermaßen guter Gesundheit, und wir uns weiter begegnen können.

Papst Benedikt ist mit sich im Reinen und im Gebet ganz beim Herrn.

Er ist jemand, der den anderen ganz annimmt, und wenn er einem dann beim Abschied so leicht zuwinkt, mit seinem leisen Lächeln, dann wird man natürlich schon wehmütig. Und da ist auch Dankbarkeit, dass ich die Möglichkeit hatte, mit einer so außerordentlichen Persönlichkeit über viele Jahre im Gespräch zu bleiben und von ihm zu lernen.

Das Interview führte Ludwig Ring-Eifel.


Quelle:
KNA