Papst: Die Frage nach Wahrheit bleibt offen - Redetext der abgesagten Ansprache veröffentlicht

Solidarität für Benedikt

Nach der Absage einer Rede des Papstes in der römischen Universität La Sapienza haben sich Politiker, Wissenschaftler, Kirchen- und Religionsvertreter mit Benedikt XVI. solidarisiert. Staatspräsident Giorgio Napolitano erklärte in einem Brief an den Vatikan, die Angriffe von laizistischer Seite seien intolerant und "nicht hinnehmbar". Kardinal Camillo Ruini rief die Römer für Sonntag zu einer Solidaritätsbekundung für Benedikt XVI. auf.

 (DR)

Kardinal-Staatssekretär Tarcisio Bertone teilte mit, die Absage sei erfolgt, um "jeden Vorwand für Kundgebungen auszuräumen, die sich für alle als unerfreulich herausgestellt hätten". Zugleich übersandte er Rektor Renato Guarini die ursprünglich für Donnerstag geplante Rede Benedikt XVI. Darin verteidigt der Papst die Autonomie der Universität, die von politischen wie kirchlichen Einflüssen frei bleiben müsse. Die Wissenschaft dürfe allein der Wahrheit verpflichtet sein.

Die Rolle des Papstes im Blick auf die Welt der Wissenschaft beschreibt Benedikt XVI. als "Stimme der sittlichen Vernunft der Menschheit". Für die Kirche gehöre die kritische Rückfrage nach der Wahrheit seit jeher zu ihrem Selbstverständnis.

Einmaliger Vorgang
Die Absage der Rede ist ein für Italien bislang einmaliger Vorgang. Vorausgegangen waren tagelange Proteste von Studentengruppen, aber auch von 67 Dozenten der größten römischen Universität. Sie sahen durch die Teilnahme von Benedikt XVI. an der Eröffnung des akademischen Jahres die Trennung von Staat und Kirche und die Freiheit der Forschung gefährdet. Zudem werfen sie Benedikt XVI. vor, in einem Vortrag 1990 den kirchlichen Prozess gegen Galileo Galilei gebilligt zu haben. Dabei stützen sie sich nach Einschätzung der Vatikan-Zeitung "Osservatore Romano" auf ein falsch verstandenes Zitat.

Die Kritik an der Papstrede hat zu einer breiten Auseinandersetzung in der italienischen Öffentlichkeit geführt.
Politiker und Wissenschaftler aus unterschiedlichen Lagern mahnten demokratisches Verhalten, Toleranz und Dialogbereitschaft an. Ein "Redeverbot" für einen Papst - gerade für Benedikt XVI., der auf höchstem intellektuellen Niveau die kulturelle Diskussion begleite und belebe - sei eines laizistischen Landes unwürdig, hieß es.

Roms Oberrabbiner Riccardo Di Segni bekräftigte seine Einladung an Benedikt XVI. in die Synagoge. Politiker und Wissenschaftler äußerten die Hoffnung, der Papst werde an anderen Universitäten des Landes sprechen, etwa in Florenz, Mailand oder der Freien Universität "Pio V." in Rom.

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