Stanislaw Wielgus war nur zwei Tage im Amt - eine Chronologie der Ereignisse

Umstrittener Warschauer Erzbischof tritt zurück

Nur zwei Tage nach Übernahme seiner Amtsgeschäfte ist der neue Warschauer Erzbischof Stanislaw Wielgus (67) zurückgetreten. Vorangegangen waren heftige Debatten über eine langjährige Zusammenarbeit von Wielgus mit dem kommunistischen Geheimdienst SB. Papst Benedikt XVI. nahm den Rücktritt an. Mit der Leitung der Erzdiözese betraute er übergangsweise Wielgus' Vorgänger, den polnischen Primas Kardinal Jozef Glemp (77).

 (DR)

Kurz vor Beginn der Zeremonie wurde bekannt, dass die feierliche Amtseinführung in der Warschauer Kathedrale abgesagt sei. Stattdessen gab es eine Dankmesse für die 25-jährigen Dienste von Kardinal Glemp. Medien zufolge hatte es in der Nacht Gespräche zwischen dem Vatikan und dem polnischen Staat über den Fall Wielgus gegeben. Der Papst selbst ging am Sonntag beim Angelus mit keinem Wort auf den Rücktritt des Erzbischofs ein.

"Bleibe bei uns!"
Wielgus trat zu Beginn des Gottesdienstes nach vorne und erklärte in einem kurzem Satz förmlich den Verzicht auf sein Amt. Das löste in und auch außerhalb der Kathedrale emotionale Reaktionen aus. Die Gläubigen klatschten entweder Beifall oder riefen "Nein, nein!" oder "Bleibe bei uns!" Wielgus beobachtete die Szene reglos, äußerte sich aber nicht weiter. Im Anschluss wurde die offizielle Mitteilung über den Rücktritt verlesen. Danach beruhigte sich die Stimmung. Kardinal Glemp konnte die Messe in Ruhe weiterleiten.

Noch am Samstag hatte Wielgus in einer Verlautbarung seine Zusammenarbeit mit dem kommunistischen Geheimdienst erklärt.

Der sichtlich berührte Wielgus nahm weiter an der Messe teil. Mehrere Geistliche und Journalisten riefen inzwischen dazu auf, den tragisch gedemütigten Erzbischof nun in Ruhe zu lassen. Anwesend in der Kathedrale war unter anderen auch Staatspräsident Lech Kaczynski.

"Wo sind jene, die damals Menschen erpressten?"
In seiner Predigt nahm Glemp den Erzbischof in Schutz. "Heute wird über Erzbischof Wielgus Gericht gehalten", so der Primas: "Was für ein Gericht ist das? Auf Grund von ein paar Papieren, die drei Mal kopiert wurden." Die Versammelten reagierten mit lautem Beifall. Glemp wies darauf hin, dass es in der Angelegenheit keine Verteidiger und keine Zeugen gegeben habe, und fragte: "Wo sind heute jene, die damals Menschen erpressten und ihnen drohten?"

Trotz massiver Vorwürfe hatte Wielgus noch am Freitag seine Amtsgeschäfte aufgenommen. Zuvor hatte eine kirchliche Untersuchungskommission mitgeteilt, es gebe mehrere wichtige Dokumente, die belegten, dass sich Wielgus bewusst zur Kooperation mit dem SB bereit gezeigt habe. Der Befund der Wissenschaftler deckte sich mit dem einer staatlichen Historikerkommission vom Vortag.

"Nie einen Geheimdienstauftrag erfüllt"
Beide Gremien hatten seine 68-seitige SB-Akte im Institut für das nationale Gedächtnis (IPN), dem polnischen Gegenstück zur deutschen Birthler Behörde, untersucht. In der Mappe gebe es "sehr viel Unwahrheit und Lügen", so Wielgus. Er habe "niemandem mit Worten oder Taten geschadet".

Der Erzbischof erklärte als Reaktion auf den Befund der Untersuchungen, er sei 1978 "mit Drohungen und Geschrei" gezwungen worden, vor einer Reise nach München seine Bereitschaft zu einer Zusammenarbeit mit dem Auslandsgeheimdienst zu unterschreiben. Er habe jedoch tatsächlich "nie einen Geheimdienstauftrag erfüllt", so der 67-Jährige.

"Werde jede Entscheidung des Papstes annehmen"
Am Freitagabend hatte Wielgus noch einmal betont, dass er seine früheren Geheimdienstkontake eingestanden habe und diese einem Amtsantritt nicht im Wege stünden. In einem ausführlichen Kommunique, das am Samstagabend in allen Kirchen des Erzbistums verlesen wurde, sprach er von einem Fehler, den er vor Jahren begangen habe. Er bekenne sich nun zu diesem Fehler, so wie er ihn bereits früher vor Benedikt XVI. bekannt habe. Er habe zwar niemanden denunziert und niemandem geschadet, jedoch der Kirche insgesamt Schaden zugefügt. Zugleich betonte er, dass er sich jeder Entscheidung des Papstes unterwerfen werde.

Der ehemalige Oppositionelle, Pater Tadeusz Isakowicz-Zaleski aus Krakau, der sich unabhängig von seiner Erzdiözese mit der kommunistischen Vergangenheit beschäftigt, äußerte sich optimistisch. Er hoffe nun auf einen positiven Umbruch innerhalb der Kirche, sagte Isakowicz-Zaleski dem Sender "TVN24". In der polnischen Kirche gebe es immer noch eine "starke Lobby" gegen eine Aufarbeitung der Vergangenheit. Die jüngsten Ereignisse dürften nun ein Umdenken bewirken, so der Priester. Nach seiner Einschätzung belegen die Geheimdienst-Akten des Instituts für das Nationale Gedächtnis (IPN) auch ein heldenhaftes Verhalten vieler Priester.

Soziologe: Ein Präzedenzfall
Der Jesuit Waclaw Oszajca erinnerte in "TVN24" an die Worte Benedikt XVI. während seines Polen-Besuchs im vergangenen Mai. Der Papst hatte die Menschen aufgerufen, sich nicht zum Richter vergangener Generationen zu machen. Gleichzeitig betonte er, dass man "die Wahrheit nicht verdunkeln" dürfe. Der Soziologe Jacek Kucharczyk vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten (ISP) nannte es einen Präzedenzfall, dass die Kirche auf Druck der Öffentlichkeit eine Entscheidung geändert habe.

Polnische Medienvertreter und Beobachter werfen unterdessen dem Vatikan-Botschafter in Warschau, Erzbischof Jozef Kowalczyk, Nachlässigkeit in der Angelegenheit vor. Das IPN hatte zuletzt mitgeteilt, dass über Monate bis zur vergangenen Woche kein Kirchenvertreter Einsicht in Wielgus' SB-Akten verlangt habe.

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