Adveniat: Die ärmsten Bundesländer drohen umzukippen

Mexikos vermisste Studenten

Das bischöfliche Hilfswerk Adveniat ruft Mexikos Regierung dazu auf, das mutmaßliche Studenten-Massaker aufzuklären. Adveniat-Projektleiter Alfons Vietmeier über kritische Studenten und korrupte Behörden.

43 Studenten werden vermisst  (dpa)
43 Studenten werden vermisst / ( dpa )

domradio.de: 43 Studenten sind seit mehr als zwei Wochen verschwunden. Warum wird dieses Verbrechen nicht aufgeklärt?

Alfons Vietmeier: Weil es eine sehr komplexe Vermischung von politischen, wirtschaftlichen und anderen Interessen gibt. Es gibt in Mexiko ein ganzes System von ländlichen Lehrerausbildungsstätten. Sie sind aber zugleich in den letzten 50 Jahren sehr politisch, ja sogar kritisch radikal und zu einer außerparlamentarischen Opposition geworden. Insofern sind sie ein kontinuierliches Ärgernis für die politischen Kräfte in einigen Bundesländern. Es gibt eine ganze lange Geschichte von blutigen Auseinandersetzungen und das hat sich jetzt wiederholt. (…) Das politische Milieu ist sehr heiß. In diesem Sinne war dann die Notwendigkeit, die Studenten schlicht und simpel verschwinden zu lassen, weil es sonst andere Probleme gegeben hätte. Da kommen wir auf die Korruptionssituation und das hat weitere Hintergründe.

domradio.de: Es wird vermutet, dass die Polizei und auch der Bürgermeister Kontakte zu Drogenbanden haben, ist das richtig?

Vietmeier: Ja, das ist im Grunde bewiesen. Mexiko hat in den letzten zehn Jahren eine sehr heiße Auseinandersetzung mit den verschiedenen Drogenkartellen gehabt. Insbesondere der ehemalige Präsident Calderón hat den Drogenbanden den Krieg erklärt. Mit dem Erfolg, dass viele Generäle gefangen worden sind, aber wie immer in Kriegssituationen, entstehen andere, die denselben Posten übernehmen. Man hat im Grunde eine Hydra, dieses vielköpfige schlangenähnliche Ungeheuer aus der griechischen Mythologie. Schlägt man einen Kopf ab, wachsen zugleich fünf andere Schlangenköpfe. Drogenkartelle sind nicht besiegt, sondern gespalten worden. Es geht um Milliardengeschäfte, nicht nur um Drogen, sondern auch um die Kontrolle von ganzen Landesteilen. Das Bundesland Guerrero ist flächenmäßig so groß wie Bayern.

domradio.de: Sind diese Ereignisse im Bundesland Guerrero beispielhaft für ganz Mexiko?

Vietmeier: Nein, nicht für ganz Mexiko, sondern für die ärmsten Bundesländer, die stark unter der Armut leiden. Das ist wie mit einem See, wenn er zu verschmutzt ist, kippt er um. So eine Situation gibt es derzeit zum Beispiel in den Bundesländern Guerrero und in Michoacán, das direkt neben Guerrero liegt.

domradio.de: Das Hilfswerk Adveniat hat einen Appell an die Behörden gerichtet, das Verbrechen an den 43 Studenten aufzuklären. Wird dieser Appell von den Behörden überhaupt ernst genommen?

Vietmeier: Er wird ernst genommen als Teil eines internationalen Drucks auf die mexikanische Realität. Die mexikanische Regierung ist natürlich hochgradig daran interessiert, keine Störung des Verhältnisses zu Deutschland bekommen, weil Deutschland mit ganz vielen Großfirmen in Mexiko ist. Wenn die Sicherheitslage in Mexiko kritischer wird, gibt es einen Rückgang der deutschen Investitionen in Mexiko. Deshalb ist eine moralische Institution wie Adveniat, genauso wie Misereor, ganz wichtig, weil sie Einfluss hat auf das Bewusstseinsbildungsniveau in Deutschland über die Gewaltsituation in Mexiko. Das ist hochgefährlich für die Wirtschaftsinteressen der reichen Leute in Mexiko.

domradio.de: Zumal Mexiko ein sehr katholisches Land ist...

Vietmeier: Ja und daher ist es ganz wichtig, dass zum Beispiel die Bischöfe des Bundeslandes Guerrero einen ganz energischen Protest erhoben haben. Zugleich haben sie sich verpflichtet, mit all ihren kirchlichen Möglichkeiten in den Dörfern erneut zu versuchen, Frieden zu schaffen, aber auch zugleich an der Seite der Opfer zu sein.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.

 

Mexiko: Gedenken für die vermissten Studenten  (dpa)
Mexiko: Gedenken für die vermissten Studenten / ( dpa )
Quelle:
DR