Papst ruft internationale Gemeinschaft zur Hilfe für Syrien auf

Für ein Ende der Gewalt

Weil das Assad-Regime sie schützte, fürchten Syriens Christen den Zorn der Aufständischen. Wer fliehen kann, flieht. Doch Hunderte müssen in eingekesselten Städten ausharren, wie ihre muslimischen Landsleute auch. Das Land sei auf einem wahren "Abstieg in die Hölle", meint der päpstliche Nuntius in Syrien, Erzbischof Mario Zenari. Auch Papst Benedikt XVI. fordert mehr Einsatz für ein Ende des Syrien-Konflikts.

 (DR)

Für einen Ausweg aus der "Situation der Gewalt und der aktuellen Krise" dürfe man keine Anstrengung scheuen, sagte der Papst am Donnerstag im Vatikan vor Vertretern katholischer Ostkirchen-Hilfswerke. Benedikt XVI. mahnte die internationale Gemeinschaft zu humanitärer Hilfe für die notleidende syrische Bevölkerung sowie für die Flüchtlinge in den Nachbarländern.



Besorgt äußerte sich der Papst über eine wachsende Einschränkung der Religionsfreiheit für Christen im Nahen Osten. Dieses Recht werde unter der gegenwärtigen Instabilität "noch brüchiger". Er bekräftigte seine Forderung nach einer vollständigen Religionsfreiheit. Sie dürfe sich nicht nur auf die Kultausübung beziehen, sondern müsse auch das öffentliche Bekenntnis schützen. Für die Seelsorge, aber auch im Bildungs- und Sozialwesen sei Religionsfreiheit unerlässlich.



"Es ist jetzt essentiell, dass die internationale Gemeinschaft eingreift und diesen Abstieg in die Hölle mit allen Mitteln bremst", sagte der Botschafter des Papstes in Damaskus, Erzbischof Mario Zenari, im Interview mit Radio Vatikan. Er hat im Vatikan an der Vollversammlung der Hilfswerke für die orientalischen Kirchen (Roaco) teilgenommen. Der Diplomat legte einen eindringlichen Bericht aus Syrien vor. Das Land finde aus eigener Kraft offenbar nicht zurück. Die Staatengemeinschaft müsse mit einer Stimme sprechen, um Syrien auf den Weg des Friedens zurück zu helfen. Syrien brauche diese Hilfe. "Man muss alle Anstrengungen unternehmen, in alle Richtungen. Sonst landen wir wirklich in der Hölle", prophezeite der Vatikandiplomat.



Szenen wie in Homs dürften sich nicht wiederholen

"Wenn man gequälte, zerfetzte Kinder sieht - das ist unerträglich." Blutvergießen sei immer unerträglich. "Aber wenn man ermordete Kinder sieht, wie wir sie in den vergangenen Wochen gesehen haben, dann ist das ein Schlag ins Gewissen der internationalen Gemeinschaft." Die Staatengemeinschaft müsse eingreifen, solche Szenen dürfe es nie wieder geben, appellierte Zenari eindringlich.



Von den rund 20 Millionen Einwohnern Syriens sind rund 2 Millionen Christen, darunter 430.000 Katholiken. Seit Beginn der Kämpfe zwischen Rebellen und der Armee von Präsident Baschar al-Assad 2011 sind die Christen mehrfach zwischen die Fronten geraten.



Kirchen vor Ort warnen vor pauschalen Schuldzuweisungen

Vertreter der örtlichen katholischen Kirche kritisierten wiederholt eine einseitige Sichtweise des Bürgerkriegs im Westen und warnten vor pauschalen Schuldzuweisungen an das Assad-Regime. Sie verwiesen darauf, dass das Bild des Westens vor allem durch den arabischen Nachrichtensender Al-Dschasira geprägt werde. Dessen Berichterstattung sei jedoch parteiisch, weil er von Saudi-Arabien und Katar finanziert werde; diese unterstützten die Rebellen.



"Ich kann es einfach nicht verstehen", sagt Fahd. Der 30-jährige Syrier stammt aus Homs, der hart umkämpften Stadt in Syrien, wo Hunderte Menschen in Todesangst leben, weil sie zwischen den Fronten gefangen sind. Vor sechs Monaten sei das Leben noch völlig normal gewesen, nun sei Homs "eine tote Stadt", erzählt Fahd verzweifelt. "Ich kann nicht glauben, was da passiert." Regierungstruppen und Opposition kämpfen seit Wochen um die Kontrolle der Stadt. Viele Menschen sind geflohen, so auch Fahd und Teile seiner Familie. Diejenigen, die geblieben sind, bangen um ihr Leben.



