Neuer Adveniat-Chef über die Faszination von Lateinamerika

"Ein gutes Stück meines Herzens dort gelassen"

Lateinamerika gehört ein "Teil seines Herzens", denn er hat den Kontinent selbst in guten und schwierigen Zeiten erlebt. Zum 1. September tritt der Jesuitenpater Martin Maier das Amt des neuen Hauptgeschäftsführers beim Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat an.

Pater Martin Maier / © N.N. (Adveniat)
Pater Martin Maier / © N.N. ( Adveniat )

DOMRADIO.DE: Was überwiegt bei Ihnen -  die Freude auf die neue Aufgabe oder der Respekt vor der Verantwortung mit solch einem großen Hilfswerk?

P. Martin Maier SJ (Ab 1. September Hauptgeschäftsführer von Adveniat): Beides! Für mich kam die Anfrage der Deutschen Bischofskonferenz überraschend. Aber als ich etwas über diese Perspektive nachgedacht habe, sagte ich mir: Das ist eine tolle Chance! Ich habe selber eine lange Geschichte mit Lateinamerika, speziell mit El Salvador. Ich sehe die Möglichkeit, hier etwas für die Kirche in Lateinamerika, für die Armen und im Brückenbau zwischen Lateinamerika und Europa zu bewirken.

DOMRADIO.DE: Wir haben zwar einen Papst aus Lateinamerika, aber für viele ist Mittel- und Südamerika immer noch recht fremd. Oder sie assoziieren damit nur Gewalt und Drogenkrieg. Was fasziniert Sie ganz persönlich an Lateinamerika?

Maier: Die Menschen! Es sind einfach wunderbare Menschen - ich denke da an meine Freunde und Freundinnen in El Salvador; ich war dort einige Zeit Pfarrer in einer Landgemeinde, in Jayaque. Sie fallen mir zuerst ein. Dann auch die Schönheit des Kontinents; die Schönheit El Salvadors mit wunderbaren Pazifikstränden, mit dem Bergland im Norden. Und was mir auch gleich einfällt, das sind die Glaubenszeugen, die Märtyrer, die Lateinamerika hervorgebracht hat. Es war für mich Erzbischof Oscar Romero von San Salvador, der mich überhaupt vor vierzig Jahren wachgemacht hat für Lateinamerika.

DOMRADIO.DE: Sie sprechen die Märtyrer im Bürgerkrieg an, Erzbischof Romero wurde 1980 von Todesschwadronen ermordet. Sie waren 1989 Pfarrer einer Landgemeinde und genau zu dieser Zeit sind sechs Ihrer Ordensbrüdern ermordet worden. Viele wären da ja weggelaufen. Sie aber nicht. Warum?

Maier: Ich habe damals an einer Doktorarbeit über zwei Befreiungstheologen in El Salvador geschrieben - über Ignacio Ellacuría, der unter den Ermordeten war, und Pater Jon Sobrino. Außerdem hatte ich gerade die Landpfarrerei Jayaque kennengelernt und hatte dort mit Pater Ignacio Martín-Baró zusammen gearbeitet. Er war dort an den Wochenenden Pfarrer, unter der Woche Professor und Vizerektor der Universität. Er wurde zusammen mit Pater Ignacio Ellacuria umgebracht. Die Leute von Jayaque sagten dann nach der Beerdigung: "Jetzt sind Sie unser Pfarrer!" Ich war zuerst einmal erschrocken, habe dann mit dem Provinzial gesprochen und der sagte: "Wenn du das machen möchtest, dann mach' das!" Und so bin ich für anderthalb Jahre Pfarrer von Jayaque geworden.

DOMRADIO.DE: Sie haben das Land ja sogar als Ihre "Herzensheimat" bezeichnet. Wie kommen Sie denn auf diesen Begriff?

Maier: Ja, weil mein Herz oder zumindest ein guter Teil meines Herzens, in El Salvador geblieben ist. Ich habe die Lebendigkeit des Evangeliums mit den Menschen dort erleben können - gerade unter den schwierigen Bedingungen von Verfolgung in der Landgemeinde. Eine unserer Kirchen wurde von Soldaten über sechs Wochen besetzt, drei unserer engagierten Gemeindeleiter wurden gefangengenommen und gefoltert. Wir sind den Weg von Kreuz, aber auch den Weg von Auferstehung gegangen, so haben wir das erfahren. Die Leute sagten: "Pater Nacho" - wie er dort liebevoll genannt wurde - "ist nicht tot, sondern er lebt. Und er ist gegenwärtig."

