Die evangelische Kirche will eine "Verjüngungskur"

"Wir leben halt nicht mehr in den 1950er Jahren"

Eine Studie im Auftrag der Evangelischen Kirche in Deutschland zeigt, dass ein Drittel der unter 27-Jährigen sagt, mit dem Glauben an Gott nichts anfangen zu können. Die EKD-Synode nimmt das ernst und sucht nach Wegen der Veränderung.

 (DR)

DOMRADIO.DE: Auf der EKD-Synode ist am Montag eine aktuelle Studie vom Sozialwissenschaftlichen Institut der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zum Thema Jugend und Glaube vorgestellt worden. Und ein Drittel der unter 27-Jährigen sagt: "Mit dem Glauben an Gott kann ich nichts anfangen." Hat Sie das überrascht?

Pfarrerin Jacqueline Barraud-Volk (Mitglied der EKD-Synode): Das hat mich nicht überrascht. Aber ich würde sagen es war wahrscheinlich zu allen Zeiten so, dass es immer auch Menschen gab, die gedacht haben: Wie geht eigentlich dieser Glaube an Gott? Vor allem, wenn man sich mit Physik beschäftigt und anderen Wissenschaften. Ich glaube, früher hat man das einfach gar nicht so laut gesagt.

DOMRADIO.DE: Weshalb denken Sie das?

Barraud-Volk: Ich kann mich aus meiner Kinder- und Jugendzeit nicht erinnern, dass man gesagt hat: "Ich glaube nicht." Man gehörte zur Kirche und was man wirklich im Innern glaubte, hat man gar nicht so gesagt. Das finde ich eigentlich toll, dass wir heute so frei sind und miteinander reden können und sagen können: Ja so ist es im Moment.

DOMRADIO.DE: Es deutet aber nicht auf einen Gegentrend hin, oder?

Barraud-Volk: Das ist zumindest nie ein Status, der festgeschrieben ist. Und auch Menschen, die von sich sagen: "Ich bin Christ und ich glaube und ich bete zu Jesus Christus", haben mal Zeiten des Zweifelns und des Suchens. Das gehört zum Glauben dazu.

DOMRADIO.DE: Junge Menschen sagen, dass sie Familie, Gesundheit, Partnerschaft sehr wichtig finden. Hat die Kirche denn grundsätzlich an Bedeutung verloren?

Barraud-Volk: Das ist auch eine schwierige Frage, denn heißt "Bedeutung" gleich "am Sonntagmorgen im Gottesdienst zu sitzen" oder heißt "Bedeutung" die Themen, die uns beschäftigen - also Bewahrung der Schöpfung, gerechte Löhne in aller Welt, Gerechtigkeit und Frieden?

Ich bin ja nicht nur in der Gemeinde, sondern auch in einem katholischen Gymnasium tätig und erlebe, dass sich Schülerinnen und Schüler die gleichen Fragen stellen wie wir in der Kirche. Sie fragen sich, warum wir es nicht schaffen, fair und gerecht einzukaufen. Warum wir Kleidung kaufen, die aus Kinderarbeit kommt. Oder nehmen wir die Fragen, die entstehen, wenn Erdbeben im Leben passieren, wo die Suche nach einem größeren Zusammenhang entsteht.

DOMRADIO.DE: Aber kann es nicht auch damit zu tun haben, dass das Vertrauen in die Kirche weg ist?

Barraud-Volk: Die Krise "Institution" haben alle: die Parteien, die Vereine, die Kirche. Da muss man sich mit befassen. Und darin sehe ich aber auch eine Chance. Es muss ja auch nicht alles immer so bleiben, wie es ist. Wir leben halt nicht mehr in den 1950er Jahren des letzten Jahrhunderts. Daher kommen viele Strukturen, die wir in der Kirche und anderen Institutionen haben. Wir müssen uns damit befassen, was dran ist und was wir vielleicht ändern müssen.

DOMRADIO.DE: Es gibt ja auch diese Sehnsucht nach Sinn und diese Sehnsucht. Sie könnte in der Kirche irgendwie kreativer beantwortet werden. Wie denn?

Barraud-Volk: Wir haben zehn Thesen aufgestellt, die jetzt in den verschiedenen Ausschüssen bearbeitet werden. 

DOMRADIO.DE: Was wird da zum Thema?

Barraud-Volk: Eine These beschäftigt sich mit der Kirchenmusik. Denn Musik in der Kirche ist zu einem großen Prozentsatz mit daran beteiligt, ob uns etwas berührt. Wenn wir an den Gottesdienst denken: Ich würde mal behaupten, allein auf die Orgel zu setzen, das ist einfach auch nicht mehr das, was alle Menschen berührt. Es gibt wunderbare Orgel-Werke. Das ist alles ganz schön. Aber wir haben zum Beispiel mal einen Flügel in der Kirche stehen gehabt, weil wir dort ein Konzert hatten. Dann hat jemand aus der Gemeinde gesagt: "Ich konnte doch auch am Sonntag einfach mal im Gottesdienst etwas spielen." Und es war wirklich bewegend, wie dieser Flügel und die Musik, die da erklang, die Menschen ganz anders berührt hat.

Ich finde, wir sollten uns auch im Bereich "Rock und Pop" umschauen. Wir haben super Popakademien in Deutschland, super ausgebildete Musikerinnen und Musiker. Aber wir nutzen dieses Potenzial als Kirche nicht. Und da müssen kreative Verbindungen hergestellt werden. Wichtig ist mir auch, dass es qualitativ hochwertig ist. Es reicht nicht, dass man sagt: "Ja, da spielt dann irgendjemand mal ein bisschen Klampfe." Da haben wir schon einen Anspruch und ich glaube, da haben wir eine Hausaufgabe zu erledigen.

DOMRADIO.DE: Das sind natürlich Leute, die sowieso schon in die Kirche kommen. Was kann man denn sonst noch tun, um die Jugendliche da abzuholen, wo sie sind? Können zum Beispiel Pfarrerinnen und Pfarrer mehr zu Youtubern werden?

Barraud-Volk: Das ist auf jeden Fall ein Bereich. Ich würde mal sagen: die jungen Vikarinnen und Vikare, die Religionspädagoginnen und Religionspädagogen, die sind da auch schon unterwegs, ohne dass wir ihnen einen Auftrag gegeben haben. Und das ist auch toll. Es verändert sich auch was. Das spüren wir auch und das sehen wir auch. Aber ich glaube, von dieser Synode sollte schon auch der Impuls ausgehen. Denn mehr können wir als EKD auch gar nicht machen.

DOMRADIO.DE: Es wird, wie Sie sagen, vieles gemacht, etwa Open-Air Gottesdienste. Wird das denn besser besucht?

Barraud-Volk: Alle Open-Air Gottesdienste landauf, landab, ob das in Norddeutschland ist oder bei uns in Franken, werden wirklich super gut besucht. Es ist ein anderes Format. Es ist ein anderer Raum und da kommen Menschen eben auch dazu. Wir hatten die Landesgartenschau in Würzburg. Da waren jeden Sonntag Gottesdienste. Und die waren richtig gut besucht. Das waren aber nicht in erster Linie die Kircheninternen, die da kamen.

Das Interview führte Heike Sicconi.

 

Jacqueline Barraud-Volk (l.) / © Norbert Neetz (epd)
Jacqueline Barraud-Volk (l.) / © Norbert Neetz ( epd )
Quelle:
DR