Bundespräsident und Papst sprechen in ihren ersten Reden auch heikle Punkte an

Klare Worte von Beginn an

Schon die ersten offiziellen Ansprachen im Rahmen des Papstbesuches Benedikt XVI. wiesen die Richtung: Nicht nur freundliches Geplänkel, sondern auch das Ansprechen heikler Punkte. Papst Benedikt XVI. betonte, die Gesellschaft bedürfe einer tiefgreifenden kulturellen Erneuerung und der Wiederentdeckung von Grundwerten, auf denen eine bessere Zukunft aufgebaut werden könne. Bundespräsident Wulff appellierte an die katholische Kirche, mehr Barmherzigkeit zu zeigen und sich zu öffnen.

 (DR)

Papst Benedikt XVI. hat zum Start seiner Deutschlandreise die Bedeutung der Religion für das menschliche Zusammenleben hervorgehoben. Die Religion sei eine Grundlage für ein gelingendes Miteinander, sagte das katholische Kirchenoberhaupt bei seinem Treffen mit Bundespräsident Christian Wulff am Donnerstag im Garten von Schloss Bellevue in Berlin. Es bedürfe "für unser Zusammenleben einer verbindlichen Basis, sonst lebt jeder nur noch seinen Individualismus".



Der Papst äußerte sich überzeugt, dass sein offizieller Besuch "die guten Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Heiligen Stuhl weiter festigen wird". Er sei aber nicht in erster Linie gekommen, "wie es andere Staatsmänner zu Recht tun, um bestimmte politische und wirtschaftliche Ziele zu verfolgen, sondern um den Menschen zu begegnen und über Gott zu sprechen".



Über sein Heimatland sagte Benedikt: "Die Bundesrepublik Deutschland ist durch die von der Verantwortung vor Gott und voreinander gestaltete Kraft der Freiheit zu dem geworden, was sie heute ist." Deutschland brauche "diese Dynamik, die alle Bereiche des Humanen einbezieht, um unter den aktuellen Bedingungen sich weiter entfalten zu können".



Wulff verteidigt Papstreise und mahnt kirchliche Öffnung an

Bundespräsident Christian Wulff hat die Deutschlandreise von Papst Benedikt XVI. gegen Kritik verteidigt. Der Besuch werde die Christen stärken und "uns allen helfen, Orientierung und Maßstäbe zu finden", sagte Wulff in seiner Ansprache. Die Begrüßung des Papstes in Wulffs Amtssitz Schloss Bellevue bildete den Auftakt des viertägigen Deutschlandbesuchs von Benedikt XVI.



Wulff unterstrich, in Deutschland und andernorts wachse eine "Sehnsucht nach Sinn". Darin liege eine Chance und Verantwortung für die Kirchen und Religionsgemeinschaften. Zugleich seien religiöse Bindungen nicht mehr selbstverständlich. An den Papst gewandt sagte der Bundespräsident: "Sie kommen in ein Land, in dem der christliche Glaube sich nicht mehr von selbst versteht, in dem die Kirche ihren Ort in einer pluralen Gesellschaft neu bestimmen muss."



Wulff rief die Kirchen auf, sich "trotz Sparzwängen und Priestermangel" nicht auf sich selbst zurückzuziehen. Der Bundespräsident weiter: "Was die christlichen Kirchen leisten, in Diakonie und Caritas in der Sorge um Arme und Schwache in unserem Land und überall auf der Welt, das ist einfach großartig und unverzichtbar für den Zusammenhalt!" Kirche und Staat seien in Deutschland zu Recht getrennt. Aber Kirche dürfe sich nicht als "Parallelgesellschaft" verstehen: "Sie lebt mitten in dieser Gesellschaft, mitten in dieser Welt und mitten in dieser Zeit."



Wulff appellierte an die katholische Kirche, mehr Barmherzigkeit zu zeigen und sich zu öffnen. So sei zu fragen, wie sie "mit Brüchen in der Lebensgeschichte von Menschen" umgehe oder welchen Platz Laien neben Priestern und Frauen neben Männern hätten. Als weiteres Thema nannte das Staatsoberhaupt die Auseinandersetzung mit dem Thema Missbrauch und den ökumenischen Dialog. Er freue sich, so Wulff, dass die deutschen Bischöfe einen Dialogprozess zur Zukunft der Kirche begonnen hätten. "Ich weiß aus vielen Gesprächen, dass nicht nur die Laien davon sehr viel erwarten", sagte der Bundespräsident, der katholisch ist und nach einer Scheidung wieder geheiratet hat.



Papst spricht im Flieger über Proteste und Missbrauch

Während seines Fluges nach Deutschland hatte Papst Benedikt XVI. Verständnis für die Proteste in seinem Heimatland geäußert. "Proteste sind normal in einem säkularisierten demokratischen Land", sagte Benedikt XVI. in einem kurzen Gespräch mit den mitreisenden Journalisten. Viele hätten aber auch "große Erwartungen und große Sympathie für den Papst". Und in vielen Bereichen der deutschen Bevölkerung gebe es auch eine wachsende Sehnsucht nach einer Stimme der Moral in der Gesellschaft.



