Der Jakobsweg und die Auswüchse einer Kommerzialisierung

Übers Ziel hinaus?

"Jetzt ist der Moment, Galicien ist das Ziel", heißt es auf Plakaten, oder auch: "Kommen Sie, haben Sie teil am Wunder." Mit Slogans wie diesen versuchen die Fremdenverkehrsämter, immer mehr Menschen auf den Jakobsweg zu locken.

Autor/in:
Andreas Drouve
 (DR)

Hinzu kommen Werbestrategien mit Rockkonzerten, einem gesponserten Radprofiteam und Aufdrucken von Jakobsweglogos auf den Dosen isotonischer Fitnessdrinks. Allumspannend als "pilgertrendy" ins Gedächtnis gebrannt, sind die Kapazitäten im gegenwärtigen Heiligen Jahr allerdings an ihre Grenzen gestoßen.



Bereits Ende des Sommers wurde in Santiago de Compostela der neue Rekord von 200.000 ausgegebenen "Compostela"-Urkunden vermeldet. Das Schriftstück erhalten all jene, die durch ihre Stempelfolgen im Pilgerausweis nachweisen können, mindestens die letzten 100 Kilometer des Jakobsweges zu Fuß oder die letzten 200 Kilometer per Fahrrad zurückgelegt zu haben. Wer die Urkunde wollte, musste sich allerdings morgens vor dem Pilgerbüro in der Altstadt auf lähmendes Schlangestehen einstellen. Mitten im Anlieferverkehr, ein chronisches Chaos.



Zunehmenden Überkommerzialisierung

Die Auswüchse einer zunehmenden Überkommerzialisierung des Jakobsweges sind allerorten an der Strecke greifbar:  Getränkeautomaten in Dörfern, Abreißzettel an Hauswänden für Rucksacktransporte per Taxi, deutlich mehr Müll am Weg, vor allem in Galicien, wo sich der Weg dem Ende nähert.



"In Leon hat man gerade bei uns versucht, fünf Euro für einen Kaffee abzukassieren", lamentiert Hans Keller. Der 63-Jährige leitet in Rottweil ein Reiseunternehmen und hat sich mit seinem gleichaltrigen Freund Bernhard Hessemann seinen langgehegten Wunsch einer Pilgerradtour von Pamplona nach Santiago erfüllt. In Lebensmittelläden am Jakobsweg fanden die beiden mitunter gar keine Preisschilder mehr. Stattdessen kostete eine Flasche Wasser plötzlich den Festpreis von zwei, eine Tomate einen Euro.



Duplizität der Ereignisse

Derlei Nepp im heutigen Spanien macht eine Duplizität der Ereignisse deutlich. Bereits im 12. Jahrhundert schilderte der Verfasser des Codex Calixtinus ausführlich den Lug und Trug von Händlern und Gastwirten. Folgt man jenem mittelalterlichen Standardwerk zum Jakobsweg, waren verwässerter Wein, falsche Maße und die Verkäufe überteuerter, teils mit billiger Schnur gefüllter Wachskerzen an der Tagesordnung. Ebenso Giftmorde an Pilgern, damit der Wirt "ihre Habe erbeuten" konnte, so der Codex-Verfasser.



Ohne schwerkriminelle Energie, dafür mit reichlich Geschäftssinn langen manche Wirte heute zu. Im Vergleich zum Vorjahr sind in den Hotels in Santiago de Compostela die Preise um ein Viertel gestiegen. Doch damit betreiben die Hoteliers ein riskantes Spiel, bei dem sie Gefahr laufen, auf Dauer Kunden zu verlieren.



Um diese zu binden, wählen sie gelegentlich eine andere Stoßrichtung und bringen bizarre Vorschläge ein. Vor kurzem wurde seitens ihrer Interessenvereinigung die Bitte an den Klerus laut, in der Kathedrale von Santiago künftig zweimal wöchentlich regelmäßige Schwingtage des berühmten Weihrauchwerfers Botafumeiro einzuführen, damit unter den Ankömmlingen "niemand enttäuscht" werde.



Spirituell, vor allem jedoch wirtschaftlich erfolgreich

Dies jedoch wiegelte Santiagos Erzbischof Julian Barrio ebenso ab wie das Ansinnen der Landesregierung Galiciens, das laufende Heilige Jahr (das es immer dann gibt, wenn der Jakobustag am 25. Juli auf einen Sonntag fällt) ins kommende Jahr hinein zu verlängern. Argumente dafür: der 800. Jahrestag der Fertigstellung der Kathedrale 2011 und der "große Erfolg" des derzeitigen Heiligen Jahres "auf allen Ebenen". Spirituell, vor allem jedoch wirtschaftlich.



Blüten treibt auch der Wallfahrtskommerz in den Souvenirshops von Santiago, wo nicht nur Komplettpilgersets mit Umhang, Hut, Stab und Trinkkürbis im Angebot stehen. Neuerdings gibt es Pilger aus Plüsch, T-Shirt-Motive mit "Spongebob Schwammkopf" in Pilgertracht und Pilgerpüppchen auf dem Motorrad. In Vitrinen markiert das "Gummi des Weges" den vorläufigen Gipfel der Absurditäten: ein Kondom mit Jakobsweg-Aufdruck.