Vergängliche Zeit im Advent

"Der Advent liegt bewusst in der dunklen Jahreszeit"

Mit dem Advent beginnt der Vorweihnachtsstress, gleichzeitig ist es eine Zeit der Entschleunigung. Was der Advent mit uns und unserem Zeitempfinden macht, erzählt Elisabeth Neuhaus im domradio.de-Interview.

Erst eins, dann zwei, dann drei... / © Karl-Josef Hildenbrand (dpa)
Erst eins, dann zwei, dann drei... / © Karl-Josef Hildenbrand ( dpa )

domradio.de: Das Vorbeirauschen der Zeit im Advent: Ist das bloß auf die kürzer werdenden Tage zurückzuführen?

Elisabeth Neuhaus (Leiterin der Pastoralabteilung des Bischöflichen Ordinariats in Dresden): Das Verrückte ist ja, dass die meisten sagen, jetzt würden die Tage dunkler und länger werden. Man hat weniger Tageslicht und trotzdem ist die Zeit länger. Man trifft nicht mehr so viele Menschen auf der Straße, nicht mehr unbedingt die Nachbarn auf dem Balkon oder im Garten. Man zieht sich immer mehr zurück und hat eigentlich mehr Zeit für sich, mehr Zeit alleine und mit der Familie. Man hat nicht mehr so viel Kontakt nach außen. Also irgendwie ist diese Zeit seltsam.

domradio.de: Ist da Winter gleichbedeutend mit Advent? Oder kommt durch den Advent nochmal eine ganz besondere Note hinzu?

Neuhaus: Der Advent liegt ja nicht umsonst in dieser Zeit, in der es dunkel und kalt ist. Gerade noch zu der Zeit, als man noch nicht so viel künstliches Licht hatte, war ja schon die Frage: Wie ist das mit der Dunkelheit, auch der Dunkelheit in mir? Und mit der Kälte? Und wie gehe ich damit um? Das hatte ja damals noch eine ganz existenzielle Bedeutung, die auch noch viel tiefer in die Seele ging, die man nicht einfach wegknipsen konnte wie heute. Und darauf braucht es ja eine Antwort: Wie ist es denn mit der Dunkelheit und wo bekomme ich das Licht her? Das ist ja schon eine spannende Frage.

domradio.de: Man hört ja auch oft den Satz "Kinder, wie die Zeit vergeht!". Dieser Satz signalisiert, dass jemand zurückblickt. Ist es vielleicht auch eine ganz heilsame Sichtweise, nicht ständig auf die Uhr und den Kalender zu schauen, sondern nur ab und zu die Feststellung zu machen, wie schnell die Zeit vergeht?

Neuhaus: Das ist ja auch eine interessante Feststellung, dass wir die Zeit bis in eine nicht mehr wahrnehmbare Dimension verobjektivieren. Beim Sport zum Beispiel hören wir von Hundertstelsekunden. Das kann man sich ja schon gar nicht mehr vorstellen. Das ist das eine. 

Und das andere ist die große Subjektivität von Zeit. Wenn wir zum Beispiel frisch verliebt sind und auf das nächste Treffen warten - dann hat man den Eindruck, es geht um eine Sanduhr, in der jedes Körnchen einzeln fällt. Und auf der anderen Seite, wenn man den Schreibtisch voll und viel zu tun hat, dann hat man am Ende des Tages das Gefühl: Wo ist die Zeit geblieben? Das subjektive Zeitempfinden ist ja sehr unterschiedlich. Und früher, als Jugendliche, habe ich immer gelächelt, wenn meine Großeltern sagten: "Werde mal so alt wie wir, dann wirst du das auch merken." Aber es ist ja tatsächlich so, dass sich das subjektive Zeitempfinden mit dem Alter verändert.

domradio.de: Ist das schon die Eklärung: Je älter man wird, desto bewusster geht man mit der Zeit um?

Neuhaus: Bewusster vielleicht nicht, aber anders. Man hat einen anderen Erfahrungsrahmen, es relativiert sich. Wenn ich jung bin, habe ich noch eine Zeitdimension vor mir, die ich mir gar nicht vorstellen kann, weil ich sie noch nicht erlebt habe. Und irgendwann verändert sich das so, dass nach menschlichem Ermessen das, was ich vor mir habe, viel kürzer ist als das, was ich hinter mir habe. Damit positioniere ich mich natürlich selbst ganz anders innerhalb der Zeit. 

domradio.de: Der Advent ist wohl mit der längste zusammenhängende Zeitraum, den man im Laufe eines Jahres benennen kann. Das weckt dann auch Erinnerungen an die Vorjahre. Haben Sie einen Tipp, wie man mit so einem Zeitraum umgeht, auch mit der Vergänglichkeit, weil schon wieder ein Jahr rum ist?

Neuhaus: Es ist ja so: Alle Jahre wieder kommt plötzlich der Advent. Man weiß ja, es braucht Geschenke. Und in der Regel wäre ja die Frage, ob man es irgendwie hinbekommt, vielleicht schon nach den Sommerferien hier und da ein Geschenk zu besorgen. Und dafür könnte man im Advent ganz bewusst sagen: Jetzt muss ich nicht auch noch in die Stadt und mich ins Getümmel stürzen. Das setzt allerdings eine gewisse Disziplin voraus. 

Allerdings gibt es tatsächlich viele Familien, die sich abends um den Adventskranz setzen oder eine Geschichte anhören. Da gibt es viele, die sagen, wir möchten das bewusst gestalten. Die möchten gerade diese Abendstunden, die langen dunklen Stunden, nutzen, um miteinander etwas zu machen.

 

Das Interview führte Daniel Hauser.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Weder domradio.de noch das Erzbistum Köln machen sich Äußerungen der Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen zu eigen.

 


Quelle:
DR