domradio.de-Partner Adveniat berichtet über die Zustände auf Haiti

"Wir müssen auf die Haitianer hören"

Ein halbes Jahr nach dem verheerenden Erdbeben in Haiti haben Hilfsorganisationen den schleppenden Wiederaufbau in dem verarmten Karibikstaat kritisiert. Thomas Wieland von Adveniat berichtet im domradio.de Interview von seinen Eindrücken vor Ort.

 (DR)

domradio.de: Herr Wieland, was haben sie auf Haiti erlebt?
Thomas Wieland: Bei meinem letzten Besuch mit dem Geschäftsführer und der Haiti-Referentin konnten wir Kontakt mit unseren Projektpartnern aufnehmen. Auf Haiti laufen ungefähr 130 Projekte, die Adveniat unterstützt. Davon auch ein großer Teil in der Hauptstadt Port-au-Prince und in den vom Erdbeben betroffenen Gebieten.

Unsere Partner sind ja auch selbst von dem Erdbeben betroffen, z.T. sind sie verletzt, haben Angehörige zu beklagen. Mit ihnen haben wir überlegt, wie es weitergehen kann. Es wurde deutlich, dass der Wiederaufbau, das Sich-Aufrichten nach diesem schweren Schlag, bei dem so viele Menschen das Leben verloren haben, lange Zeit braucht. Das heißt, dass erst einmal eine Not- und Katastrophenhilfe gewährleistet sein muss, d.h. Wasser, Lebensmittel, medizinische Versorgung. Das ist aktuell auch gegeben.

Bevor aber definitiv an den Wiederaufbau gedacht werden kann, brauchen wir Zwischenlösungen. Schulen müssen wieder funktionieren, dazu braucht es Zelte oder Holzkonstruktionen. Das ist in der Zwischenzeit auch passiert. Vor dem Wiederaufbau muss der Schutt weggeräumt werden. Für mich wurde deutlich, dass an der Stelle Geduld erforderlich ist, dass wir unseren haitianischen Partnern stark unter die Arme greifen müssen, aber dass wir auch ihre Stimme hören müssen, dass wir auch hören müssen, was sie wollen, in welche Richtung sie die Entwicklung ihres Landes voranbringen möchten.

domradio.de: Immer wieder werden Vorwürfe laut, die Hilfe der Weltgemeinschaft für Haiti, die Gelder vor allem, komme nicht an. Es war wieder in den Nachrichten: Bill Clinton hat nochmals stark insistiert. Wie sehen Sie das - stimmt das, ist das wirklich ein so großes Problem?
Wieland: Man muss unterscheiden zwischen einerseits den von der Geberkonferenz versprochenen staatlichen Mitteln von ca. 10 Milliarden US-Dollar - da sagt Bill Clinton, dass die nicht wie vorgesehen flössen, dass die Staaten die Gelder zurückhielten - und andererseits den kirchlichen und privaten Initiativen, bei denen die Spendenbereitschaft sehr groß war und ist.

Wir haben diese Gelder, sie stehen zur Verfügung. Aber für den Wiederaufbau müssen noch einige Faktoren geklärt werden, z.B. die Grundstücksfrage: Wenn gebaut werden soll, müssen die Grundstücksverhältnisse klar sein. Da ist der haitianische Staat noch in der Bringschuld, an vielen Stellen fehlen ordentlich Grundstückspapiere.

Ein zweiter Faktor, der Geduld erfordert, ist der Umstand, dass die Haitianer von einer Neugründung ihres Landes sprechen. Dabei ist nicht klar, an welcher Stelle welches Viertel der Hauptstadt wieder aufgebaut werden soll. Oder ob in der Provinz neue Städte gegründet werden sollen. Wo die Menschen angesiedelt werden sollen. Diese Fragen sind noch nicht beantwortet, deswegen kann der Wiederaufbau nur mit angezogener Handbremse beginnen. Ich bin da sehr unglücklich 'drüber. Ich finde, es müsste schneller voran gehen. Ich bin da unzufrieden, aber wir können nur solide und gute Unterstützung beim Wiederaufbau bieten, wenn diese Fragen geklärt sind.

domradio.de: Können Sie es noch einmal auf den Punkt formulieren: Woran mangelt es immer noch am meisten?
Wieland: Am meisten fehlt die Klarheit von Seiten des Staates, an welcher Stelle aufgebaut werden soll und wie das neue Haiti aussehen soll, wem die Grundstücke gehören, auf denen die neuen Häuser gebaut werden sollen.

domradio.de: Adveniat hat die Aktion "Vergiss Haiti nicht!" ins Leben gerufen - was machen Sie da ganz konkret?
Wieland: Da geht es darum, dass wir unsere Projektpartner - nicht nur in der Erdbebenregion, aber v.a. dort - beim Wiederaufbau von kirchlicher Infrastruktur unterstützen. Die Kirchengemeinden sind die Basis, dort treffen sich die Menschen, feiern Gottesdienste, planen den Alltag ihres Dorfes oder Viertels. An der Stelle findet Schule statt. Die Hälfte aller Schulen in Haiti werden von der katholischen Kirche getragen. Um den Aufbau dieser Infrastruktur zu ermöglichen, dafür steht "Vergiss mein Haiti nicht!".

domradio.de: Haben Sie die Hoffnung, dass sich die Weltgemeinschaft auf ihre Verantwortung besinnt und Haiti nicht wieder in der Vergessenheit verschwindet?
Wieland: Ich bin mir sicher, dass die Weltgemeinschaft dazu beitragen wird, dass Haiti sich aufrichten kann, dass es besser wird und nach vorne geht. Ich denke, jetzt ein halbes Jahr nach dem Erdbeben ist es noch im Bewusstsein der Menschen, dass Haiti die Unterstützung braucht. Auch wir bei Adveniat merken das, weil immer wieder Anfragen kommen, weil wir beim Thema des Wiederaufbaus auch mit einbezogen werden. Ich bin da optimistisch, weil auch unsere weltweiten Partner, z.B. in Lateinamerika, selbst Geld gesammelt haben, um dort aktiv zu werden. Diese Unterstützung für Haiti hat weite Kreise gezogen.

Interview: Stephan Baur