Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft und ökumenische Vesper

Benedikt XVI. in London

Papst Benedikt XVI. hat mit Vertretern aller christlichen Kirchen in Großbritannien ein ökumenisches Abendgebet gefeiert. Zu dem Gottesdienst unter Leitung des anglikanischen Primas Rowan Williams versammelten sich am Freitagabend Hunderte Würdenträger in der Londoner Westminster Abbey. In seiner Predigt rief Benedikt XVI. die Christen auf, in einer zunehmend gleichgültigen oder sogar feindlichen Umgebung ihre Hoffung zu bezeugen.

Papst Benedikt XVI. und Anglikaner-Bischof Williams (DR)
Papst Benedikt XVI. und Anglikaner-Bischof Williams / ( DR )

Vor der Feier hatte der deutsche Papst am Grab des Unbekannten Soldaten in der gotischen Kathedrale haltgemacht und ein Gebet um Frieden gesprochen. Dabei gedachte er der Luftschlacht um England, bei der Hitlers Luftwaffe vor 70 Jahren die Kapitulation Englands erzwingen wollte. Anschließend begrüßte er in der Sakristei hohe Repräsentanten verschiedener Konfessionen.



Während des Gottesdienstes erinnerte Benedikt XVI. an den Beginn der ökumenischen Bewegung vor 100 Jahren mit der Weltmissionskonferenz in Edinburgh. Seitdem habe die Kircheneinheit einen "bemerkenswerten Fortschritt" gemacht. Es bleibe jedoch noch viel zu tun, betonte der Papst.



Die Treue zum Wort Gottes verlange von Christen einen Gehorsam, der frei sein müsse von "intellektuellem Konformismus und bequemer Anpassung an den Zeitgeist", sagte Benedikt XVI. Zugleich erinnerte er an seine Rolle als Bischof von Rom und Nachfolger des Apostels Petrus, der den Auftrag habe, "in besonderer Weise für die Einheit der Herde Christi zu sorgen".



Erzbischof Williams betonte erneut die "besondere Verbindung" der beiden Kirchen. Er lobte die Enzykliken des Papstes, in denen er sich mit den drängenden Fragen der modernen Zeit auseinandergesetzt habe. Williams betonte, dass Christen nicht nur "ihren eigenen Komfort und Profit im Blick haben sollten, sondern das Wohl der gesamten menschlichen Gemeinschaft." Den Schlusssegen sprachen Benedikt XVI. und Williams gemeinsam.

Die ökumenische Feier war der letzte Programmpunkt am zweiten Besuchstag des Papstes in Großbritannien. Die Visite geht am Sonntag mit einer großen Messe zur Seligsprechung des englischen Theologen John Henry Newman (1801-1890) zu Ende.



Treffen mit Vertretern der Zivilgesellschaft

Zuvor hatte der Papst sich gegen eine staatlich beförderte Zurückdrängung der Religion in die Privatsphäre gewandt. In einer Rede vor führenden Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur in der Westminster Hall sagte der Papst am Freitagabend, Religion sei ein "äußerst wichtiger Gesprächspartner im nationalen Diskurs". Der Gesetzgeber dürfe sie nicht als ein "Problem" betrachten.



Gegenwärtig werde insbesondere das Christentum "auch in Ländern, die großen Wert auf Toleranz legen", an den Rand gedrängt, so das katholische Kirchenoberhaupt. Es gebe "besorgniserregende Zeichen" für eine Missachtung der Gewissens- und Religionsfreiheit. Kritisch verwies er etwa auf eine Behinderung öffentlicher religiöser Feiern wie Weihnachten. Sie stünden unter der "fragwürdigen Annahme, dass solche Bräuche Angehörige anderer Religionen oder Nichtgläubige auf irgendeine Weise verletzen könnten".



Zu Beginn der Feierstunde begrüßte Parlamentspräsident John Bercow den Papst. Er betonte, die Veranstaltung habe eine "zutiefst historische Bedeutung". Der 47-Jährige erinnerte an die lange "Tradition der politischen Debatte" in dem Gebäude, in dem früher das Parlament tagte. Der Glauben sei "kein Relikt im politischen Diskurs oder in der modernen Gesellschaft", sondern "tief in ihrer Struktur verwurzelt", so Bercow.



Im Publikum saßen mehrere frühere Premierminister: Tony Blair (57) und Gordon Brown (59) für Labour, Margaret Thatcher (84) und John Major (67) für die Konservativen. Außenminister William Hague war ebenfalls anwesend. Neben den Tories saß der stellvertretende Premier Nick Clegg für die Liberaldemokraten. Premierminister David Cameron konnte wegen der Beisetzung seines Vaters nicht teilnehmen; er will an diesem Samstag mit dem Papst zusammentreffen.



In seinen Ausführungen zum Verhältnis von Staat, Gesellschaft und Religion hob Benedikt XVI. die Notwendigkeit einer naturrechtlichen Verankerung moralischer Grundsätze hervor. Die ethischen Prinzipien einer Demokratie dürften nicht nur auf gesellschaftlichem Konsens beruhen. Die globale Finanzkrise habe gezeigt, dass "pragmatische Kurzzeitlösungen" für komplexe soziale und ethische Probleme unbrauchbar seien, so der Papst.



Es sei aber nicht in erster Linie Aufgabe der Religion, ethische Maßstäbe vorzugeben, betonte Benedikt XVI. weiter. Nach katholischer Auffassung könnten auch Nichtgläubige objektive moralische Prinzipien mit Hilfe der Vernunft erkennen. Die Religion müsse in der gesellschaftlichen Debatte über Werte vor allem eine "korrigierende Rolle" einnehmen. Dies sei jedoch "nicht immer willkommen". Schuld daran seien auch "entstellte Formen der Religion wie Sektierertum und Fundamentalismus".



Zugleich hob Benedikt XVI. die Gemeinsamkeiten zwischen der pluralistischen Demokratie Großbritanniens und der katholischen Soziallehre hervor. Letztere verwende zwar andere Begriffe, habe aber vom Ansatz her viele Gemeinsamkeiten mit der angelsächsischen Demokratie.



Zum Ende der Veranstaltung schüttelte Benedikt XVI. viele Hände.

Während der Papst in Westminster Hall zu Fragen des Glaubens in der Zivilgesellschaft sprach, demonstrierten draußen vor der Tür Opfer sexuellen Missbrauchs, Atheisten und weitere Gegner des Papstbesuchs. Ein Sprecher der laizistischen Vereinigung "Protest the Pope" sagte der BBC: "Es hätte nie einen Staatsbesuch geben sollen." Immer noch gebe es Streit darüber, ob der Vatikan ein Staat sei. In erster Linie handele es sich um einen geistlichen Besuch und um die Seligsprechung von Kardinal John Henry Newman (1801-1890).