Weshalb Polens Kirchenkrise den Papst vor eine schwere Aufgabe stellt - ein Kommentar des KNA-Chefredakteurs

Der Kommunismus holt die Kirche ein

Die Verwirrung war groß, als das vatikanische Presseamt am Sonntagmorgen statt einer Mitteilung über die feierliche Amtseinführung des neuen Warschauer Erzbischofs eine lapidar dramatische Notiz über dessen Rücktritt verbreitete: "Die Apostolische Nuntiatur in Warschau teilt mit, dass Stanislaw Wielgus, Metropolitanerzbischof von Warschau, an dem Tag, an dem sein Einzug in die Kathedrale von Warschau vorgesehen war, Papst Benedikt XVI. seinen Rücktritt eingereicht hat."

 (DR)

Es folgte ein höchst ungewöhnlicher Ablauf einer Messe in Warschau, die flugs von einem Einführungsgottesdienst in eine Dankmesse für den alten und neuen Warschauer Erzbischof Kardinal Jozef Glemp umgewidmet wurde - und dann einen streckenweise tumultartigen Verlauf nahm. Glemp seinerseits nutzte sie, um den Zurückgetretenen vor Vorverurteilungen in Schutz zu nehmen. Papst Benedikt XVI. vermied es am Sonntag, beim Angelusgebet auf die dramatische Zuspitzung der polnischen Kirchenkrise einzugehen.

Allerorten Rätsel
Die Rolle des vatikanischen Apparats beim Rücktritt des Mannes, der im katholischsten Land Mittel- und Osteuropas eine Schlüsselposition übernehmen sollte, dann aber von seiner Vergangenheit als Kontaktmann des Geheimdienstes eingeholt wurde, gab allerorten Rätsel auf. In Polen rechneten Kirchenkreise je nach eigenem Standpunkt bis zuletzt entweder mit römischer Rückendeckung oder mit einem päpstlichen Eingreifen. Und die gewöhnlich gut informierten Vaticanisti der italienischen Zeitungen hatten zwar läuten hören, dass es in der Kurie Unmut über die Entwicklung gebe. Doch der Rücktritt eines Warschauer Erzbischofs im Moment seiner feierlichen Einführung - das übertraf die Vorstellungskraft selbst lang gedienter Vatikanbeobachter.

Eine vollständige Rekonstruktion der Ereignisse wird, falls überhaupt, vermutlich erst in einigen Wochen möglich sein. Am Tag des dramatischen Rücktritts zeichnete sich ab¸ dass es zwischen Erzbischof Jozef Kowalczyk - bereits seit 1989 Apostolischer Nuntius in Warschau - und dem vatikanischen Entscheidungszentrum Missverständnisse und unterschiedliche Bewertungen gab. Offenbar schätzte der erfahrene polnische Vatikan-Diplomat die Schwere der Vorwürfe gegen Wielgus anders ein als die Umgebung des deutschen Papstes. Oder es gelang ihm nicht, seine Bedenken klar zu übermitteln.

Das Kirchenoberhaupt wiederum hatte seine Not, einen Mann für den Warschauer Erzbischofssitz zu finden, der zwischen den Flügeln und Interessengruppen des polnischen Episkopats vermitteln konnte. Seit Monaten wurde hinter den Kulissen ein Kandidat gesucht, der die Statur hätte, auf dem Warschauer Bischofsstuhl die Nachfolge von Primas Glemp und letztlich auch einen Teil des Erbes von Papst Johannes Paul II. anzutreten. Doch das vom polnischen Papst hinterlassene Vakuum in seiner Heimat gehört derzeit zu den schwierigsten Baustellen der katholischen Kirche in Europa. Eine herausragende Persönlichkeit war nicht zu finden. Wielgus empfahl sich als theologisch und seelsorgerisch erfahrener Intellektueller ohne Machtinteressen. Dass er ähnlich wie andere polnische Kirchenmänner einst Geheimdienstkontakte hatte, schien vor diesem Hintergrund das kleinere Übel zu sein.

Unterschätze der Vatikan das Ausmaß der Verstrickung?
Manches spricht dafür, dass der Vatikan das Ausmaß der Verstrickung des Kandidaten nicht bis ins Letzte überblickte und zudem den aus der polnischen Politik ebenso wie von den einfachen Gläubigen kommenden Widerstand unterschätzte. Dass die "von äußeren Feinden nie besiegte" Kirchenhierarchie Polens sich in einer tiefen Krise befindet, mag der Vatikan geahnt haben; ihr Ausmaß hat er offenbar zunächst nicht erkannt. Die traditionell obrigkeitsorientierte innere Struktur der polnischen Kirche, die offene Debatten um Verfehlungen von Pfarrern oder Bischöfen bislang nicht kannte, hat dazu ihr Teil beigetragen.

Hinzu kommt die erdrückende Last der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit. Zu den Besonderheiten des unblutigen Machtwechsels am "Runden Tisch" im polnischen Sommer 1989 gehört es, dass eine Abrechnung mit den meisten Verfehlungen der Vergangenheit unterblieb. Und ein Nebeneffekt der kirchlichen Stärke im kommunistischen Polen war, dass nirgends im Ostblock so viele Priester vom Geheimdienst überwacht und abgeschöpft wurden wie in Polen. Durch die Ereignisse um Wielgus ist das unbewältigte Trauma aus der Zeit der Diktatur und der Kollaboration endgültig offen zu Tage getreten.

Für Papst Benedikt XVI. stellt sich nun verschärft die Frage, wen er ernennen kann, um Polens Kirche aus der Verwirrung herauszuführen. Nach dem Desaster um Wielgus werden wieder die Namen der Kurienkardinäle Stanislaw Rylko (Laienrat) und Zenon Grocholewsi (Bildung) gehandelt. Durch ihre lange Zeit in Rom sind sie zumindest weniger in politische Unwägbarkeiten verstrickt als manche ihrer Landsleute.

Ludiwg Ring-Eifel