Der Regensburger Bischof Müller über den Papstbesuch in Berlin und die Lage der Kirche

Zeichen gegen den "aggressiven Atheismus"

Der Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Müller erwartet vom Papstbesuch in Berlin im September ein deutliches Signal gegen kirchenfeindliche Tendenzen in der Politik. Es sei gut, dass Benedikt XVI. als bedeutendster Vertreter des Christentums auf Weltebene im Bundestag sprechen werde, sagt der Bischof im Interview. Kritikern erteilt er eine klare Absage.

 (DR)

dapd: Herr Bischof, der Papst kommt zum dritten Mal in seine Heimat, aber erstmals zu einem Staatsbesuch. Was erhoffen Sie sich?

Bischof Müller: Wir sind ein naturrechtlich begründeter Staat, weder religiös noch säkularistisch. Das katholische und evangelische Christentum sind nach wie vor wichtig für die Grundwerte des Zusammenlebens. Deshalb ist es gut, dass der Papst auch im Bundestag spricht - nicht so sehr als Staatsoberhaupt, das ist vielleicht der äußere Rahmen - sondern als bedeutendster Vertreter der christlichen Tradition auf Weltebene. Ich glaube, das ist ein ganz wichtiges Zeichen gegenüber dem aggressiven Atheismus, der meint, man könne den Staat zu einem Instrument machen, um das Christentum in den privaten Raum zurückzudrängen. Religion ist keine Privatsache. Es ist ein Menschenrecht, seine Religion öffentlich zu bekennen und zu praktizieren.



dapd: Gegen die Papst-Rede im Bundestag gab es Widerstand.

Bischof Müller: Von Leuten mit einem Staatsverständnis der alten Art: Früher hat die Obrigkeit bestimmt, ob das Land evangelisch oder katholisch war. Jetzt meint man, die Obrigkeit bestimmt, dass wir ein säkularistischer Staat sind. Das ist vormodern! Das widerspricht dem Grundgesetz und dem Menschenrecht auf freie Religionsausübung. Der Staat ist weltanschaulich neutral, begünstigt keine Religionsgemeinschaft, unterstützt sie aber all in dem, was sie für das Allgemeinwohl tut.



dapd: Berlin wird oft als atheistische Stadt bezeichnet. Was erwartet den Papst dort?

Bischof Müller: Berlin ist keine atheistische Stadt und das ist gut so! Der Atheismus ist eine private Weltanschauung, aber nicht die offizielle Philosophie eines Bundeslandes. Ich weiß nicht, ob die Leute, die nicht getauft sind, sich vor den Karren militanter Kirchengegner spannen lassen! Es gibt viele Menschen, denen der Glaube durch totalitäre Staatsideologien vorenthalten wurde und die nie die Chance hatten, positiv mit dem Christentum in Kontakt zu kommen. Viele sind auf der Suche und spüren, dass der Mensch nicht nur Teil der biologischen Natur ist und nach dem Tod wieder verschwindet, sondern dass die Sinndimension des Menschen seine materielle Basis bei Weitem überschreitet.



dapd: Sie haben einmal Berlin als "großes Missionsfeld" bezeichnet...

Bischof Müller: Und bin von Leuten wie Gregor Gysi gleich kritisiert worden. Die karikieren Mission so: Da kommt ein Missionar an, bindet die Heiden an einen Baum und zwingt sie zur Taufe. Mission ist jedoch die Verkündung Christi. Es ist ein Angebot. Ein Glaube, der erzwungen wäre, ist ein Widerspruch in sich. Glaube führt ins weite Land der Freiheit.



dapd: Aber es wird in Berlin Demonstrationen gegen den Papst und für sexuelle Selbstbestimmung geben. Fürchten Sie den Wirbel darum?

Bischof Müller: Nein. Doch manchen Leuten kommt immer alles Recht, wenn gegen die Kirche gearbeitet wird. Aber das wird uns nicht davon abhalten, unser Verständnis von Liebe, Ehe, Sexualität vorzutragen. Selbstbestimmung heißt nicht, machen zu können, was einem gerade gefällt. Liebe und Sexualität sind wesentlich miteinander verbunden. Und das Verhältnis von Mann und Frau ist die Grundform, die sich aus der Schöpfungsordnung heraus ergibt und die im Neuen Bund zum Sakrament erhoben worden ist.



dapd: Welche Impulse können von dem ökumenischen Treffen mit dem Papst in Erfurt ausgehen?

Bischof Müller: Dem Heiligen Vater geht es darum, allen Deutschen gerecht zu werden: Und unser Land ist gekennzeichnet durch die katholisch-evangelische Parität. Er kommt selbst aus Deutschland und hat als Theologieprofessor die ganze reformatorische Theologie mit im Blick. Der Heilige Vater ist nicht nur als Papst, sondern auch als Gelehrter hoch kompetent für diese Thematik. Ich hoffe, dass durch das Treffen mehr Tiefgang entsteht und dass wir die großen theologischen Fragen angehen.



dapd: Wie würden Sie die Lage der katholischen Kirche in Deutschland ein Vierteljahr vor dem Papstbesuch charakterisieren?

Bischof Müller: Die Lage ist wesentlich besser als sie gezeichnet wird. Das macht sich auch an der Frage fest, wie sehr die Sakramente, besonders die Heilige Messe geschätzt und gelebt werden. Gibt es Menschen, die in Freud und Leid beten und aktiv für die Notleidenden eintreten? Das sind die Parameter. Wir sind keine politische Interessengruppe, die nach dem Stimmungsbarometer ihr Parteiprogramm anpasst. Wir können die offenbarte Glaubenslehre nicht ändern. Unser "Programm" - "das Evangelium für die Armen" - wurde vom lieben Gott geschrieben und eben nicht von Werbemanagern oder Parteitagsstrategen.



dapd: Anfang des Jahres forderten zahlreiche Theologen in einem Memorandum einen Kurswechsel. Ist die Kirche gespalten?

Bischof Müller: Die Gefahr besteht, dass sich Fraktionen bilden an den Rändern. Diejenigen, die hinter das Konzil zurückwollen, sind genauso schlimm wie diejenigen, die es hinter sich lassen wollen. Manche meinen, das Zweite Vatikanum sei nur eine Etappe zu einer selbst-säkularisierten, liberalen, nicht mehr katholischen Kirche. Diese Haltung zeigt sich in den völlig inadäquaten Positionierungen, die das Heil im Kampf gegen den Zölibat und die Ehe von Mann und Frau sehen. Die viel beschworene Krise hat ihren Grund nicht im Befolgen der kirchlichen Sexualmoral, sondern im Verhalten gegen die Gebote Gottes. Unsere Aufgabe als Bischöfe ist es, die auseinanderdriftenden Gruppierungen wieder zusammenzuführen und manche Extreme ernsthaft zu ermahnen. Niemand darf in der katholischen Kirche unkatholische Positionen vertreten.



dapd: Kurz vor den Theologen hatten auch CDU-Politiker in einem offenen Brief eine Abkehr vom Zölibat gefordert.

Bischof Müller: Das war nicht unkoordiniert mit dem Theologenmemorandum. Es wurde zeitlich genau kalkuliert vor dem Papstbesuch. Man wollte die vermeintliche Schwächeperiode der Kirche ausnutzen.



dapd: Teilen Sie die Sorge der Verfasser um die Kirche nicht?

Bischof Müller: Sorgen Papst und Bischöfe sich etwa nicht tagtäglich für die Gläubigen? Nur wer die Kirche liebt, versteht sie auch in den Entscheidungen, die nicht in den materialistischen Mainstream passen.



Interview: Petr Jerabek