Papst kritisiert Zustand von Kirche und Gesellschaft

Treffen mit Laienvertretern

Papst Benedikt XVI. hat sich beim Treffen mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) sehr kritisch zum Zustand von Gesellschaft und Kirche in Deutschland geäußert. Es gebe viel Armut in den menschlichen Beziehungen und im religiösen Bereich, sagte das Kirchenoberhaupt am Samstag in Freiburg. In der katholischen Kirche gebe es einen "Überhang an Strukturen gegenüber dem Geist".

 (DR)

Die Kirche sei "bestens organisiert", aber man müsse sich fragen, ob dahinter auch eine entsprechende geistige Kraft stecke, sagte der Papst. Mit Blick auf den kirchlichen Dialogprozess in Deutschland forderte Benedikt XVI. "neue Wege der Evangelisierung". Als Möglichkeit schlug er "kleine Gemeinschaften" vor, in denen "Freundschaften gelebt und in der regelmäßigen Anbetung vor Gott vertieft werden". Die Kirche in der westlichen Welt befinde sich in einer Glaubenskrise. Das Kirchenoberhaupt würdigte zugleich das Engagement der katholischen Laien für Kirche und Gesellschaft.



Das vom Papst vorgeschlagene Konzept der "Kleinen Christlichen Gemeinschaften" stammt aus Afrika und Asien. Dabei treffen sich Kollegen, Freundeskreise oder Nachbarschaften regelmäßig, um den Glauben zu teilen, gemeinsam zu beten und in der Bibel zu lesen. Sie sollen als Keimzellen einer Neuevangelisierung wirken, aber immer an die Gemeinde und die sonntägliche Eucharistiefeier angebunden sein.



Mit Blick auf die Gesellschaft kritisierte der Papst einen "übersteigerten Individualismus" und ein abnehmendes Engagement für das Gemeinwohl sowie im sozialen und kulturellen Bereich. Viele Menschen seien nicht mehr bereit, sich uneingeschränkt an einen Partner zu binden. Es gebe zudem eine wachsende Zahl von Menschen, "denen die Erfahrung der Güte Gottes fehlt". Zu den Kirchen und ihren überkommenen Strukturen fänden sie keinen Kontakt mehr.

Deshalb müsse die Kirche neue Anstrengungen zur Evangelisierung unternehmen.



Vertrauensverlust nachhaltig spürbar

ZdK-Präsident Alois Glück erklärte, der Schock des Missbrauchsskandals habe "die katholische Kirche in Deutschland im Innern und ihre gesellschaftliche und öffentliche Position verändert. Der große Vertrauensverlust ist nachhaltig spürbar". Er dankte Papst und Bischöfen für ihre "unmissverständliche Position zu den Tatsachen des schrecklichen sexuellen Missbrauchs und zu den notwendigen Konsequenzen". Ausdrücklich würdigte er den von den deutschen Bischöfen in der Folge des Missbrauchsskandals ausgerufenen Dialogprozess und zitierte die Worte des Papstes, nach denen "Laien nicht mehr nur als "Mitarbeiter" des Klerus betrachtet werden dürfen, sondern als wirklich "mitverantwortlich" für das Sein und Handeln der Kirche erkannt werden müssen".



Glück mahnte Reformen an, um die weitere Entfremdung und den Auszug vieler Gläubiger aus der Kirche zu verhindern. Es gehe nicht um eine vordergründige Modernisierung oder Anpassung der Kirche. "Uns bewegt vielmehr die Frage, wie wir Jesus Christus und seine Botschaft den Menschen von heute vermitteln können." Als vordringlich bezeichnete Glück insbesondere eine "barmherzigen Pastoral", also eine stärkere Zuwendung der Kirche zu Menschen, die Brüche und Krisen in ihrem Leben erfahren haben. Kürzlich hatte sich der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch für einen veränderten seelsorglichen Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ausgesprochen.



Der ZdK-Präsident verwies auch auf einen immer größeren Priestermangel und die Schaffung immer größerer Seelsorgeeinheiten in Deutschland. Damit sei ein Rückzug der Kirche aus den sozialen Nahräumen verbunden; Glaube und Kirche könnten immer weniger in Gemeinschaft erlebt werden. "Deshalb ist hier die Zusammenarbeit und die Aufgabenverteilung zwischen Priestern und Laien besonders wichtig."