Der weltweite Zugang zu Corona-Impfstoffen sollte nach Auffassung des Vatikan im UN-Sicherheitsrat verhandelt werden. Nötig seien "feste politische Entscheidungen auf Grundlage des Multilateralismus", erklärte der Dachverband der Caritas-Organisationen im Vatikan am Freitag. Die Impffrage sei ein globales Sicherheitsproblem. Zugleich forderte Caritas Internationalis einen umgehenden Schuldenerlass für die ärmsten Länder, damit diese ihr Gesundheitssystem stärken könnten.
Die Impfstoffe hätten zusammen mit Hoffnung auch eine größere Ungleichheit gebracht, hieß es. Unterzeichnet ist die Erklärung von den Kurienkardinälen für Mission und Entwicklung, Luis Tagle und Peter Turkson. Beide leiten einflussreiche Vatikanbehörden. Tagle ist zugleich Präsident von Caritas Internationalis.
Arme, Minderheiten, Flüchtlinge und gesellschaftlich Ausgegrenzte seien dem Virus am stärksten ausgesetzt. Die Sorge für sie sei eine "moralische Priorität". Diese Menschen im Stich zu lassen, setze die globale Gemeinschaft aufs Spiel, betonte der Dachverband.
Viele der am wenigsten entwickelten Länder entbehrten grundlegender medizinischer Infrastruktur und Möglichkeiten zur Lagerung der Vakzine. Bewohner entlegener ländlicher Gebiete seien nicht sensibilisiert und zudem anderen Infektionskrankheiten ausgesetzt.
Während reiche Nationen auf eine Rendite für ihre Investitionen in die Erforschung und Produktion des Impfstoffs hofften, bleibe der globale Süden außen vor. Den Industriestaaten warf Caritas Internationalis Nationalismus und Protektionismus vor. Auch die Frage der Patente müsse dringend erörtert werden. Es gehe darum, eine lokale Produktion in Afrika, Lateinamerika und Asien zu ermöglichen und den Zugang zu Impfstoffen zu beschleunigen. (KNA/05.02.2021)
10.02.2021
Lateinamerika ist Corona-Hotspot. Um die Ausbreitung des Virus dort zu stoppen, fordert das katholische Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat eine temporäre Aufhebung des Patentschutzes und nimmt die Staaten und Regierungen in die Pflicht.
DOMRADIO.DE: Wie katastrophal sind die Zustände in Lateinamerika aktuell in Hinblick auf die Pandemie?
Pater Michael Heinz (Hauptgeschäftsführer des Lateinamerika-Hilfswerks Adveniat): Nun, Sie haben es vielleicht in den Medien mitverfolgt, in Lateinamerika erreichen wir fast die 20 Millionen-Grenze der Infizierten und mit über 600.000 Toten ist Lateinamerika sicherlich weltweit ein Hotspot.
Ganz besonders stark betroffen ist Brasilien, wo die zweite und inzwischen die dritte Welle auch im Amazonasgebiet in Manaus angekommen ist. Wir sind dort mit Erzbischof Steiner sehr gut in Kontakt, der von verheerenden Zuständen berichtet.
Der Sauerstoff wird knapp und die Menschen sterben, weil ihnen auch die Grundnahrungsmittel fehlen, weil es eben auch schon lange keine Arbeit mehr gibt. Das Sozialsystem in Brasilien oder in Lateinamerika allgemein ist ja nicht so gut, wie das bei uns der Fall ist, sodass die Leute überhaupt nicht abgesichert sind.
DOMRADIO.DE: Was da noch hinzukommt: Die Menschen in ärmeren Regionen der Welt haben oft gar keinen oder nur begrenzten Zugang zum Corona-Impfstoff, so auch in Lateinamerika. Was sollten die EU und andere Industriestaaten Ihrer Meinung nach tun? Welche Verantwortung hat man hier?
Heinz: Ich denke, es ist allerhöchste Zeit, dass wir an die Patente rangehen. Ich glaube, das ist eine Pflicht von uns. Es ist ja auch gesetzlich abgesichert, dass diese Patente aufgehoben werden können, wenn ein Notfall eintritt. Und ich denke, diese Pandemie ist ein Notfall, der weltweit ganz besonders die Folgen dann auch für die Länder im Süden zeigt. Die sind ja noch stärker betroffen.
Wir merken das selbst hier in Deutschland, wie schleppend die Impfungen vorangehen, eben weil die Patente geschützt sind. Es ist ja auch grundsätzlich gut, aber in so einem Fall denke ich, müsste man wirklich die Patente, die Rechte aufheben, sodass die Produktion verstärkt werden kann und somit auch gerade die Menschen in den Ländern des Südens geimpft werden können.
DOMRADIO.DE: Die Industrieländer argumentieren, dass der Patentschutz für den Impfstoff nicht der Grund sei, warum so wenig Impfstoff produziert wird. Sie sehen das aber anders.
