Papst Benedikt XVI. kommt in Erfurt mit Protestanten zusammen

Das Gemeinsame im Blick

Für viele war die Begegnung des Papstes mit Vertretern der Evangelischen Kirche der Höhepunkt seiner Reise. Und er fand die richtigen Worte: Benedikt XVI. warnte davor, Gemeinsamkeiten zwischen den Kirchen aus dem Blick zu verlieren. Zugleich würdigte er Martin Luther.

 (DR)

"Das Notwendigste für die Ökumene ist zunächst einmal, dass wir nicht unter dem Säkularisierungsdruck die großen Gemeinsamkeiten fast unbemerkt verlieren", sagte das katholische Kirchenoberhaupt am Freitag während des halbstündigen Gesprächs im Erfurter Augustinerkloster. Die Gefahr, die Gemeinsamkeiten zu verlieren, "ist leider nicht irreal".



Die mit 15 Minuten Verspätung begonnene ökumenische Begegnung im Erfurter Augustinerkloster, eine Wirkungsstätte von Martin Luther (1483-1546), gilt als einer der Höhepunkte der viertägigen Papstbesuches in Deutschland. Für das Treffen von Spitzenvertretern der evangelischen und katholischen Kirche war eine halbe Stunde eingeplant. Anschließend findet ein ökumenischer Wortgottesdienst mit rund 300 geladenen Gästen in der Augustinerkirche statt.



Papst würdigt Luther

In seiner Ansprache im Augustinerkloster, in dem Luther im Jahr 1507 zum Priester geweiht wurde, würdigte der Papst den Reformator. Luther habe die Frage nach Gott umgetrieben, sagte Benedikt. Diese Frage sei "Leidenschaft und Triebfeder seines Lebens und seines Weges" gewesen: "Theologie war für ihn keine akademische Angelegenheit, sondern das Ringen um sich selbst, und dies wiederum war ein Ringen um Gott und mit Gott." Auf ökumenische Streitfragen wie ein gemeinsames Abendmahl und das unterschiedliche Amtsverständnis in den Kirchen ging das Oberhaupt der katholischen Kirche nicht ein. Auch den Umgang mit konfessionsverschiedenen Ehepaaren sparte er aus.



Als Fehler der Vergangenheit benannte der Papst, "dass wir weithin nur das Trennende gesehen und gar nicht existenziell wahrgenommen haben, was uns mit den großen Vorgaben der Heiligen Schrift und der altchristlichen Bekenntnisse gemeinsam ist". Es sei "ein großer Fortschritt, dass uns diese Gemeinsamkeit bewusst geworden ist".



Gegenseitige Hilfe

Angesichts der Säkularisierung in Deutschland rief der Papst katholische wie evangelische Kirche dazu auf, sich gegenseitig zu helfen. "Die Abwesenheit Gottes in unserer Gesellschaft wird drückender", sagte er. Dagegen helfe nicht die Verdünnung des Glaubens sondern nur, den Glauben "ganz zu leben in unserem heute". Dies sei eine zentrale ökumenische Aufgabe, fügte Benedikt hinzu.



"Die Geografie des Christentums hat sich in jüngster Zeit tiefgehend verändert und ist dabei, sich weiter zu verändern", benannte der Papst als Problem. Vor neuen Formen des Christentums, die sich mit "manchmal beängstigender missionarischer Dynamik" ausbreiteten, stünden die klassischen Konfessionskirchen ratlos da. An die anwesenden Vertreter von katholischer wie evangelischer Kirche richtetet er daher die Frage nach "dem bleibend Gültigen" und dem, was anders werden muss.



Mit Blick auf Korruption, Gier, Genusssucht, Drogenmissbrauch und wachsende auch religiös motivierte Gewalt in der Welt sei Martin Luthers Suche nach einem gnädigen Gott auch für heute relevant: "Das Böse ist keine Kleinigkeit." Luthers Frage nach einem gnädigen Gott "trifft mich immer wieder neu", bekannte der Papst. "Wie steht Gott zu mir, wie stehe ich vor Gott - diese brennende Frage Martin Luthers muss wieder neu und gewiss in neuer Form auch unsere Frage werden", sagte Benedikt.



Schneider spricht auch gemeinsames Abendmahl an

Der Vorsitzenden des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider, ermunterte beim Treffen des Papstes mit führenden Vertretern der evangelischen Kirche die katholische Kirche, konkrete Fortschritte für konfessionsverbindende Ehen und Familien sowie bei beim gemeinsamen Abendmahl zu ermöglichen.



Schneider mahnte konkrete Fortschritte in der Ökumene an. Er äußerte die Hoffnung, dass die Kirchen ihren "Eigen-Sinn" überwinden und "getrennt gewachsene Traditionen als gemeinsame Gaben" verstehen könnten. "Danach sehnen sich viele Menschen in allen Regionen Deutschlands." Zwar hätten die Kirchen frühere Feindschaften überwunden und lebten ihren Glauben schon vielfach gemeinsam; zudem erkennten die Kirchen das Sakrament der Taufe wechselseitig an. "Das ist ein großer Fortschritt", betonte der Ratsvorsitzende. Damit könnten die Kirchen aber noch nicht zufrieden sein.



