Benedikt XVI. Papst wendet sich in Jad Vashem gegen Leugnung des Holocausts

Papst überquert Frontlinie des Nahost-Konflikts

Nach drei bewegten Tagen in der arabischen Welt hat Papst Benedikt XVI. am Montag die Demarkationslinie des Nahost-Konflikts überquert und ist in Israel gelandet. Am Nachmittag besuchte Benedikt Israels Präsidenten Shimon Peres im Präsidentenpalast von Jerusalem, anschließend kam er beim Gebet in der Holocaust-Gedenkstätte Jad Vashem mit Überlebenden des Holocaust zusammen. Mit einer bewegenden Ansprache erinnerte er an die sechs Millionen Opfer der Shoah.

 (DR)

Gerade 20 Minuten dauerte der Niedrigflug von Amman über den Jordan, die nördlichen Außenbezirke von Jerusalem, der Schwenk über das Mittelmeer und dann nach Tel Aviv. Mit einem freundlichen Zeremoniell und einem herzlichen Willkommensgruß von Staatspräsident und Friedensnobelpreisträger Schimon Peres hieß der Staat Israel den Gast aus Rom willkommen.

Er komme als Pilger, um an den Heiligen Stätten für den Frieden zu beten, sagte der Papst in seiner Begrüßungsrede. Aber schon bei seiner Ankunft auf dem Flughafen sprach er offen und unmissverständlich fast alle Themen an, die in den nächsten Tagen eine Rolle spielen werden: Einen neuen Anlauf im darniederliegenden Friedensprozess forderte er; er sprach sich für eine Zwei-Staaten-Regelung aus und unterstrich die unverzichtbare Rolle der einheimischen Christen in der Region.

Zugleich warnte der Papst vor allen alten und neuen Formen von Rassismus und Antisemitismus. Mit eindringlichen Worten beklagte er die Tragödie der Schoah mit den sechs Millionen toten Juden. Unglücklicherweise zeige der Antisemitismus in vielen Teilen der Welt weiterhin seine hässliche Fratze. Das sei "völlig inakzeptabel", beklagte Benedikt XVI. - ohne allerdings konkrete Bereiche oder Personen anzusprechen.

Zu den Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel äußerte sich das Kirchenoberhaupt positiv. Beide Seiten teilten viele Werte - und seien sich einig, dass Religion im Leben der Gesellschaft einen herausragenden Platz einnehmen müsse. Das setze Religionsfreiheit voraus. Wenn die religiöse Dimension des Menschen geleugnet oder zurückgedrängt werde, gerate das Fundament der Menschenrechte in Gefahr, warnte der 82-Jährige. Strittige Fragen zwischen dem Heiligen Stuhl und Israel, etwa die sich seit Jahren hinschleppenden Rechts- und Wirtschaftsverhandlungen, sprach der Papst hier (noch) nicht an.

Aber auch das heiße Eisen Jerusalem kam in der Begrüßungsrede des Papstes zur Sprache. Jerusalem sei eine Heilige Stadt für die Gläubigen von Judentum, Christentum und Islam. Die umstrittene Hauptstadtfrage klammerte Benedikt XVI. freilich aus, forderte jedoch ungehinderten Zugang für die Gläubigen aller drei Religionen zu ihren Heiligen Stätten - ein Anspruch, der derzeit für die Bewohner des Westjordanlandes nur sehr eingeschränkt möglich ist. Zwar hat der Vatikan seine alte Positionierung für ein internationalisiertes Jerusalem aufgegeben; jedoch fordert er - unabhängig von politischen Optionen - weiterhin ein Sonderstatut für die Heilige Stadt und ihre Heiligen Stätten.

