Theologe Söding zum neuen Jesusbuch des Papstes

"Da steckt Herzblut drin"

Am heutigen Donnerstag wird der zweite Band des Jesus-Buches von Papst Benedikt XVI. veröffentlicht. Der Bochumer Theologieprofessor Thomas Söding, Experte für Neues Testament und Vatikan-Berater, erhofft sich von dem Werk, dass das gesellschaftliche Gespräch über Gott und den christlichen Glauben neue Impulse erhält.

 (DR)

KNA: Herr Professor Söding, in welcher Haltung schreibt der Papst sein neues Jesus-Buch?

Söding: Der Papst legt ein geistliches Buch mit theologischem Hintergrund vor. Er hat es als Bischof und Lehrer der Kirche geschrieben. Es soll Menschen helfen, Jesus zu begegnen. Jeder kann es ohne großes Vorwissen lesen. Natürlich hätte er es nicht so schreiben können, ohne sich Jahrzehnte lang mit den wissenschaftlichen Problemen der Bibelauslegung und der Theologie auseinandergesetzt zu haben. An manchen Stellen geht er darauf auch ein. Aber es kommt ihm nicht auf die harten Argumentationskämpfe und letzten Feinheiten an. Er wird immer wieder ganz einfach und versucht zu zeigen, wie man von Jesu Tod und Auferstehung so sprechen kann, dass Gott ins Spiel kommt.



KNA: Das Buch konzentriert sich auf Jesu Leiden und Sterben. Da stellt sich natürlich die Frage nach Gott und dem Leid...

Söding: Der Papst befasst sich mit der zentralen Geschichte des christlichen Glaubens und auch unserer gesamten Kultur. Da steckt Herzblut drin. Es geht um die Frage, wie nah Gott den leidenden Menschen ist und wie nah er ihr Leid an sich heran lässt. Die Antwort des Papstes: Gott ist auf Golgotha nicht nur Zuschauer. Er ist ganz nah bei seinem Sohn, der grausamem Leid unterworfen ist. Und deshalb lässt sich Gott ganz ins Leid mit hineinziehen. Im gefolterten Jesus wird deutlich, dass alle leidenden Menschen ihre unveräußerliche Würde haben.



KNA: Jesus als wehrlos Leidender. Was sagt der Papst zu Religion und Gewalt?

Söding: Benedikt XVI. äußert sich nicht ausdrücklich zur Debatte, wie weit Religion und besonders der Monotheismus Gewalt auslösen können. Aber Jesus ist natürlich genau das Gegenbild zu denjenigen, die sich als Märtyrer ausgeben, aber Religion als Rechtfertigung für Gewalt nehmen. Vor Pilatus, bei der Geißelung und Kreuzigung wird deutlich, dass Jesus Gewalt erduldet und nicht ausübt. Damit wird die Spirale der Gewalt und des Todes durchbrochen.



KNA: Nimmt der Papst ausdrücklich zu islamistischer Gewalt Stellung?

Söding: Nein. Ihm kommt es darauf an, dass sich die Christen mit den Grundlagen der eigenen Religion befassen. Dann wäre nämlich jeder Gewalt aus religiösen Begründungen die Rechtfertigung genommen. Große Zuneigung bekundet er allerdings gegenüber dem Judentum. Ausdrücklich stellt er fest, dass es keine Kollektivschuld des jüdischen Volkes am Tod Jesu gibt - eine Aussage, die auf jüdischer Seite ein ganz positives Echo ausgelöst hat und die sich klar gegen antijudaistische Einstellungen der traditionalistischen Piusbrüder wendet.



KNA: In vielen theologischen Debatten wird der historische Jesus dem Christus des Glaubens entgegengestellt. Wie sieht Benedikt XVI. diesen Konflikt?



Söding: Natürlich gibt es Fragen nach dem Realitätsgehalt der Evangelien. An zentralen Punkten lässt sich der Papst auch darauf ein, etwa, wenn es um den genauen Termin des Letzten Abendmahls geht. Vor allem aber plädiert Benedikt XVI. dafür, das Wesentliche nicht zu vergessen: Denn der historische Jesus war ja ein zutiefst gläubiger Mensch, der die Sehnsucht seines Volkes nach Gott und Erlösung teilte und auch in den Kategorien der jüdischen Religion lebte und dachte. Diese Haltung haben die Evangelisten geteilt; sie haben an ihn geglaubt, wie er an Gott geglaubt hat.



KNA: Schwierig wird die Frage nach der historischen Wahheit beim Streit um Jesu Worte beim Letzten Abendmahl: Hat er sein Blut nur für "alle" vergossen, oder hat er sein Leben nur für "viele" dahingegeben?

Söding: Da gibt es ein echtes Übersetzungsproblem: Anders als das Aramäische, Hebräische und Griechische unterscheidet das Deutsche sehr fein zwischen "viele" und "alle". Wenn man wortwörtlich übersetzt, müsste man sicher eher das "viele" bevorzugen. Vom Sinn her allerdings und auch von anderen Passagen des Neuen Testamentes her, das macht auch der Papst nach Abwägung aller Argumente deutlich, ist Jesus für "alle" Menschen gestorben. Allerdings ist es dann noch eine zweite Frage, ob man das auch in den Wandlungsworten des Hochgebets so übernehmen muss. Ich bin entschieden dafür. Der Papst äußert sich in seinem Buch zum Horizont, den das Neue Testament aufspannt: Es ist der des universalen Heilswillens Gottes.



KNA: Das führt zu der Frage, wie weit ein Papst seine Autorität in die Wagschale wirft, wenn er sich mit theologischen Thesen zu Wort meldet, die aber keinen Unfehlbarkeitsanspruch erheben. Geht das?

Söding: Benedikt XVI. weiß als herausragender Wissenschaftler selber, dass eine faire, harte Kritik die höchste Form der Anerkennung ist. Ich erhoffe mir deshalb eine gute ökumenische Diskussion um seine Thesen und auch über das, was er nicht gesagt hat. Das würde das Gespräch über zentrale Fragen des Glaubens weiterbringen. Andererseits muss die Theologie natürlich aufpassen, dass die Debatte offenbleibt. Es kann nicht sein, dass jemand Nachteile erleidet, weil er nicht mit dem Papst übereinstimmt. Angesprochen ist da weniger Benedikt XVI. als vielmehr die Kurie im Vatikan. Es muss ein Dialog auf Augenhöhe sein.



Interview: Christoph Arens