Erfurt blickt auf bemerkenswerte ökumenische Geschichte zurück

Auf "beiden Schultern" getragen

Wenn Papst Benedikt XVI. am Freitag in Erfurt mit Vertretern des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland zusammentrifft, erfolgt die Begegnung an einem Ort, der eine bemerkenswerte ökumenische Geschichte hat.

Autor/in:
Norbert Zonker
 (DR)

Obwohl die Stadt nicht zu den Reichsstädten zählte, die von der Formel des Augsburger Religionsfriedens ("Cuius regio, eius religio") ausgenommen waren, lebten Protestanten und Katholiken hier fast ununterbrochen friedlich zusammen.



Martin Luther verbrachte im Erfurter Augustinerkloster in der Zeit von 1501 bis 1511 - mit Unterbrechungen - prägende Jahre, noch bevor er sich zum Reformator entwickelte. Die Stadt in der Gera-Aue, in der Bonifatius, der "Apostel der Deutschen", im Jahr 742 ein Bistum gegründet hatte (dessen Gebiet aber schon bald dem Bistum Mainz zugeschlagen wurde), hatte damals schon eine lange christliche Tradition. Im Mittelalter galt Erfurt als kirchenreichste Stadt Mitteldeutschlands. 1521 predigte Luther in der überfüllten Augustinerkirche, und die Stadt wandte sich zunächst mehrheitlich der Reformation zu. Wenige Monate später entlud sich die Stimmung gegen den Klerus im gewaltsamen "Erfurter Pfaffensturm"; die katholischen Geistlichen wurden vertrieben.



Wirkmächtig war der Hammelburger Vertrag von 1530 zwischen dem Erzbischof von Mainz und dem Rat der Stadt Erfurt, in dem eine Gleichberechtigung der Konfessionen festgeschrieben wurde, die über Jahrhunderte Bestand hatte. Die Katholiken erhielten acht Pfarreien, die beiden Stiftskirchen Sankt Marien und Sankt Severi sowie das Peterskloster zurück. Die konfessionelle Balance bildete für den Stadtrat eine wichtige Voraussetzung für inneren Frieden und außenpolitische Stabilität. Zeitgenossen sprachen vom "Tragen auf beiden Schultern", womit das Verhältnis zum katholischen Landesherrn in Mainz ebenso wie zum evangelischen Schutzherrn Sachsen, zum Kaiser und den katholischen Reichsständen wie zu den evangelischen Fürsten gemeint war. Die Universität war die einzige in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, an der katholische und evangelische Theologie gelehrt wurden.



Ökumene längst fest etabliert

Die Phase relativer Stabilität endete mit dem Dreißigjährigen Krieg.  Ab 1664 war Erfurt Provinzstadt des katholischen Kurmainz, ohne dass dies zur Unterdrückung der Protestanten geführt hätte. 1802 kam Erfurt schließlich zu Preußen und verblieb dort bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs. Auch die Kirchenstrukturen wurden infolgedessen neu geordnet. Katholischerseits wurden 1821 die Pfarrgemeinden der Stadt dem Bistum Paderborn zugeschlagen. Mit der Neuordnung der katholischen Kirche 1929/30 im Preußenkonkordat kamen sie zum Bistum Fulda. Auf evangelischer Seite wurden die von Preußen gewonnenen Gebiete Thüringens mit der Altmark und den Territorien der früheren Bistümer Halberstadt und Magdeburg zur Provinz Sachsen zusammengefasst. Die Kirchenprovinz Sachsen gehörte damit zur Evangelischen Kirche der altpreußischen Union. Zur selbstständigen Landeskirche wurde sie erst 1946.



Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte besonders die katholische Kirche große Veränderungen zu bewältigen. Für die Verwaltung entstand das Bischöfliche Amt Erfurt-Meiningen, zudem wurden in Erfurt das zentrale Priesterseminar sowie eine kirchliche Hochschule, das "Theologische Studium", für alle Katholiken in der DDR gegründet. Die Wiedervereinigung Deutschlands führte dann zu den heutigen kirchlichen Strukturen: 1994 wurde katholischerseits das Bistum Erfurt zum zweiten Mal gegründet. Bei den Protestanten schlossen sich 2008 die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen zur Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland zusammen.



Die Verfolgungen und Bedrängungen unter der Herrschaft der Nationalsozialisten und anschließend des DDR-Sozialismus ließen die Christen auch in Erfurt enger zusammenrücken. Sowohl auf Kirchenleitungsebene als auch in den Gemeinden ist die Ökumene längst fest etabliert.