Papst-Ruf nach "Entweltlichung" sorgt weiter für Diskussionen

Eine Rede mit Folgen

Auch eine Woche nach dem Deutschlandbesuch von Papst Benedikt XVI. hält die Diskussion über den Ruf des Papstes nach einer "Entweltlichung" von Kirche an. Der Mainzer Kardinal Karl Lehmann Benedikts Forderungen zwar verteidigt, aber auch zur Behutsamkeit gemahnt.

 (DR)

Die Aufforderung von Benedikt XVI. während seiner Deutschlandreise in Freiburg sei auf "blankes Unverständnis" gestoßen, schreibt der Bischof von Mainz in einem Beitrag für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" (Dienstag). Allerdings stehe hinter dessen Worten die Überzeugung, dass die Kirche zu weltlichen "verführerischen Mächten" Distanz wahren müsse, ohne sich aus der Verantwortung zu ziehen. "Man kann angesichts mancher Einwände gegen die Rede nur staunen, wie fremd und unbekannt dieses Verständnis der Kirche offenbar vielen geworden ist", so Lehmann.



Mit Blick auf die Debatte um die Kirchensteuer erinnerte der Kardinal an die historischen Wurzeln der Abgabe. Sie sei im 19. Jahrhundert nicht von der Kirche, sondern von den Herrschenden eingeführt worden, damit die Kirche den Staat mit karitativer Arbeit unterstützen könne. Zuvor sei sie wegen der Säkularisierung "bettelarm" gewesen. Indes hatte Benedikt XVI. in seiner Freiburger Rede erklärt, die Enteignung von Besitz der Kirche habe zu deren "Läuterung und inneren Reform wesentlich beigetragen". Lehmann gab zu bedenken, dass hieraus auch Anweisungen abgeleitet werden könnten "für jene, die die Kirche nicht wohlwollend erneuern, sondern kleinkriegen und in ihren Möglichkeiten grundlegend schwächen wollen".



Lehmann betonte, dass der Papst in seiner Rede den karitativen Helfern in der Kirche ausdrücklich gedankt habe. Er kritisierte aber, dass Benedikt XVI. unmittelbar danach erklärte, Agnostiker, die aufrichtig Gott suchten, seien näher an dessen Reich "als kirchliche Routiniers, die in ihr nur noch den Apparat sehen, ohne vom Glauben berührt zu sein". "Der Dank wird durch eine solche Sprache schal. Schade!", so Lehmann.



Kardinal Koch: Auf den Prüfstand

Nach Ansicht des Schweizer Kurienkardinals Kurt Koch gehören Besonderheiten der katholischen Kirche in Deutschland auf den Prüfstand. "Die unlösbare Verkoppelung von Kirchenzugehörigkeit und Kirchensteuerpflicht scheint mir in der Tat ein Problem zu sein, das ernsthaft angegangen werden muss", sagte der Präsident des Rates zur Förderung der Einheit der Christen, am Montag dem österreichischen Internetportal kath.net.



Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch warnte unterdessen gegenüber der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) davor, vorschnelle Schlüsse aus der Papstrede zu ziehen. Sicher provoziere die Ansprache Nachfragen, räumte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz ein. Aber vielleicht habe Benedikt XVI. gerade "uns Deutschen, die gerne organisieren, strukturieren und reformieren", nochmals einschärfen wollen: "Lasst euch vom Geist des Evangeliums leiten; Strukturen sind nur Mittel und niemals Zweck kirchlichen Handelns", so der Erzbischof weiter. "Das haben wir im Blick für den Weg der Kirche in die Zukunft."



Benedikt XVI. hatte in Freiburg - der letzten Station seiner Deutschlandreise - die katholische Kirche in Deutschland ermahnt, nicht auf weltliche Privilegien zu setzen und ihren Auftrag in der Welt konsequenter zu erfüllen. Zugleich hatte er die Frage aufgeworfen, ob nicht die deutsche Kirche in ihren Strukturen und Organisationen stärker sei als in ihrem Glauben. Ob der Papst damit auch eine Reform des Kirchensteuerwesens oder gar eine Abschaffung der bisherigen Finanzierung zur Diskussion stellen wollte, war seither auch immer wieder Thema der Berichterstattung in den Medien.



Erstaunter Nuntius

Die zusätzlich zur Kirchensteuer aus den Ländern fließenden sogenannten Dotationen stehen laut einem Bericht des "Spiegel" (Samstag) allerdings vorerst nicht zur Disposition. Sowohl bei den Grünen im Saarland als auch bei den Liberalen in Schleswig-Holstein gebe es bislang keine neuen Ergebnisse, so das Nachrichtenmagazin. Beide Parteien hatten in der jüngsten Vergangenheit unter Verweis auf die finanziellen Belastungen der Länder einen Ausstieg aus den teilweise bis ins 19. Jahrhundert und länger zurückreichenden Zahlungsverpflichtungen gefordert. Laut "Spiegel" erhält die katholische Kirche durch Entschädigungen für Enteignung von Kirchenbesitz rund 190 Millionen Euro im Jahr. Beide Kirchen erhalten nach Schätzungen von Kirchenrechtlern zusammen rund 450 Millionen Euro.



Der Apostolische Nuntius in Deutschland, Erzbischof Jean-Claude Perisset, reagierte unterdessen erstaunt auf die Debatten nach der Rede des Papstes. "Der Papst hat uns an unsere Grundhaltung als Jünger Christi erinnert: Diener in der Gesellschaft zu sein", sagte Perisset der KNA. Auch der Vorgänger Johannes Paul II. habe gefordert, dass Christus das Programm der Kirche sein müsse. Er sehe in der Freiburger Rede deswegen "nichts Neues unter der Sonne, sondern eine strahlende Äußerung des Christseins".