Adveniat-Experte über die emotionalen Befindlichkeiten der Südamerikaner

Wie ist "der Argentinier" wirklich?

Argentinien – ein Land von Menschen, die gerne provozieren und sogar handgreiflich werden. Das ist das Bild, das Nationalspieler Sebastian Schweinsteiger öffentlich gemacht hat. Argentinien-Fachmann Thomas Wieland von Adveniat gibt im domradio.de-Interview Einblicke in die emotionalen Befindlichkeiten der Argentinier.

 (DR)

domradio.de: Sind denn die Argentinier wirklich so ein Volk von provozierenden Selbstdarstellern?
Wieland: Die Argentinier sind heißblütige Leute und die mögen es gern richtig, wenn diskutiert wird, wenn sie sich darstellen können. Die mögen die Show. Vor allem die Leute aus der Hauptstadt Buenos Aires, aus dieser 14 Millionen-Metropole. Da wird es auch am Samstag, wenn bei uns Nachmittag ist und dort Vormittag, heiß hergehen. Die Straßen werden leer sein, die Leute werden zuhause oder in den Kneipen sitzen und das Fußballspiel anschauen und noch mal mit einer Portion mehr Emotionalität, als es bei uns üblich ist.  

domradio.de: Also auf jeden Fall sind die Argentinier sehr emotional, aber offensichtlich auch sehr diskussionsfreudig. Denn das wird ihnen ja auch angekreidet: Der Schiedsrichter ist - egal was er entscheidet - umringt von Argentiniern, die erstmal heftig diskutieren. Woher kommt denn eine solche Diskutierfreudigkeit?
Wieland: Na ja, dort gibt es auf alle Fälle mehr Bundestrainer als bei uns. Bei 40 Millionen Einwohnern gibt es bestimmt doppelt so viele Bundestrainer Ab 5 Jahren kann jeder mitsprechen, wenn es da um das Spiel geht. Und die Argentinier diskutieren gerne. Die müssen auch viel diskutieren. Wenn Sie sich vorstellen: Im Jahr 2001/2002, als die Bankenkrise kam und jeder um sein Geld ringen musste, oder auch verschiedene Dinge, ob man zur Universität gehen kann, ob man den Schulplatz bekommt, ob man ob man den Bauplatz bekommt. Es gibt zwar Regeln, aber ohne dass die eingefordert werden, ohne dass man zu den Verantwortlichen geht und sein Anliegen deutlich macht, geht es oft nicht. Deswegen sind die Argentinier gewohnt, zu diskutieren und ihr Anliegen möglicht emotional, möglicht laut und mit möglichst vielen Argumenten vorzustellen. Das ist etwas anders als bei uns, wo man sich eher mit Regeln abgibt und sich sagt, das ist halt so. Und das spiegelt sich dann natürlich auch auf dem Fußballplatz wieder, wenn die Argentinier eine gelbe Karte kriegen, dann muss das erstmal angefragt werden, ob das auch wirklich so sein kann.

domradio.de: Die Argentinier erleben wir hauptsächlich übers Fernsehen. Da haben wir Bildern von ihnen, hören sie reden. Sind die Argentinier auf dem Bildschirm repräsentativ für das ganze Land?
Wieland: Na ja, das Land ist ja riesig. 3.700 km Nord-Süd-Ausdehnung. Das heißt von Dänemark bis in die Sahara. So lang ist das Land. Eines der größten Länder der Erde, mit 40 Millionen Einwohnern, die natürlich sehr unterschiedlich sind. Im Norden gibt es viele Indigene, Indianer, Stämme, die zum Teil. noch als Nomaden leben, wo das Leben natürlich wesentlich ruhiger als in der pulsierenden Millionenmetropole Buenos Aires. Dort konzentriert sich auch ein Großteil der Bevölkerung. Viele sind Nachfahren von Migranten. Manche aus Kroatien, andere aus Südafrika, viele aus Deutschland, also ein buntes Völkergemisch. Und entsprechend unterschiedlich sind auch die Mentalitäten. Die Argentinier schauen selber immer ein bisschen skeptisch auf die Leute, die in der Hauptstadt leben, So wie wir das vielleicht auch tun. Und die, die wir im Fernsehen sehen, sind nicht unbedingt repräsentativ für das ganze Land.

domradio.de: Aber stehen denn alle Argentinier - egal wo sie ursprünglich herkommen - jetzt hinter ihrer argentinischen Nationalmannschaft?
Wieland: Also diese Frage dürfte man in Argentinien überhaupt nicht stellen. Natürlich stehen die alle hinter ihrer Nationalmannschaft und werden die am Samstag richtig anfeuern. Die werden aber vor allem leiden, was sie ja gut können. Wenn irgend etwas nicht zu ihren Gunsten ausgeht, dann können die sich richtig in ihr Leid hineinbegeben und da mitfiebern und das emotional ganz stark ausleben.  

domradio.de: Das heißt, für die Argentinier ist ein Sieg bei der Fußball-WM sehr, sehr wichtig, oder?
Wieland: Ich würde fast sagen, vielleicht noch wichtiger als für uns. Also für die Argentinier ist es für das Wohlbefinden wichtig, dass sie gewinnen.

domradio.de: ... und eben nicht leiden müssen.

Das Interview führte Birgitt Schippers.