Kardinal Meisner würdigt das Pontifikat seines Freundes Joseph Ratzinger

"Ich bin traurig"

Der Kölner Kardinal Joachim Meisner hat "überrascht und tief berührt" auf den angekündigten Papstrücktritt reagiert. Das Interview mit dem langjährigen Ratzinger-Vertrauten Meisner als Video und Text hier.

 (DR)

domradio.de: Herr Kardinal, hat Sie die Nachricht überrascht?

Kardinal Meisner: Ich habe diese Nachricht erst gehört um 12.30 Uhr. Ich habe es erst gar nicht geglaubt, erst beim dritten Anruf habe ich dann das Radio angemacht, und dann kam die Meldung tatsächlich. Ich bin im wahrsten Sinne des Wortes schockiert! Das habe ich mir gar nicht vorstellen können. Damit muss man sich jetzt auseinandersetzen. Jetzt muss ich an einer weiteren Papstwahl teilnehmen, das Kardinalskollegium muss jetzt die Kirche regieren. Da muss ich nach Rom anreisen, da sind die täglichen Sitzungen zur Vorbereitung des Konklaves. Das gab es ja seit 700 Jahren nicht. Da gibt es die Fragen: Gibt es eine Abschiedsfeier? Wo wird er wohnen? Wie wird er dann angesprochen?

domradio.de: Das ist ein einmaliger Fall, oder?

Kardinal Meisner: Die heutigen Belastungen für einen Papst sind einmalig! Der Papst ist für über eine Milliarde katholischer Christen da! Die Katholiken leben in verschiedensten theologischen und kulturellen Ungleichzeitigkeiten. Der Papst möchte allen gerecht werden. Das ist eine Aufgabe, die einen hoffnungslos überfordern kann. Der Heilige Vater ist zu der Überzeugung gekommen, dass er sich diesen Herausforderungen nicht mehr gewachsen fühlt, insofern glaubt er, dass er es nicht mehr verantworten kann, dass seine Kräfte nicht mehr reichen, um das zu tun, was zu tun ist. Vielleicht war die Aussage der Ärzte, dass er wegen seines Herzens nicht mehr zum Weltjugendtag nach Rio de Janeiro fahren kann, ausschlaggebend. An vielen Ecken und Enden spürt er, dass die Kräfte nicht mehr aussreichten, um die täglichen Dinge zu bewältigen. 

domradio.de:  Sie sind sehr bewegt?

Kardinal Meisner: Ja, ich muss langsam versuchen, das zu verstehen. Ich kenne ihn ja nun ein wenig. Er hat ein ungeheures Verantwortungsbewusstsein und diese Gründlichkeit seines Denkens und Arbeitens. Er wird gedacht haben, dass er das nicht mehr machen kann. Das ist dann auch nicht verantwortbar. Und ich glaube, dass seine Erfahrung mit den letzten Jahren seines Vorgängers Johannes Paul II. ihn zu diesem Schritt bewegt hat. Da musste der Präfekt er Glaubenskongregation Ratzinger mehr und mehr übernehmen. Er war ein Intimus von Johannes Paul II. Und das wollte er mal nicht ähnlich erleben, dass Ponitikat weiterzuführen ohne die Kräfte, selber zu entscheiden und angewiesen zu sein auf die Hilfe anderer. Da will er lieber die Verantwortung in andere Hände übergehen lassen. Eine nachvollziehbare Erklärung! Es ist ja nicht lange bis Ostern, und diese ganzen Termine überforderten den Papst. Und da meint er, das müsse er in jüngere Hände geben. Und der Weltjugendtag spielt auch eine Rolle. Wenn schon, dann zur richtigen Zeit der Rücktritt, damit zum Segen der Kirche ein Neuanfang geschenkt werde.

domradio.de: Wie bewerten Sie das das Pontifikat?

Kardinal Meisner: Voller Dankbarkeit und Bewunderung!  Was er theologisch und publizistisch alles geleistet hat! Eine enorme Leistung. Seine Ansprachen und Predigten waren ja alle druckreif und sind in Buchform herausgekommen. Wir haben einen gesegneten Theologen auf dem Stuhle Petri gehabt. Die orthodoxen Bischöfe haben mir gesagt, mit Benedikt XVI. sei einer der großen Kirchenväter des klassischen Christentums wiederauferstanden. Die haben alle seine Worte übersetzt für ihre Studenten! Es war ein großes Pontifikat, weniger quantitativ, aber qualitativ!

domradio.de: "Wir sind Papst", schrieb die Bild-Zeitung. Da ändert sich nun mit einem neuen Papst einiges, oder?

Kardinal Meisner: Ja, oder? Die Zukunft liegt ganz in der Hand Gottes. Der Herr wird den Kardinal zum Zuge kommen lassen, der der Geeigneste ist. Ich habe mir aber noch gar keine Gedanken gemacht über die Zukunft. Ich weiß nur: Päpste kommen und gehen, die Kirche bleibt. Da bin ich selber gespannt, wie der neue Papst aussehen wird.

domradio.de: Wie geht es denn mit Ihnen weiter?

Kardinal Meisner: Ich habe mein Schicksal nicht an diesen Papst gekoppelt, sondern an den Papst. Ich habe ordnungsgemäß mit Erreichen des 75. Lebensjahres meinen Rücktritt angeboten und habe die Antwort bekommen, bis auf Weiteres weiterzumachen. Ich habe keinen definiten Termin bekommen. Ich hoffe, dass ich mit 80 soweit bin und Benedikts Nachfolger auch so denkt. Wenn es früher ist, freue ich mich. Ich will ja dann nicht faulenzen, sondern mich einbringen, wo ich gebraucht werde. Ich schlafe ruhig, was meine Zukunft angeht! Aber ich bin traurig, dass wir eines Tages nicht mehr für Papst Benedikt XVI. beten werden!