DOMRADIO.DE: In diesem Zusammenhang ist für Sie ja auch der Bereich der Befreiungstheologie sehr wichtig. Wenn Sie jetzt mit so einer großen Begeisterung von Lateinamerika sprechen, dann muss es Sie doch schmerzen, dass die Befreiungstheologie über Jahrzehnte einen sehr schwierigen Stand bei Teilen der Amtskirche hatte, etwa bei Papst Johannes Paul II. Warum hat sich denn Ihrer Meinung nach ein Teil der Kirche damit so schwer getan?

Maier: Ja, das ist ein schwieriges Thema. Die Befreiungstheologie hat sowohl im Spannungsfeld des Kalten Krieges gestanden, als auch im Spannungsfeld in den Ländern Lateinamerikas, zwischen Reich und Arm. Es gibt in den meisten Ländern Lateinamerikas eine kleine, aber sehr reiche Oberschicht. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt in Armut und Elend. Und als in Lateinamerika in den 1960er Jahren die Bewegung der Basisgemeinden angefangen hat, die ja auch am Anfang der Theologie der Befreiung steht, wurde das sehr schnell als Kommunismus und Marxismus gebrandmarkt - und dagegen waren alle Mittel recht. In diesem Spannungsfeld stand auch die Theologie der Befreiung. Das hat sich dann doch im Lauf der Zeit geändert.

DOMRADIO.DE: Spätestens mit Papst Franziskus hat sich da ja vieles geändert - unter anderem die Tatsache, dass nach Jahrhunderten von italienischen Päpsten - oder zumindest europäischen Päpsten - jetzt ein Lateinamerikaner an der Spitze der Kirche steht. Wie gut tut das denn der Kirche insgesamt, dass sie ein bisschen aus dieser Europa-Zentrierung wegkommt und vielleicht mehr auf Länder wie in Lateinamerika schauen kann?

Maier: Das tut der Kirche sehr gut. Der große Theologe Karl Rahner sagte, dass mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil  eine Entwicklung eingesetzt hat, dass die katholische Kirche wirklich zur Weltkirche geworden ist. Und ich denke, mit der Wahl von Papst Franziskus ist das auch nochmal ganz, ganz spürbar geworden, dass wir eine Weltkirche sind und dass wir uns weg vom Eurozentrismus bewegen.

DOMRADIO.DE: Zumal wir in Europa ja doch einen erheblichen Glaubens- und Kirchenkrise stecken. Deswegen schauen jetzt viele Christen auch mal genau hin, wie Kirche in anderen Regionen funktioniert. Was können wir Christen von Lateinamerika lernen für unser Glaubensleben?

Maier: Wir können uns inspirieren lassen. Es ist eine junge Kirche, es ist eine lebendige Kirche, aber es ist auch nicht alles ideal in Lateinamerika. Dort gibt es ebenfalls eine Entwicklung einer wachsenden Säkularisierung, die Katholische Kirche nimmt auch dort ab, weil viele zu den Pfingstkirchen abwandern. Aber es ist nach wie vor eine lebendige Kirche. Und für mich war eben sehr wichtig zu erleben, wie die Leute dort bereit sind, für ihren Glauben auch Risiken in Kauf zu nehmen. Ich erinnere mich zum Beispiel an Teresa Pérez, eine Gemeindeleiterin in Jayaque, die sagte: "Wenn sie uns umbringen", - und das war damals durchaus möglich - "dann heissen wir den Tod willkommen, weil wir haben nichts Schlechtes getan. Wir gehen den Weg Jesu. Wir gehen den Weg unseres Hirten Pater Ignacio Martín-Baró. Denn wir glauben nicht an den Tod, sondern an die Auferstehung."

DOMRADIO.DE: Das heißt, man kann viel über Mut und Zuversicht von den Christen in Lateinamerika lernen. Sie treten Ihr Amt als Hauptgeschäftsführer zum 1. September an. Gibt es etwas, auf das Sie sich jetzt schon freuen?

Maier: Ja, ich freue mich auf den Brückenbau zwischen den Ländern und Menschen und ich freue mich auf die lebendigen Brücken, die es schon gibt. Adveniat besteht ja schon seit 1961. Da ist vieles schon gewachsen. Ich freue mich darauf, der Kirche in Lateinamerika so sicher in einer neuen und noch sehr viel breiteren Weise begegnen zu können und Brücken in beiderlei Richtungen zu begehen.

Das Gespräch führte Mathias Peter.


Quelle:
DR