Heinz: Ich sehe das anders. Es gibt auch hier in Deutschland, das wissen wir, Unternehmen, die mehr Impfstoffe produzieren könnten, wenn sie das dürften. Es wird ja sogar bei uns hier in Deutschland diese Frage diskutiert. Wenn der Patentschutz aufgehoben wird, wäre es möglich, sogar hier in Deutschland schneller zu produzieren und mehr zu produzieren. Davon hätten wir alle was. Sowohl wir hier in den reichen Ländern des Nordens, als auch vor allen Dingen im Süden.
Der Süden, gerade Brasilien, ist immer gern als Testland gesehen worden. Während der Pandemie haben auch gerade Pfizer und AstraZeneca dort getestet. Aber nun, wo es um die Verteilung des Impfstoffs geht und wo die Länder natürlich nicht so viele Gelder haben, stehen die wie immer an der letzten Stelle.
DOMRADIO.DE: Eine Begründung, wieso der Patentschutz nicht aufgehoben wird, ist ja auch, dass sich Investitionen in Medikamentenforschung nur dann lohnen, wenn die Firmen bei Erfolg damit auch Geld verdienen können, heißt es. Ist das in Ihren Augen ein vertretbares Argument, wenn Sie an die Situation in Lateinamerika denken?
Heinz: Nein, ist es nicht, weil wir ja auch daran denken müssen, dass gerade in den Impfstoff gegen das Corona-Virus sehr viele Steuergelder investiert wurden. Der Staat oder die Staaten haben sehr viel Steuergelder investiert.
Vor allen Dingen ist es ja nicht so, als würden jetzt die großen Konzerne, die Chemie- und Pharmakonzerne nichts verdienen. Darum geht es nicht. Und es geht auch nicht darum, den Patentschutz für immer aufzuheben, sondern eben jetzt in dieser Situation. Das könnte man ja auch auf ein Jahr oder zwei Jahre ausdehnen. Wenn dann die Produktion anläuft und die meisten Menschen geimpft sind, kann das ja dann die Firma auch gerne weitermachen.
DOMRADIO.DE: Die Covax-Initiative der WHO hat das große Ziel, die Corona-Impfstoffe weltweit gerecht zu verteilen. Schätzen Sie dieses Ziel angesichts der aktuellen Diskussion gerade als realistisch ein?
Heinz: Es ist realistisch, aber es geht auch dort viel zu langsam. Wir spüren ja alle, wie langsam die ganze Impfkampagne überall anläuft. Und bei der Covax-Initiative fehlen noch Milliarden, um die Finanzierung sicherzustellen. Die wird dann auch an letzter oder vorletzter Stelle stehen und dann kommen erst die Schwellenländer und dann kommen erst die Menschen, die es am nötigsten haben.
Wir sehen das ja gerade auch in der Diskussion hier in Deutschland, wie langsam das alles vorangeht. Also von daher wäre ich sehr dafür, gerade als Lateinamerika-Hilfswerk. Als Hilfswerke setzen wir uns mit dem Papst dafür ein, dass diese Patentrechte im Moment aufgehoben werden. Das kann ja, wie gesagt, auf eine Zeit begrenzt sein.
Das Interview führte Julia Reck.
Der weltweite Zugang zu Corona-Impfstoffen sollte nach Auffassung des Vatikan im UN-Sicherheitsrat verhandelt werden. Nötig seien "feste politische Entscheidungen auf Grundlage des Multilateralismus", erklärte der Dachverband der Caritas-Organisationen im Vatikan am Freitag. Die Impffrage sei ein globales Sicherheitsproblem. Zugleich forderte Caritas Internationalis einen umgehenden Schuldenerlass für die ärmsten Länder, damit diese ihr Gesundheitssystem stärken könnten.
Die Impfstoffe hätten zusammen mit Hoffnung auch eine größere Ungleichheit gebracht, hieß es. Unterzeichnet ist die Erklärung von den Kurienkardinälen für Mission und Entwicklung, Luis Tagle und Peter Turkson. Beide leiten einflussreiche Vatikanbehörden. Tagle ist zugleich Präsident von Caritas Internationalis.
Arme, Minderheiten, Flüchtlinge und gesellschaftlich Ausgegrenzte seien dem Virus am stärksten ausgesetzt. Die Sorge für sie sei eine "moralische Priorität". Diese Menschen im Stich zu lassen, setze die globale Gemeinschaft aufs Spiel, betonte der Dachverband.
Viele der am wenigsten entwickelten Länder entbehrten grundlegender medizinischer Infrastruktur und Möglichkeiten zur Lagerung der Vakzine. Bewohner entlegener ländlicher Gebiete seien nicht sensibilisiert und zudem anderen Infektionskrankheiten ausgesetzt.
Während reiche Nationen auf eine Rendite für ihre Investitionen in die Erforschung und Produktion des Impfstoffs hofften, bleibe der globale Süden außen vor. Den Industriestaaten warf Caritas Internationalis Nationalismus und Protektionismus vor. Auch die Frage der Patente müsse dringend erörtert werden. Es gehe darum, eine lokale Produktion in Afrika, Lateinamerika und Asien zu ermöglichen und den Zugang zu Impfstoffen zu beschleunigen. (KNA/05.02.2021)