Weihnachtssingen in Fußballstadien liegt im Trend

Mit Plätzchen, Punsch und Picknickkorb

Man muss kein Caruso sein. Freude am Singen reicht schon. In immer mehr deutschen Fußballstadien treffen sich Musikbegeisterte und Feierwillige zum gemeinsamen Weihnachtsliedersingen: You'll never sing alone.

Autor/in:
Christoph Arens
Weihnachtssingen im Fußballstadion / © Henning Kaiser (dpa)
Weihnachtssingen im Fußballstadion / © Henning Kaiser ( dpa )

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) müsste begeistert sein: Kritisierte sie doch kürzlich, dass die Deutschen kaum noch Weihnachtslieder kennen. "Da muss man eben mal ein paar Liederzettel kopieren und einen, der noch Blockflöte spielen kann, mal bitten", fügte die Pfarrerstochter hinzu.

Landauf, landab wird Merkels Rezept schon seit ein paar Jahren in die Tat umgesetzt: In immer mehr Fußballstadien der Republik laden Musiker, Kirchen und soziale Initiativen zum weihnachtlichen Rudelsingen ein. Die Teilnehmerzahlen verdoppeln sich.

Weihnachtslieder statt Fanhymnen

Kerzen statt Flutlicht, Weihnachtslieder statt Fanhymnen: Wenn Zehntausende im Kölner Rhein-Energie-Stadion oder auf dem Aachener Tivoli "Stille Nacht" oder die "Weihnachtsbäckerei" anstimmen, macht sich Gänsehautstimmung breit - und das Gefühl: You'll never sing alone.

Das Patent aufs weihnachtliche Singen im Stadion reklamieren die Fußballer von Union Berlin für sich: 2003 kletterten dort 89 Partyverrückte über den Stadionzaun, um "halblegal" mit Glühwein und Gebäck auf Höhe der Mittellinie des Stadions An der Alten Försterei Weihnachtslieder zu singen. 2010 erfüllten schon die Stimmen von über 10.000 Menschen das Rund, vergangenes Jahr waren es 32.000, darunter zahlreiche Flüchtlinge. (Termin 2016: 23. Dezember)

Längst hat die Idee Nachahmer gefunden. In Aachen war die Resonanz mit 18.000 Teilnehmern beim dritten "Stadion-Singen" 2015 beeindruckend. Diesmal rechnen die Veranstalter, die Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) und die Alemannia-Fan-IG, am 18. Dezember mit 18.000 Gästen.

Große Nachfrage in Köln

Riesig ist die Nachfrage in Köln. Zur Premiere von "Loss mer Weihnachtsleeder singe" kamen 2015 auf Anhieb 32.000 Sänger mit Plätzchen, Punsch und Picknickkorb in den Fußballtempel. Dieses Jahr sollen es einen Tag vor Heiligabend 44.000 werden. Dabei sind bekannte Künstler von BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken, Mitglieder der Höhner und der Black Fööss sowie der Jugendchor St. Stephan.

Ins Dresdner Stadion lädt am 22. Dezember der Dresdner Kreuzchor, der sein 800-jähriges Bestehen feiert. "Wir werden gemeinsam ein Zeichen für eine friedvolle Stadt setzen", kündigte Kantor Roderich Kreile an. Im Duisburger MSV-Stadion stand das - zum zweiten Mal - durchgeführte Weihnachtsliedersingen am Tag vor Nikolaus im Zeichen der Inklusion: "Menschen mit und ohne Behinderung singen gemeinsam!", so das Motto.

In Frankfurt/Oder ist am 21. Dezember ein erstes deutsch-polnisches Weihnachtssingen geplant: Einwohner beider Grenzstädte sollen auf dem Marktplatz zusammenkommen und beliebte Weihnachtslieder singen, darunter auch "Cicha Noc", die polnische Version von "Stille Nacht".

Erstmals sollen Weihnachtslieder am 18. Dezember auch im Schweinfurter Fußballstadion erklingen. Unter dem Motto "Süßer die Schnüdel nie singen" laden katholische und evangelische Cityseelsorger und der FC Schweinfurt 05 ein. "Schnüdel" ist ein Spitzname für die Schweinfurter.

Initiator ist der Pastoralreferent Ullrich Göbel. Im vergangenen Jahr erlebte er das Weihnachtssingen bei Union Berlin mit - und war begeistert: "Wenn das Licht ausgeht, im Stadion ein Meer aus Kerzen brennt und aus tausenden Kehlen Weihnachtslieder erklingen, dann ist das einfach ein gigantisches Gefühl."

Lob vom Deutschen Chorverband

Beim Deutschen Chorverband sieht man das mit "Wohlwollen", auch wenn Chöre davon nicht direkt profitieren. "Singen hat unglaublich Konjunktur", freut sich Pressesprecher Daniel Schalz. Während traditionelle Männergesangvereine vor sich hindümpelten, boomen "niedrigschwellige" Mitsingveranstaltungen, Kneipenchöre oder das Adventssingen mit 2.000 Teilnehmern im Kölner Dom.

Nach den Worten von Schalz hat Deutschland - auch im europäischen Vergleich - erheblichen Nachholbedarf beim Singen. Die Nazis hätten es diskreditiert. Und für die 68er-Generation habe kollektives Singen - in Anlehnung an den Musikwissenschaftler Theodor Adorno - eine strukturelle Nähe zum Faschismus gehabt. Seit 20 Jahren ändert sich die Stimmung: "Singen wird wieder cool", freut sich Schalz. "Es gibt ein großes Bedürfnis, ungezwungen gemeinsam zu singen."


Quelle:
KNA