Benedikt XVI. pilgert zu Italiens Volksheiligem Pater Pio - Messe mit zehntausenden Gläubigen

Sturm um Pater Pio

Von Stürmen spricht der Papst in San Giovanni Rotondo. Vom Sturm, der über Jesus und die Jünger auf dem See Genezareth hereinbrach, und vom Wehen des Heiligen Geistes, das stärker ist als jeder Gegenwind. Benedikt XVI. predigt am Wallfahrtsheiligtum von Pater Pio, dem Wundermönch, der in den Wogen des Lebens Gottvertrauen bewies. Er, der Papst, hatte zuvor den Hubschraubertransfer vom Vatikan auf die andere Seite des italienischen Stiefels abbrechen müssen. Wegen einer Gewitterfront.

Autor/in:
Burkhard Jürgens
 (DR)

Sie hatten lange auf den Papst gewartet, die an die 50.000 Pilger, die zur Sonntagsmesse in dem apulischen Pilgerstädtchen gekommen sind. Länger als die halbe Stunde Verspätung, die der Umweg des Papstes kostete. Echte Pater-Pio-Freunde warten seit über einem Jahr, seit ihr Vorbild und Fürsprecher 40 Jahre nach seiner Bestattung aus der Gruft geholt und - ansehnlich präpariert - in einem Glasschrein aufgebahrt wurde.

Sechseinhalb Millionen pilgerten seither an ihm vorbei, dem größten Volksheiligen Italiens, der noch im Tod und mit geschlossenen Lidern den Eindruck eines Mannes macht, der in den Seelen der Menschen lesen kann. Endlich, als Krönung des Gedenkjahrs zu seinem 40. Todestag, kommt auch der Papst.

Die Kapuziner, unter ihnen der Generalminister des Ordens, Mauro Jöhri, führen Benedikt XVI. zu der Zelle, in der San Pio di Pietrelcina lebte und starb. Sie führen ihn in die Krypta zum Toten. Dort kniet Benedikt XVI. lange Zeit, andächtig, reglos. Man reicht ihm ein goldumrandetes Kristallgefäß zur Verehrung, die Scheiben durch Schliff und Äderung fast undurchsichtig. Drinnen ist etwas Dunkles. Es ist das Herz Pater Pios.

Der Umgang mit dem Heiligen war in Italien nicht unumstritten.
Domenico Umberto D'Ambrosio, der Bischof von Manfredonia und Delegat des Heiligen Stuhls für das Wallfahrtsheiligtum, hatte in der Nacht vom 2. auf den 3. März 2008 das Grab des Paters öffnen lassen, um die Reliquien zu inspizieren. Ihre Zurschaustellung soll die Verehrung für den Heiligen fördern. Kritiker sprechen von Sensationslust und Leichenfledderei um des Pilgerbetriebs willen. Unumstritten war auch nicht Pater Pio selbst, sowohl wegen seines Finanzmanagements als auch wegen seiner blutenden Kreuzigungsmale, die er seit seiner Priesterweihe 1910 trug.

Anfangs war auch der Heilige Stuhl skeptisch. In den 1920-er-Jahren stufte ein medizinischer Gutachter der Inquisitionsbehörde die Erscheinung als hysterisch bedingt ein. Zeitweise verbot der Vatikan Pater Pio öffentliche Messfeiern und Briefkontakt mit Gläubigen. Noch immer kursieren alternative Erklärungsversuche der Wundmale. Zuletzt sorgte im Herbst 2007 in Italien ein Buch für Schlagzeilen, das die Stigmata nicht auf ein Wunder, sondern auf Phenolsäure zurückführt.

Auf solcherlei Konflikte geht Benedikt XVI. an diesem Sonntag nicht ein. In seiner Predigt würdigt er die übernatürlichen Gaben und die menschlich-handfeste Seite, die der Pater besaß, «und auch sein eigenes Temperament». Die Wundmale verbänden den Heiligen mit Christus wie auch mit Franz von Assisi, dem ebenfalls stigmatisierten Ordensgründer und Friedensapostel. Die Mission von Pater Pio war «Seelen führen und Leiden lindern», immer mit Blick auf Christus. Darin, so der Papst, sei er Vorbild für die heutigen Pilgerseelsorger in San Giovanni Rotondo und für die Beschäftigten der von Pater Pio gegründeten Klinik. Kein Ton der Kritik.

Kein Ton auch über den Verbleib von Pater Pio. Manche sehen in der Aufbahrung durch Bischof D'Ambrosio nur den ersten Schritt zu einer Übertragung in die neue Pilgerkirche. Dabei ist für viele der Wille des Paters heilig, der sich seine Grablege selbst ausgesucht hatte.

Doch der Sprecher des Konvents, Bruder Antonio Belpiede, macht aus den Plänen keinen Hehl. «Vom ersten Augenblick an» sei der neue Bau als künftige Ruhestätte Pios geplant gewesen - die futuristische Kirche von Star-Architekt Renzo Piano, die, für deutlich über 25 Millionen Euro errichtet, bis zu 7.000 Personen Platz bietet. Das Gotteshaus, vor der der Papst über Stürme predigte. Ein Datum für die Umbettung stehe noch nicht fest, so Belpiede. Wenn es soweit ist, dürfte sich neuer Gegenwind erheben.