Benedikt XVI. besucht erstmals Kalabrien

Reise in ein "soziales Erdbebengebiet"

Es war eine Reise zum "Sorgenkind der Nation": Für einen Tag besuchte Papst Benedikt XVI. Kalabrien - die Region Italiens mit dem geringsten Bruttosozialprodukt je Einwohner, der höchsten Jugendarbeitslosigkeit und der gefährlichsten Verbrecherorganisation, der Ndrangheta.

Autor/in:
Thomas Jansen
 (DR)

Der Bürgermeister von Lamezia Terme nimmt gegenüber Benedikt XVI. kein Blatt vor den Mund: "Wir dürfen nicht zulassen, dass sich die Herrschaft krimineller Mächte in unserer Region immer mehr verstärkt", sagt Gianni Speranza. Auch gegen unredliche Unternehmen, Schwarzgeld und die Bedrohung von Priestern durch das organisierte Verbrechen müssten sich die Bürger zur Wehr setzen. Es war weniger eine Begrüßung als ein flammender Appell, mit dem das Stadtoberhaupt den Papst am Sonntag zu seinem ersten Besuch in einem der ärmsten und berüchtigtsten Landesteile Italiens empfing.



"Kalabrien ist nicht nur aus geologischer Sicht eine Erdbebenregion". Mit diesen Worten fasste Benedikt XVI. während einer Messe unter freiem Himmel in Lamezia Terme den betrüblichen statistischen Befund zusammen. Vor rund 40.000 Menschen prangerte er auf einem Industriegelände am Stadtrand eine "besorgniserregende Arbeitslosigkeit" und eine "oft grausame Kriminalität" an. Wer in Kalabrien sei, beschrieb der Papst eine durchaus verbreitete Erfahrung, habe ständig den Eindruck, Zeuge eines akuten Notfalls zu sein. Nicht einmal Sonnenschein, eines der wenigen Güter, die es in Kalabrien sonst im Überfluss gibt, wollte sich am Sonntag einstellen: Nach starken Regenfällen am Vortag schreckten die dunklen Wolken offenbar viele Menschen von der Teilnahme am Gottesdienst ab; ursprünglich waren mehr als 100.000 erwartet worden.



Benedikt XVI. ist jedoch nicht in die Spitze des italienischen Stiefels gereist, um den Kalabresen das zu sagen, was ohnehin schon alle wissen, sondern um das zu tun, was er als seine Mission ansieht: Den Menschen Mut zu machen. "Verfallt nicht der Versuchung des Pessimismus", ruft er den Gottesdienstbesuchern zu. Er ermuntert sie, sich auf die Kraft des Glaubens zu besinnen und ihre brachliegenden Talente und Fähigkeiten besser zu nutzen. Zugleich gibt Benedikt XVI. den Gläubigen jedoch auch eine Ermahnung mit auf den Weg: Materieller Reichtum ist nicht alles, letztlich kommt es allein auf den Glauben an. Viele Menschen stellten heute das Streben nach Wohlstand an erste Stelle und vernachlässigten darüber die Botschaft Jesu, monierte der Papst.



An den Heiligen Bruno aus Köln erinnert

In Serra San Bruno, der zweiten Station Benedikts XVI. in Kalabrien, hat das päpstliche Lob der ökologischen Bewegung vor dem Deutschen Bundestag anscheinend großen Eindruck hinterlassen. "Die grüne Seele der Welt", steht auf einem Plakat am Straßenrand, das Benedikt XVI. und seinen Vorgänger Johannes Paul II. zeigt. "Grüne" ist groß geschrieben, "Seele" klein. Johannes Paul II. hatte die abgeschieden auf einem Hochplateau 870 Meter über dem Meeresspiegel gelegene Stadt im Oktober 1984 besucht.



Zusammen mit der Wallfahrtskapelle Etzelsbach im Eichsfeld dürfte die Kartause von Serra San Bruno der abgelegenste und ruhigste Ort sein, den Benedikt XVI. in den vergangenen Monaten besucht hat. An dessen Gründer, den Heiligen Bruno aus Köln (1030-1101), hatte er schon im Angelus-Gebet am Mittag erinnert und ihn als Vorbild empfohlen. Tief enttäuscht und abgeschreckt von den Zuständen am Hof von Papst Urban II. (1088-1099), flüchtete der geistige Vater des Kartäuserordens im Jahr 1091 nach Kalabrien und gründete im heutigen San Serra Bruno eine Einsiedelei, in der er bis zu seinem Tod 1101 lebte.



Bruno habe mit seinem Glauben ein eindrückliches Zeichen in der Region hinterlassen, sagte der Papst. Er machte deutlich, dass die Welt im Allgemeinen und Kalabrien im Besonderen nur auf diese Weise grundlegend erneuert werden können. "Der Glaube der Heiligen verändert die Welt. Erneuert auch ihr heute mit demselben Glauben eurer geliebtes Kalabrien!"