Mit Nachdruck trat Benedikt XVI. bei seiner Ankunft in Israel für die Fortsetzung des Friedensprozesses ein. "Gemeinsam mit allen Menschen guten Willens flehe ich alle Verantwortlichen an, jeden möglichen Weg" für eine gerechte Friedenslösung zu ermitteln. Ziel sei, dass beide Völker "in Frieden in einem eigenen Vaterland und innerhalb sicherer wie international anerkannter Grenzen leben können".

Etwas farblos und allgemein blieb in der Ankunftsrede das Wort an die Christen im Heiligen Land. Sie sollten und könnten in ganz besonderer Weise für Frieden und Versöhnung unter den Menschen der Region beitragen. Gerade zu diesem Thema wird sich der Papst jedoch in den folgenden Tagen noch ausführlich äußern - in Israel, aber auch am Dienstag bei seinem Besuch in der Palästinenser-Stadt Bethlehem.

Zu Besuch bei Israels Staatspräsident
Bei der anschließenden Begegnung am Sitz des Staatsoberhaupts im Westen Jerusalems waren mehrere hundert Ehrengäste aus Politik und Religion zugegen. Während des informellen Austauschs zu Beginn dankte Peres dem Papst für dessen Äußerungen zum Holocaust bei der Empfangszeremonie auf dem Flughafen von Tel Aviv. Die Ermordung der Juden durch die Nationalsozialisten sei "die schwerste Erfahrung unseres Lebens", sagte Peres.

Benedikt XVI. bekräftigte in der frei und auf Englisch geführten Unterhaltung die gemeinsamen Wurzeln von Christen und Juden. "Eure Väter sind unsere Väter", sagte der Papst. Anschließend tauschten Benedikt XVI. und Peres Geschenke aus. Der israelische Präsident überreichte dem Kirchenoberhaupt eine sogenannte Nano-Bibel. Auf einem winzigen Silikon-Chip, kleiner als eine Stecknadel, hatten Forscher aus Haifa den gesamten Text des Alten Testaments geprägt. Diese Bibel kann nur mit einem Elektronenmikroskop gelesen werden. Benedikt XVI. nannte es erstaunlich, was die moderne Technologie mit Gottes Wort anstellen könne.

Anschließend pflanzten Peres und Benedikt XVI. gemeinsam einen Olivenbaum im Garten des Präsidentenpalais und hielten offizielle Reden auf einer Tribüne im Freien. Bei seiner Ankunft am Präsidentenpalast wurde der Papst unter anderem von drei Kindern begrüßt. Peres überreichte dem Papst einen Weizen-Strauß und erklärte, der Staat Israel habe zu Ehren des Papstes eine "Benedikt-Woche" ausgerufen. Zwischen der öffentlichen Begrüßung und den offiziellen Reden gab es eine private Unterhaltung.

Dabei sprach Noam Schalit, der Vater des seit 1.300 Tagen von der Hamas verschleppten Soldaten Gilad Schalit, über seinen Sohn. Er erhoffe sich, mit Hilfe des Papstes Informationen über den Zustand seines Kindes zu bekommen. Auch überreichte Peres dem Papst einen Brief von Nadja Cohen, Witwe des israelischen Spions Eli Cohen. Dieser war nach dem Sechs-Tage-Krieg 1967 in Damaskus von den Syrern entdeckt, zum Tode verurteilt und auf einem öffentlichen Platz erhängt worden. Die Witwe bat den Papst, seinen Einfluss geltend zu machen, damit ihr Mann in Israel begraben werden könne.

Treffen mit Holocaust-Überlebenden
Papst Benedikt XVI. hat am Montag in Jerusalem die Holocaust-Gedenkstätte Jad Vaschem besucht. "Mögen die Namen dieser Opfer niemals untergehen", sagte er in Anwesenheit des israelischen Staatspräsidenten Shimon Peres. Das Leiden der Holocaust-Opfer sei "ein immerwährender Vorwurf gegen das Vergießen unschuldigen Blutes", mahnte Benedikt, der in der Gedenkstätte mit Holocaust-Überlebenden zusammentraf und einen Kranz für die Opfer niederlegte.

