Bundestagsvize Thierse hofft auf vorurteilsfreien Blick des Papstes auf Berlin

Kein religiöses Niemandsland

Papst Benedikt XVI. erwartet bei seinem Berlinbesuch laut Bundestagsvizepräsident Thierse kein religiöses Niemandsland. "Hier leben Katholiken, Protestanten, Muslime, Atheisten, Agnostiker, Anhänger der verschiedensten Religionen." Der Katholik und SPD-Politiker hofft, dass Benedikt XVI. seine Worte auch an diese moderne Welt richtet und nicht nur "an die ohnehin schon braven Katholiken".

 (DR)

Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse erhofft sich von Papst Benedikt XVI. bei seinem Deutschlandbesuch einen vorurteilsfreien Blick auf die Hauptstadt. "Berlin ist die internationalste Stadt Deutschlands und die Stadt mit der größten religiösen Buntheit", sagte Thierse am Mittwochabend vor Journalisten in Berlin. Sie waren bei einer Veranstaltung des Bonifatiuswerkes in der Katholischen Akademie im Vorfeld des Papstbesuches zusammengekommen.



Berlin sei auch die Hauptstadt der Schwulen und Lesben, so Thierse. "Ich wünsche mir, dass der Papst das berücksichtigt und bei seinem Besuch miteinbezieht." Benedikt XVI. kommt vom 22. bis 25. September nach Deutschland. Weitere Stationen seiner Visite sind Erfurt, das Eichsfeld und Freiburg.



Thierse: Kirche in Deutschland ist "tief zerklüftet"

Auch an den übrigen Stationen könne er nicht so tun, als käme er in eine "heile Welt", so Thierse weiter. Die Kirche sei in Deutschland "tief zerklüftet". Die im vergangenen Jahr aufgedeckten Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche seien ein Indiz für einen größeren Konflikt.



Sein Wunsch an den Papst sind vor allem präzise Worte, sagte Thierse, der auch Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken ist. "In der Art wie er redet, sollen die Leute begreifen, ja, der weiß etwas von uns, der weiß etwas von unseren Problemen und wie wir hier leben", beschrieb Thierse. "Wenn das passiert, dann wird es keine Enttäuschung geben, sondern die Leute, die keine Wunder von ihm erwarten, werden sagen: das ist ein Kirchenoberhaupt. Der weiß etwas von uns, der kennt unsere Sorgen, unsere Hoffnungen, unsere Ängste und spricht sie aus."



Konflikt zwischen Klerikerkirche und großer Mehrheit der Gläubigen

Die Kirche in Deutschland stecke in einer Krise, bewertete Thierse. "Ich glaube schon, dass es tiefe Risse in der katholischen Kirche gibt und einen tiefgehenden Konflikt zwischen einerseits einer Klerikerkirche, einer Bischofskirche und andererseits der großen Mehrheit der Gläubigen." Letztere seien nicht mehr ohne weiteres bereit, den Vorstellungen von kirchlicher Autorität zu folgen. Sie lebten eine ganz andere alltägliche Moral als Kleriker sie predigten. "Das muss man wahrnehmen und sich dem auch aussetzen."



Benedikt XVI. könne laut Thierse mit seinem Besuch bestehende Risse kitten, "indem er aufrichtig mit diesen Problemen umgeht und sozusagen zeigt, dass er diese Konflikte kennt und sagt, ich als Papst begreife etwas".  



Er sei bereit, seine Sorgen über die Situation der Kirche in Deutschland vor dem Papst selbst zu wiederholen. Thierse verwies auf vergangene Begegnungen mit dem Papst. "Wir haben da durchaus gestritten miteinander. Das kann man mit diesem Papst erstaunlicherweise."



Thierse bewegt der Zusammenhalt der Gesellschaft

Wolfgang Thierse würde mit dem Papst jedoch gerne über bestehende Konflikte innerhalb der Gesellschaft sprechen wollen. Der Zusammenhalt der Gesellschaft werden nicht allein erzeugt durch Recht und Gesetz, sondern eine Gesellschaft halte nur zusammen, "wenn es einen Minimum an gemeinsamen Grundüberzeugungen, Werten gibt und da kann die Kirche dazu beitragen, dass es solche Gemeinsamkeiten gibt".   



Konkret erhofft sich der Bundestagsvizepräsident, dass Benedikt XVI. bei seiner Rede im Bundestag wichtige Impulse zu Europa setzen wird. "Europa rauft sich noch zusammen, ist unsicher über seine Zukunft, ist sich unsicher darüber, was diesen Kontinent wirklich zusammenhält und ich kann mir vorstellen, dass ein Papst dazu reden kann."