Schneider, der den Papst als "Bruder in Christus" anredete, ermunterte das Kirchenoberhaupt, Luther als "Scharnier zwischen unseren Kirchen zu verstehen, weil er zu beiden Kirchen gehört". Die Reformatoren hätten die Reformation als Umkehr der Kirche zu Christus verstanden. Der Ratsvorsitzende versicherte, dass die evangelische Kirche das Reformationsjubiläum 2017 nicht im "Geist triumphalistischer Großspurigkeit" begehen werde. Er bat den Papst, "den 31. Oktober 2017 als ein Fest des Christusbekenntnisses zu verstehen und mit den Kirchen der Reformation zu feiern, so dass wir alle in ökumenischer Verbundenheit Christus bezeugen". Die Landesbischöfin Ilse Junkermann würdigte den Papstbesuch im Augustinerkloster als wichtiges ökumenisches Zeichen.



Papst dämpft Hoffnung auf schnelle Ökumene-Fortschritte

Beim anschließenden ökumenischen Gottesdienst im Erfurter Augustinerkloster forderte Benedikt XVI. von den Kirchen ein gemeinsames Eintreten für Menschenwürde und Menschenrechte. Sie sollten nicht nur Spaltungen beklagen, sondern "Gott für alles danken, was er uns an Einheit erhalten hat und immer neu schenkt", sagte der Papst am Freitag im Gottesdienst im Erfurter Augustinerkloster. "Unser erster ökumenischer Dienst in dieser Zeit muss es sein, gemeinsam die Gegenwart des lebendigen Gottes zu bezeugen und damit der Welt die Antwort zu geben, die sie braucht." Es war der erste ökumenische Gottesdienst eines Papstes in einem evangelischen Sakralgebäude in Deutschland. Daran nahmen auch Bundespräsident Christian Wulff und Bundeskanzlerin Angela Merkel teil.



Zugleich dämpfte das Kirchenoberhaupt Hoffnungen auf schnelle ökumenische Fortschritte. Voraussetzung für größere Gemeinsamkeit sei ein "gemeinsames Hineindenken und Hineinleben in den Glauben". Die Kirchen könnten nicht wie Politiker mit Kompromissen zu Verhandlungsergebnissen kommen. "Im Vorfeld des Papstbesuchs war verschiedentlich von einem ökumenischen Gastgeschenk die Rede, das man sich von diesem Besuch erwarte", wies Benedikt XVI. Erwartungen zurück. "Dazu möchte ich sagen, dass dies ein politisches Missverständnis des Glaubens und der Ökumene darstellt."



Ansatzpunkte für gemeinsames Handeln der Kirchen sieht der Papst insbesondere bei der Auseinandersetzung mit Genforschung und Biomedizin sowie bei der Gestaltung der Globalisierung. "Wir leben in einer Zeit, in der die Maßstäbe des Menschseins fraglich geworden sind. Demgegenüber müssen wir als Christen die unantastbare Würde des Menschen verteidigen, von der Empfängnis bis zum Tod - in den Fragen von PID bis zur Sterbehilfe", sagte das Kirchenoberhaupt. Die christliche Nächstenliebe verlange auch den Einsatz der Christen für Gerechtigkeit in der Welt.



"Wir haben ein Fundament, das Wort Gottes"

Benedikt XVI. dankte allen, die sich um ökumenische Fortschritte bemühen. Besonders erwähnte er den Mainzer Kardinal Karl Lehmann. Er war führend an einer "Gemeinsamen Ökumenischen Kommission" beteiligt, die 1980 im Anschluss an den Deutschland-Besuch von Papst Johannes Paul II. von der Deutschen Bischofskonferenz und dem Rat der EKD gegründet wurde. Sie veranlasste ein Studienprojekt "Lehrverurteilungen - kirchentrennend?", das wichtige Vorarbeiten zur gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre zwischen Vatikan und Lutherischem Weltbund leistete.



Die Präses der Synode der evangelischen Kirche in Deutschland, Katrin Göring-Eckardt, wertete den Gottesdienst im Augustinerkloster als Zeichen der gemeinsamen Sehnsucht von Katholiken und Protestanten nach Gott. "Wir haben ein Fundament, das Wort Gottes, und wir haben einen gemeinsamen Grund, die Heilige Taufe", sagte sie.



Göring-Eckardt erinnerte an das Glaubenszeugnis der Christen in der DDR. Luthers Satz: "Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan" sei für sie ein kämpferisches Wort gewesen. "Wir konnten getrost wissen, dass Gott größer ist, größer als die kleinbürgerliche SED sowieso, größer als die martialische Stasi aber eben auch. Und gewiss größer als das ganze heuchlerische, unterdrückerische System, das die Menschen klein und den Glauben unsichtbar machen wollte." Aus der Geschichte habe man lernen können: "Wenn man Mauern zu lange bewacht, Mauern aus Stein und Mauern aus Schweigen, dann brechen sie von innen auf, weil die Menschen von der Freiheit wissen."



Bei seiner Ankunft in Erfurt war der Papst von Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) empfangen worden. Anschließend besuchte er den Erfurter Dom.