Papst Benedikt XVI. in Tschechien - Samstag

Vordenker einer kreativen Minderheit

Noch nie zuvor hat der Papst ein europäisches Land besucht, das so entchristlicht ist wie die Tschechische Republik. Wenn der Papst 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs ausgerechnet den steinigsten Acker im europäischen Teil des Weinbergs des Herrn besucht, ist dies eine besondere Herausforderung.

Autor/in:
Ludwig Ring-Eifel
 (DR)

Nur fünf Prozent der Bürger Prags sind als Katholiken registriert; rund 90 Prozent der Hauptstädter glauben nicht. Solche Zahlen sind selbst im kirchenfernen Berlin unbekannt.

Schon bei seiner fliegenden Pressekonferenz auf dem Weg nach Tschechien machte der Papst deutlich, dass er willens ist, diese Herausforderung anzunehmen. In einer ungewöhnlichen Wortschöpfung, die vor allem bei mitreisenden italienischen Journalisten Verwunderung auslöste, formulierte er, die Kirche müsse sich jetzt als "kreative Minderheit" bewähren. Kein Wort von den im Kommunismus beschlagnahmten weltlichen Güter in Milliardenhöhe. Stattdessen die Bitte, ohne Privilegien "frei im Dienst aller und im Geist des Evangeliums wirken zu können".

Dass dies jedoch - trotz der zahlenmäßigen Unterlegenheit - keine Position der Schwäche ist, demonstrierte der Papst in einer viel beachteten Rede im Prager Präsidentenpalast. Dort, wo einst der Dichterpräsident Vaclav Havel, nun einer der Zuhörer, ausgefeilte Reden hielt, forderte nun Benedikt XVI. die politische Klasse des Landes gedanklich heraus. Nur kurz ging er auf die "Samtene Revolution" ein, die vor 20 Jahren die kommunistische Diktatur beendete und den Völkern Mittel- und Osteuropas Freiheit brachte - um dann auf die zentralen Fragen zu kommen: "Mit welchem Ziel wird Freiheit ausgeübt? Was macht die Freiheit wirklich aus?"

Dem Credo des Liberalismus, wonach es genügt, die Strukturen der Freiheit zu stärken, entgegnete Benedikt XVI.: "Diese Strukturen reichen nicht aus. Die Sehnsüchte des Menschen übersteigen das, was politische und wirtschaftliche Mächte bieten können." Nie zuvor hat Benedikt XVI. in derart einfachen und klaren Worten dargelegt, was er politisch will: "Gemeinsam müssen wir das Ringen um die Freiheit und die Suche nach der Wahrheit in Angriff nehmen, die entweder Hand in Hand voranschreiten oder gemeinsam elend zugrunde gehen."

Auch andere Sätze, die der Papst mit streckenweise heiserer Stimme auf Englisch vortrug, waren für den Theologenpapst ungewohnt kurz und prägnant. "Europa ist mehr als ein Kontinent. Es ist ein Zuhause. Und die Freiheit findet ihren tiefsten Sinn in einer geistigen Heimat." Deutlich wies der Papst den Verdacht zurück, er wolle die Grenzen von Kirche und Staat aufheben, die den säkularen Staat ausmachen. Wie ein Politiker formulierte er: "Ich stehe voll zu der Unterscheidung zwischen dem politischen Bereich und dem Bereich der Religion - doch möchte ich zugleich die unersetzliche Rolle des Christentums für die Bildung des Gewissens einer jeden Generation betonen."

Zugleich verwahrte er sich gegen den Vorwurf, das Festhalten an den Wahrheiten des christlichen Glaubens bedrohe Toleranz und Pluralismus. Erst das Streben nach Wahrheit ermögliche den Konsens, erklärte er. Den Relativismus, der die Werte zerstöre, und den Zynismus, der die Suche nach Wahrheit lächerlich mache, bezeichnete der Papst als "unmenschlich und destruktiv". Nun gelte es, auf die Fähigkeit des menschlichen Geistes zu vertrauen, die Wahrheit zu erfassen und sich auch in der Politik von diesem Vertrauen leiten zu lassen.

Die Zuhörer quittierten die intellektuellen Provokationen des Papstes mit respektvollem Applaus. Staatspräsident Vaclav Klaus, ein ausgewiesener Liberaler, hatte bereits bei der Begrüßung am Prager Flughafen den Einsatz Benedikts XVI. für die Verteidigung der Wurzeln der europäischen Zivilisation im Christentum gewürdigt - und sprach sogar von einem Wertekonsens trotz unterschiedlicher Weltanschauungen. Distanziert bis desinteressiert zeigte sich die Hauptstadt Prag: Nur an den Orten, wo der Papst Station machte, versammelten sich Gläubige und Neugierige. Ansonsten war im Stadtbild nur wenig vom Besuch des Papstes zu sehen.

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