Adventskalender im Wandel

Früher war weniger Schokolade

Für Kinder sind sie das wohl greifbarste Zeichen der Adventszeit: die Adventskalender. Diese deutsche Tradition ist mehr als 100 Jahre alt - und hat sich seitdem stark verändert.

Autor/in:
Tim Stobbe
Adventskalender verkürzen das Warten (dpa)
Adventskalender verkürzen das Warten / ( dpa )

Aus dem Bett krabbeln, der Schlaf noch in den Augen, das Papptürchen auffriemeln und Schokolade schon vor dem Frühstück naschen: Der 1. Dezember ist da und mit ihm verkürzen Adventskalender in Kinderzimmern die Wartezeit aufs Weihnachtsfest. Bei Peter Nicolaus in Wuppertal würden Kinder aber ein langes Gesicht machen - obwohl er mehr als 2000 Adventskalender zu Hause hat.

Peter Nicolaus, 63 Jahre alt, sammelt die Wartezeitverkürzer. "Die Vielfalt der Motive und die Illustratoren der Kalender interessieren mich", sagt er. Und das seit 1992. Abgesehen hat er es auf historische Exemplare. Anders als bei den heutigen verbirgt sich hinter den Türchen keine Schokolade, kein Spielzeug. Hinter den vielen hundert Illustrationen mit schneebedeckten Häusern, Weihnachtsbäumen, Engelchen und fröhlichen Kindern verstecken sich Sinnsprüche und Bilder - von Geschenken, Kindern oder religiösen Figuren wie dem Christuskind.

Sorgsam bewahrt Peter Nicolaus sie auf, in Folie geschlagen, teils für Ausstellungen mit recherchierten Hintergründen versehen. In seinem Wohnzimmer wirken sie ein bisschen fremd: Zwischen modernen Möbeln aus Leder, Edelstahl und mit klaren Formen gibt es kaum genug Platz für die vielen Adventskalender, viele Jahrzehnte alt, die Bilder oft hart an der Grenze zum Kitsch. Nur eine Vitrine zeugt im Mobiliar mit weihnachtlicher Dekoration von seinem Hobby. "Zur Adventszeit wird sie so dekoriert", sagt der Sammler. "Sonst stelle ich darin meine schönsten und neuesten Sammlerstücke aus."

Ermahnungen statt Schokolade

Seit seinen gedruckten Anfängen um 1900 bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hatten Adventskalender oft nicht so viel mit Süßigkeiten zu tun wie heute. Ein Sammlerstück von Peter Nicolaus - ein handgemachtes Unikat - verbirgt hinter jedem Türchen eine Aufforderung: "Gehe leise die Treppe heraus", "Mache deine Aufgaben" und ähnliche Ermahnungen sollten die Kinder wohlerzogener machen.

Darin spiegelt sich der Ursprung des Adventskalenders wider: "Er sollte (...) den Kindern Geduld und Beherrschung beibringen", schreibt der Volkskundler Alois Döring in einem Buch über Bräuche im Rheinland. In den Anfängen des Adventskalenders ging es im 19. Jahrhundert aber nicht nur um Geduld. Laut der Volkskundlerin Dagmar Hänel spielten die Kalender in der Erziehung in bürgerlich-protestantischen Familien eine Rolle: "Wenn die Kinder anständig gebetet hatten, durften sie einen Strohhalm in die Krippe legen", sagt die Expertin des Landschaftsverbands Rheinland. "So lag es in der Verantwortung der Kinder, dass das Christuskind am Weihnachtsfest weich in seiner Krippe liegt."

Sprüche auf einer Uhr

Auf diesen Brauch folgten in vielen Stuben sogenannte Kalenderuhren. Meist rund, hatten sie zwölf Felder mit Sprüchen für die zwölf Tage vor Weihnachten und einen Zeiger. Tag für Tag durfte er weiter gedreht werden. Doch sie bargen wenig Spannung - schließlich konnten die Kinder sofort alle Sprüche lesen.

Wichtiger als die Historie des Kalenders an sich sind Sammler Peter Nicolaus jedoch die Illustrationen und die Geschichten dahinter. Er schätzt die kleinen Stücke Kindheit, die die Vorbesitzer mit den Adventskalendern verbinden.

Doch die vielen hundert Adventskalender von Peter Nicolaus zeugen nicht nur von Kunst und tragen nicht nur Spuren bürgerlicher Erziehung - sie spiegeln auch Zeitgeist wider. Früher religiös mit gottgefälligen Segenssprüchen, propagierten Kalender in der NS-Zeit fröhliche Kinder in Uniform.

Propaganda für Kinder in DDR

In der atheistischen DDR zeigten sie ebenso keine christlichen Symbole wie etwa Engel - dafür aber zum Beispiel ein Weihnachtsboot, in festlichen Farben geschmückt und mit Geschenken beladen. "Das war Propaganda pur", sagt Peter Nicolaus und zeigt einen Kalender mit vielen Besuchern aus verschiedenen Ländern, die dem DDR-Kind ein frohes Fest wünschen. Sie bringen Geschenke mit, verborgen hinter den Türchen. Und aus der Sowjetunion kommt natürlich - eine Friedenstaube.

Doch abseits von Erziehung, Propaganda und Religion hielt der Genuss im Laufe des vergangenen Jahrhunderts Einzug in die Adventskalender - und hält sich bis heute: Inzwischen richten sich Adventskalender nicht mehr bloß mit Schokolade an Kinder. Erwachsene locken sie mit erotischen Motiven, Kosmetika oder Bier.

 


Quelle:
dpa