Der ehemalige Adveniat-Vorsitzende Weihbischof Franz Grave erinnert an Dom Hélder Câmara

"Stimmig in Wort und Tat"

Weihbischof Franz Grave war 16 Jahre lang Vorsitzender der Bischöflichen Kommission Adveniat. Der Kenner Lateinamerikas, weiß um die Situation von Kirche und Gesellschaft in den Ländern zwischen dem Rio Bravo und Feuerland und kennt viele Bischöfe persönlich. Im domradio-Interview erinnert er sich an seine Besuche bei Dom Hélder Câmara.

Weihbischof em. Franz Grave am domradio-Mikrophon (DR)
Weihbischof em. Franz Grave am domradio-Mikrophon / ( DR )

domradio: Sie haben Câmara selbst besucht, wie hat er den gewohnt?
Grave: Er hat schlicht und einfach gewohnt und schon an diesem Beispiel wird deutlich, das Câmara eine ausgesprochen glaubwürdige Persönlichkeit war. Insbesondere im Hinblick auf das, was er sagte und das, was er tat. Er hat nicht nur die Option für die Armen mit bewegenden Worten immer wieder eingefordert, zu Hause und in der weiten Welt. Sondern er hat auch immer darauf aufmerksam gemacht, dass die Worte für die Armen nur dann  glaubwürdig sein können, wenn die Priester und die Bischöfe selbst ein Beispiel der Armut geben. Deshalb ist er aus seinem Bischofspalais ausgezogen und hat ein einfaches Haus bewohnt, das ist einige Male besuchen durfte. Da konnte ich mich an Ort und Stelle davon überzeugen: Der Mann ist stimmig in Wort und Tat.

domradio: Er war ja ein kleiner, zerbrechlich wirkender Mann. Wie haben Sie ihn erlebt?
Grave: Seine Zerbrechlichkeit war deutlich zu erkennen und manches Mal habe ich mich gefragt, wie lange hält er das durch? Kann er überhaupt die gewaltigen Reisen durchstehen? Aber das ist ein gutes Beispiel dafür, dass Menschen, die vom Geist leben und von ihrer Idee besessen sind, eine unglaubliche Kraft entwickeln.

domradio: Wie haben die Menschen auf ihn reagiert, wenn er z.B. die Armensiedlungen besucht und Messen abgehalten hat?
Grave: Er hatte ja ein Redetalent und eine faszinierende Gabe der Ansprache. Er sprach nicht nur mit Worten. Ich habe ihn noch vor meinem geistigen Auge: Wenn man seine Stimme abgeschaltet hätte, hätte man ihn trotzdem aufgrund seiner Körpersprache verstehen können. Er war auch in seiner Gestik und der Wahl der Worte so stimmig, dass er zu den Leuten vordrang. Man hatte den Eindruck, er trifft die Herzen der Leute und nicht nur die Köpfe.

domradio: Was war ihre beeindruckendste Begegnung mit ihm?
Grave: Er war ein warmherziger Mann und er konnte das Gespräch ganz leicht und schnell eröffnen. Bei den ersten Begegnungen hatte ich vorher ein wenig Herzklopfen, weil ich mir dachte: "Wie wirst du mit deinem geringen Erfahrungen über Lateinamerika mit ihm wirklich in ein profundes Gespräch kommen. Aber diese Sorge war schon bald gegenstandslos, weil er die Initiative so sympathisch übernahm, dass er einfach das richtige Thema andeutete. Die Begegnungen mit ihm kann man nur im eigenen Kopf und Herzen behalten und da habe ich die besten Erinnerungen.

domradio: Mit seiner Meinung ist er ja besonders in konservativen Kirchenkreisen oft angeeckt, sein Nachfolger verfolgte dann auch einen anderen Weg. War er denn am Ende seines Lebens enttäuscht?
Grave: Ich glaube dass, er über das Echo sehr traurig war. Aber er gehörte nicht zu denen, die von den Äußerungen der anderen lebte. Er war jemand, der sehr christusbezogen lebte. Abgestützt in einem festen Glauben an Jesus Christus, der bei ihm ist und der seine Aufgabe mit trägt und manchmal auch gegen einen gewissen Gegenwind in der Kirche mit durchhält. Das war für ihn zweifellos eine Belastung, er hat das auch in einigen Gesprächen angedeutet, aber stärker war in ihm die Kraft seiner Überzeugung. Er war davon überzeugt, dass die Option für die Armen durchgetragen werden musste, und er feierte nicht nur die Gegenwart Jesu in der Eucharistie, sondern Jesus in den Armen. Das war seine feste Überzeugung und davon hat in niemand abgebracht und das hat ihn letztlich getragen.

domradio: Vor zehn Jahren ist er gestorben, können Sie sich noch an den Tag erinnern?
Grave: Zunächst habe ich an unsere letzte Begegnung gedacht. Ich war ja im April 1999 noch bei ihm und es ging ihm damals schon sehr schlecht, er war bettlägerig. Als ich vom seinem Tod hörte, war dieses Bild vor meinem Auge: Er sitzt in seiner weißen Sutane im Bett. Es war eine gebrechliche Erscheinung. Dann hat er aber einige Worte gesprochen, die mir zum Vermächtnis geworden sind: "Wir müssen zusammen nach oben gehen". Er wollte damit zum Ausdruck bringen: Ihr geht nicht alleine, sondern ihr könnt nur in das Himmelreich eintreten und in der Spur Jesu Christi bleiben, wenn ihr die Armen mitnehmt. Das war in den letzten Tag seines Lebens sein Anliegen: Uns noch einmal die Solidarität für die Armen mit auf den Weg zu geben.