Kann eine Mitgliedskarte für Christen vor Austritten schützen?

Evangelische Kirche Hessen plant "Church Card"

Es ist ein Prinzip der Kundenbindung. Mitgliederkarten bringen Vergünstigungen für treue Zahler. In Zeiten schwindender Kirchenmitglieder hat sich die evangelische Kirche in Kurhessen-Waldeck daher eine "Church Card" ausgedacht.

Geldbeutel / © Paul Sklorz (KNA)
Geldbeutel / © Paul Sklorz ( KNA )

DOMRADIO.DE: Was steckt hinter dieser Idee?

Martin Hein (Bischof der Evangelischen Kirche Kurhessen-Waldeck) Sie haben wahrscheinlich mitbekommen, dass in den letzten Wochen sehr viel von einer Studie die Rede war. Diese prophezeit uns, dass sich die Zahl der Kirchenmitglieder der evangelischen und katholischen Kirche möglicherweise im Jahr 2060 halbiert haben wird.

Das hat unsere Landeskirche zu der Fragestellung gebracht: Wie können wir eigentlich diejenigen, die Mitglied der evangelischen Kirche sind, bei uns behalten? Welche Vorteile können wir ihnen möglicherweise auch durch die Kirchen-Mitgliedschaft verschaffen? Und wie können wir in Kontakt zu ihnen treten? Da kamen wir auf die Idee einer Mitgliedskarte - ähnlich wie beim ADAC oder bei Vereinen.

DOMRADIO.DE: Es ist aber noch nur eine Idee, richtig?

Hein: Das Ganze ist natürlich - wie im evangelischen Bereich üblich - erst einmal eine Idee, die von einem kleinen Ausschuss ausgearbeitet worden ist. Die Idee hatte ich früher schon, weil ich eben auch Besitzer solcher Vorteilskarten bin.

Warum nicht an alle konfirmierten Gemeindeglieder einmal im Jahr diese Karte schicken, um sie dadurch auch wissen zu lassen: Wir kümmern uns um Euch. Wir denken an Euch und wir wollen euch gute Gründe geben, warum ihr evangelische Gemeindeglieder seid.

DOMRADIO.DE: Welche Gründe wären das denn?

Hein: Versetzen wir uns in das Kirchenmitglied. Der oder die versteht schon lange nicht mehr, warum er oder sie als Gemeindeglieder Kirchensteuer zahlt und damit ganz viele Aktivitäten der Kirche unterstützt und den gleichen Preis zahlt wie jeder andere.

Nehmen wir also etwa einen Museumsbesuch. Wenn ich Fördermitglieder in einem Museumsverein bin, zahle ich nicht den gesamten Eintrittspreis, sondern bekomme einen Rabatt. Denkbar wäre das also auch bei Kirchen-Konzerten. Wenn man die "Church Card" zeigt, bekommt man zehn oder 20 Prozent Rabatt. Das benachteiligt die anderen nicht. Die zahlen den normalen Preis, wie ich das auch tun würde, wenn ich diese Karte nicht besitze. Aber es bevorzugt an dieser Stelle einmal diejenigen, die durch ihre regelmäßigen Zahlungen unsere Kirche unterstützen.

DOMRADIO.DE: Es geht unter anderem um Konzerte und um Veranstaltungen?

Hein: Es geht um Konzerte und um Veranstaltungen, etwa in evangelischen Familienbildungsstätten oder in evangelischen Akademien. Da kann man sagen: Für Mitglieder gibt es einen Rabatt.

DOMRADIO.DE: Aber die Karte garantiert mir dann nicht, dass ich Weihnachten im Gottesdienst ganz vorne sitzen darf, oder?

Hein: Sagen wir mal so. Über diese Möglichkeit haben wir natürlich auch nachgedacht. Ich finde es bei Gottesdienste relativ schwierig, dass wir hier zwischen Gemeindegliedern und nicht Gemeindegliedern unterscheiden. Es kommen an Weihnachten so viele Menschen, dass es sich eher empfiehlt, mehrere Gottesdienste anzubieten als jetzt Beschränkungen vorzunehmen.