"Sie haben ihre Leben verloren, aber sie werden niemals ihre Namen verlieren", sagte Benedikt mit Blick auf die rund sechs Millionen von den Nationalsozialisten ermordeten Juden. Die Namen der Ermordeten seien "für immer das Gedächtnis des allmächtigen Gottes eingeprägt".
"Möge ihr Leiden nie verleugnet, verharmlost oder vergessen werden", sagte der Papst in der Halle der Erinnerung.

Alle Menschen guten Willens müssten wachsam sein, um zu verhindern, dass sich die "entsetzliche Tragödie der Schoah" wiederhole, mahnte das Kirchenoberhaupt bei seinem ersten Besuch in der Holocaust-Gedenkstätte. Die katholische Kirche fühlt nach den Worten des Papstes "tiefes Mitgefühl mit den Opfern" der Judenvernichtung. Sie sei gleichermaßen all jenen nah, die heute "wegen ihrer Rasse, Hautfarbe, Lebensumstände oder Religion" verfolgt würden.

An dem Besuch nahmen unter anderen Israels Staatspräsident Schimon Peres und weitere Minister des Landes teil. Der Vorsitzende der Gedenkstätte, Rabbi Meir Lau, übergebe Benedikt XVI. als Geschenk die Kopie eines Bildes des jüdischen Malers Felix Nussbaum, der im Konzentrationslager Auschwitz von den Nazis ermordet wurde. Zuvor werde das Kirchenoberhaupt die Holocaust-Überlebenden Ed Mosberg, Israela Hargil, Avraham Ashkenazi, Gita Kalderon, Dan Landsberg und Ruth Bondy sowie Ivan Vranetic treffen, der als "Gerechter unter den Völkern" ausgezeichnet wurde.

Die heute in Tel Aviv lebende und 1923 in Prag geborene Bondy sagte am Freitag der KNA, es sei für sie keine einfache Entscheidung gewesen, der Einladung zu folgen und dem Papst "an der Stelle von sechs Millionen Toten" die Hand zu schütteln. Da das Ereignis "für den Staat Israel und für die Gedenkstätte Jad Vaschem sehr wichtig" sei, habe sie zugestimmt. Sie wisse noch nicht, ob sie dem Papst etwas sagen werde: "Ich will erst einmal hören, was er während der Zeremonie sagt."

Bondy war während der NS-Zeit in Theresienstadt, Auschwitz und in Lagern bei Hamburg interniert. Bei ihrer Befreiung in Bergen-Belsen 1945 wog sie nur noch 39 Kilo und litt an Typhus. Die Autorin verschiedener Bücher veröffentlichte 1997 eine Autobiografie, die auf Deutsch unter dem Titel "Mehr Glück als Verstand" erschien.

Der 1939 in Warschau geborene und heute in Haifa lebende Dan Landsberg sagte der KNA: "Ich habe viele Schicksalsschläge hinter mir, und so wollte es das Schicksal, dass ich ausgewählt wurde, den Papst zu treffen." Benedikt XVI. sei keine "normale Person, sondern steht an der Spitze einer ganzen Kirche". Er werde schauen, so Landsberg, ob er "etwas sagen werde".

Am Abend: Interreligiöser Dialog
Vor dem Besuch in Jad Vaschem absolvierte der Papst eine Höflichkeitsvisite im Präsidentenpalais. Abends ist eine Begegnung mit Organisationen für den interreligiösen Dialog geplant. Mit den Exponenten der islamischen und jüdischen Gemeinschaft - dem Großmufti von Jerusalem und den beiden Oberrabbinern - will Benedikt XVI. bei eigenen Terminen am Dienstag zusammenkommen. Den Papst und die Bewohner der Jerusalemer Altstadt erwarten in den kommenden Tagen strenge Sicherheitsvorkehrungen.


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