Auch zum Thema Missbrauch äußerte sich der Papst: "Ich kann verstehen, dass angesichts von Verbrechen wie dem sexuellen Missbrauch Minderjähriger durch Priester, Personen, die den Opfern nahestehen, sagen: Dies ist nicht meine Kirche, die Kirche ist eine Kraft der Humanität und Moral und wenn ihre eigenen Leute das Gegenteil tun, kann ich nicht mehr in dieser Kirche sein". Die Kirche müsse lernen, solche Skandale auszuhalten und jeden Missbrauch entschieden bekämpfen.



Er freue sich sehr auf den Besuch, betonte der Papst, der insgesamt vier Journalistenfragen beantwortete - drei davon auf deutsch, eine auf italienisch. Ganz besonders freue er sich auf die Begegnung mit den evangelischen Christen, ergänzte Benedikt XVI. Von Beginn der Reiseplanungen an habe er die Ökumene als bedeutenden Akzent seiner Reise verstanden.



Er sei den evangelischen Christen dankbar, dass es an der historischen Stätte des ehemaligen Augustiner-Klosters in Erfurt, wo Martin Luther seine theologische und geistliche Ausbildung erhalten habe, zu einer Begegnung komme. Gerade in der säkularisierten Gesellschaft heute sei das gemeinsame Zeugnis der Christen dringend notwendig, auch wenn es zwischen evangelischen und katholischen Christen weiterhin beachtliche Differenzen gebe, so der Papst.



Die Frage, ob er sich nach mehr als 30 Jahren im Vatikan noch als Deutscher fühle, beantwortete der Papst mit einem klaren Ja. Er sei aufgrund seiner Geburt, durch die sprachliche Formung und durch die Kultur des Landes - mit seiner Größe und Schwere - geprägt, sagte er. Auch heute lese er weiterhin mehr Bücher auf Deutsch als in anderen Sprachen. Aber für den Christen komme durch die Taufe die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft der Kirche hinzu, zumal er oberste Verantwortung für diese Kirche habe, so der Papst.



Merkel spricht mit Papst über Europa und Finanzmärkte

Am Tag des Papstbesuches läuft auch für eine Bundeskanzlerin nicht alles wie gewohnt: "Ich muss doch noch irgendwo meinen Mann treffen", sagt Angela Merkel und blickt ihre Sicherheitsbeamten fragend an. Diese geleiten die Kanzlerin nach ihrem Gespräch mit dem Papst durch die vielen Gänge der Katholischen Akademie in Berlin.



In einem kleinen Innenhof am Sitz der Deutschen Bischofskonferenz informiert die CDU-Vorsitzende über ihr Treffen mit Papst Benedikt XVI., zum dem auch ihr Ehemann Joachim Sauer dazukam. Merkel spricht vor einer Marienstatue, schräg über ihr, auf dem Dach der Akademie, liegen Scharfschützen. Das Gebäude ist weiträumig abgesperrt, Delegationen können nur im Laufschritt mit den Sicherheitsbeamten Schritt halten.



Merkel, begleitet von Erzbischof Robert Zollitsch und Prälat Karl Jüsten, erzählt, dass vor allem die Themen Europa und die Finanzmärkte zur Sprache gekommen seien. Dabei sei deutlich geworden, dass die Politik "die Kraft haben sollte, für die Menschen zu gestalten, und nicht getrieben zu sein". Das sei eine sehr große Aufgabe im Zeitalter der Globalisierung.



Als Geschenk überreichte Merkel dem Papst ein Notenblatt mit gregorianischen Gesängen aus einem deutschen Messbuch aus dem 14. bis 17. Jahrhundert. Der Papst revanchierte sich mit einer Majolika, einer Keramik, verziert mit einem Brunnenmotiv aus den vatikanischen Gärten.



Freundliche Atmosphäre bei Gespräch

Vor dem Besuch hatte es Irritationen über den Ort des Treffens gegeben. Merkel wollte den deutschen Papst gerne im Kanzleramt empfangen, der Papst präferierte die Nuntiatur in Berlin-Neukölln, seine Botschaft in der Hauptstadt. Die Wahl fiel dann auf einen neutraleren Ort, die Katholische Akademie am Berliner Sitz der Deutschen Bischofskonferenz. Merkel sagt dazu nun diplomatisch, sie freue sich, dass der Papst "nicht nur in der schönen Nuntiatur ist, die wunderbar ist, sondern auch am Sitz der Deutschen Bischofskonferenz und hier in der Katholischen Akademie, die auch mir persönlich sehr viel bedeutet". Geistiges Leben im Zeichen des Christentums zeichne diesen Ort aus.



Papst-Sprecher Federico Lombardi ergänzt hinterher, das Gespräch habe in "sehr freundlicher Atmosphäre" stattgefunden, die Papst-Kritik von Merkel aus dem Jahr 2009 wegen der Rehabilitierung des Holocaust-Leugners Richard Williamson habe die Unterredung "absolut nicht" belastet. Vielmehr habe der Papst die Gelegenheit genutzt, seine große Wertschätzung für Deutschland auszudrücken. Hervorgehoben habe der auch die wichtige Rolle Deutschlands in der Euro-Krise.