Unabhängig von Religion: alle litten unter der Gewalt

Es ist schwer, überhaupt Kontakt zu ihnen zu bekommen. "Alle haben Angst und wollen am Telefon nicht reden", sagt Fahd, der sich nun in den Vereinigten Arabischen Emiraten aufhält. Fahd ist Christ, er kommt aus Hamidiyeh, dem christlichen Viertel in Homs, wo Hunderte Menschen wegen der blutigen Kämpfe eingesperrt sind. Auf seinem linken Unterarm trägt er ein Tattoo - ein langgezogenes schwarzes Kreuz. Doch Religion spiele keine Rolle, wenn es um Syrien geht, sagt er. Alle litten unter der Gewalt. "Die Kirchen sind zerstört, aber auch die Moscheen".



Die Straßen in Hamidiyeh in Homs sind laut Augenzeugenberichten menschenleer, Kirchen und Gebäude sind zerstört und ausgebombt, es fehlen Strom, Nahrung und medizinische Hilfe. Eine kleine Gruppe von Christen, die noch in Homs sind, appelliert verzweifelt an alle Seiten, den eingeschlossenen Bewohnern ein sicheres Geleit aus der Stadt zu gewähren. Der katholische Priester Michel Noman, schreibt auf einer Facebook-Seite, die dem Viertel gewidmet ist, er wolle den Menschen Mut machen: "Ich sage Ihnen, dass Leute daran arbeiten, dass wir rauskommen."



  Doch die Realität ist komplizierter. Das Internationale Rote Kreuz steht zwar bereit, um die Einwohner aus Homs zu evakuieren. Doch die Helfer können nichts tun. "Hunderte Zivilisten sind in der Altstadt von Homs eingeschlossen. Wegen der Kämpfe können sie die Stadt nicht verlassen, um Zuflucht in sicheren Gegenden zu finden", sagt Béatrice Mégevand-Roggo von der Hilfsorganisation.



Im Irak gerieten Christen zwischen die Fronten

In Syrien könnte sich wiederholen, was im Irak nach dem Sturz von Saddam Hussein 2003 passierte. Dort gerieten die Christen in den sektiererischen Konflikt zwischen den zwei wichtigsten islamischen Schulen - Schia und Sunni: Islamisten bombardierten Kirchen, Christen wurden getötet, gekidnappt, eingesperrt, gefoltert und zum Islam zwangsbekehrt. Im Jahre 2006 wurde der griechisch-orthodoxe Geistliche Boulos Iskander enthauptet, obwohl ein Lösegeld für ihn gezahlt worden war. Zwei Jahre später starb der Erzbischof von Mosul, Paulos Faraj Rahho, in den Händen seiner Geiselnehmer. Gut die Hälfte der irakischen Christen floh auf Grund der Bedrohung aus dem Land - ein Großteil davon in das benachbarte Syrien, wo sich die Geschichte nun zu wiederholen droht.



Einige in Homs befürchten, dass die christliche Minderheit von den syrischen Rebellen nun genutzt wird, um die Regierung weiter unter Druck zu setzen. Am Dienstag versicherte die Regierung, man sei bereit, die Zivilisten aus Homs zu evakuieren, doch die Oppositionskämpfer verhinderten dies. Die Opposition hingegen beschuldigt die Regierung, die Menschen in Homs nicht retten zu wollen.



Die Christen in Syrien standen bislang weitgehend auf der Seite des Assad-Regimes. Christen bekleiden wichtige Posten in der syrischen Regierung und der Armee. Assad, der selbst zu der muslimischen Splittergruppe der Alawiten gehört, während die Mehrheit des Landes Sunniten sind, hat sich um eine säkulare Politik bemüht, und den Minderheiten Religionsfreiheit und Schutz zugesichert.



Doch die Christen und andere religiöse Minderheiten bangen um ihre Zukunft. Viele, wie Fahd, sind bereits geflohen, weil niemand mehr sicher ist. Der Vater seiner Schwägerin sei von den Rebellen getötet worden, weil sie ihn beschuldigten, die Regierung zu unterstützen. "Er hat für die Stromwerke der Stadt gearbeitet", sagt Fahd und schüttelt den Kopf. "Das ist alles".