DOMRADIO.DE: Sie sind noch in der Findungs- und Überlegungsphase. Sie denken auch an Vorteile bei der Vergabe von Kita-Plätzen?

Hein: Das ist insgesamt rechtlich schwierig. Das weiß ich. Auf der anderen Seite habe ich einfach die Erfahrung gemacht, dass mir Gemeindeglieder, die den Bedarf für einen Kindergartenplatz angemeldet haben, gesagt haben: "Warum können wir nicht in der Kindertagesstätte in evangelischer Trägerschaft unser Kind unterbringen? Wir müssen uns genauso auf die Warteliste setzen lassen, wie andere auch." Sie haben einen Beschwerdebrief an mich als Bischof gerichtet. Ich habe mich dann rechtlich kundig gemacht, habe auch mit der Leitung der Kindertagesstätte gesprochen. Es gab keine Möglichkeit, Gemeindeglieder zu bevorzugen - also Menschen, die bewusst auch Kirchensteuer zahlen.

Das Ergebnis: Beide gut verdienenden Eltern sind aus der Kirche ausgetreten, weil sie sagen: "Wenn alle anderen dieses Angebot einer evangelischen Kindertagesstätte in gleicher Weise bekommen, dann brauchen wir gar nicht in der Kirche zu sein." Das ist zwar sehr ökonomisch gedacht. Das ist auch der Kritikpunkt, der mir gegenüber oft genannt wird. Aber letzten Endes denken Menschen heute so. Die fragen: "Was habe ich davon?"

DOMRADIO.DE: Wie ist die Resonanz auf Ihren Vorschlag? Welche Rückmeldungen haben Sie bisher bekommen?

Hein: Wie immer. In den ersten Leserbriefen, die gekommen sind, wird mir vorgeworfen, ich würde die Ökonomisierung auch in die Kirche hineinbringen.

DOMRADIO.DE: Was sagen Sie den Kritikern?

Hein: Ich sage den Kritikern: Es ist ja keine Benachteiligung derer, die nicht in der Kirche sind. Es ist eine Bevorzugung derer, die uns mit ihrer Kirchensteuer unterstützen. Bei aller Liebe muss ich deutlich sagen: Ohne einen entsprechenden finanziellen Beitrag können wir nicht so Kirche sein, wie wir Kirche im Auftrag Jesu Christi sein wollen. Und dann muss man sagen: Wir sind auf diejenigen angewiesen, die bereit sind, uns finanziell zu unterstützen.

DOMRADIO.DE: Wann könnte diese Mitgliedskarte kommen? Wie konkret sind die Pläne?

Hein: Es gibt einen Ausschuss, der in diesem Sommer die konkretere Ausarbeitung noch einmal vorlegen wird. Das Ganze wird dann diskutiert, auch hinsichtlich der Machbarkeit. Ich werde nun am ersten Oktober dieses Jahr nicht mehr Bischof dieser Kirche sein, weil dann meine Dienstzeit endet und ich in Ruhestand trete. Aber ich hoffe, dass der Funke, den wir gesetzt haben, weiter wirkt.

Und das ist auch kein Modell, das sich nur hier in Kurhessen-Waldeck verwirklichen lässt. Sondern das kann sich genauso auch in den Bistümern und in anderen evangelischen Landeskirchen umsetzen lassen. Es ist eine Form der Mitgliederpflege und die haben wir dringend nötig. Ich wünsche mir, dass es im Jahr 2021 tatsächlich auch dazu kommt. Aber das muss ich dann anderen überlassen, weil ich dann keine unmittelbare Verantwortung mehr habe.

Das Interview führte Carsten Döpp.


Martin Hein, ehemaliger evangelischer Bischof von Kassel / © Harald Oppitz (KNA)
Martin Hein, ehemaliger evangelischer Bischof von Kassel / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
DR