Streit um Politik in Predigten geht vor Silvester weiter

Debatte bunt und lebhaft wie so manches Feuerwerk

Klimawandel, Flüchtlinge oder Trump als Thema - wie politisch dürfen Predigten sein? Darüber ist eine muntere Debatte entbrannt. Ein Juso-Vergleich sorgt im Netz für Wirbel und ein Kardinal spricht gar von Unfug.

Autor/in:
Thomas Winkel
Ein Weihnachtsgottesdienst in Hamburg / © Maurizio Gambarini (dpa)
Ein Weihnachtsgottesdienst in Hamburg / © Maurizio Gambarini ( dpa )

Mitten in die stille Zeit zwischen den Jahren rauscht ein Streit - bunt, laut und schillernd wie ein Feuerwerk zu Silvester: Wie politisch dürfen Bischöfe und Pfarrer predigen? Die Debatte nach Weihnachten ist noch nicht verraucht, da stehen zum Jahreswechsel die nächsten großen Ansprachen an.

Die Aufregung entfacht sich an einem kleinen Böller, den CDU-Vize Julia Klöckner zum Ausklang des Weihnachtsfestes zündete. "Es kommt vor, dass aus manchen Kirchenkreisen mehr zum Thema Windenergie und Grüne Gentechnik zu hören ist, als über verfolgte Christen, über die Glaubensbotschaft oder gegen aktive Sterbehilfe." In der "Bild"-Zeitung pochte Klöckner, "dass Kirchen nicht parteipolitische Programme übernehmen".

Die Politikerin, die auch katholische Theologie studiert hat, nimmt besonders die Predigt von Heinrich Bedford-Strohm aufs Korn. Der evangelische Ratsvorsitzende kritisierte darin die "America-First"-Politik von US-Präsident Donald Trump. Schöne Bescherung.

Führende Kirchenvertreter schalteten sich rasch in die Debatte ein

Und noch immer werden weitere Päckchen nachgereicht. Landwirtschaftsminister Christian Schmidt kritisiert, bisweilen würden tagespolitische Probleme stärker thematisiert als christliche Werte und deren Wurzeln. Der CSU-Politiker forderte in der "Rheinischen Post", Fragen etwa zu Abtreibung, Sterbehilfe oder Christenverfolgung sollten größeren Platz finden.

Bedford-Strohm verteidigte seine Worte. Auch andere führende Kirchenvertreter schalteten sich rasch in die Debatte ein und kontern die Kritik an zu viel Politik. Die Aussagen gründeten "in biblisch verwurzelten geistlichen Überzeugungen", schrieb der EKD-Rats-Chef auf Facebook und drehte den Spieß kurzerhand um: Die Politisierung komme "aus der Politik, indem deren politische Farbenlehren in die Kirche eingetragen werden".

Tweet von "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt

Für Zündstoff sorgte bereits zuvor ein Tweet von "Welt"-Chefredakteur Ulf Poschardt: "Wer soll eigentlich noch freiwillig in eine Christmette gehen, wenn er am Ende der Predigt denkt, er hat einen Abend bei den #Jusos bzw. der Grünen Jugend verbracht?" Die rhetorische Frage genügte, um im Netz einen mitternächtlichen Shitstorm auszulösen. Schrille Nacht.

Ein Nutzer beruft sich auf einen namentlich nicht genannten Pfarrer: "Wenn Geistliche politisch moralisieren, haben sie theologisch häufig nichts mehr zu sagen." Dagegen stellte Kardinal Rainer Maria Woelki im ARD-Morgenmagazin fest: "Wir können nicht von Gott sprechen, ohne vom Menschen zu sprechen." Die Bischöfe versuchten, das Evangelium ins Heute zu übersetzen. "Das hat nichts mit Parteipolitik zu tun." Die unterstellte Parteinähe bezeichnet der Kölner Erzbischof als "Unfug". Prompter Post von Chefredakteur Poschardt, der nach eigenen Angaben bei den "wunderbaren Jesuiten" studiert hat: "'unfug!' vom erzbischof von köln für einen tweet kritisiert zu werden. auch neu."

Zusammenhalt der Gesellschaft

Doch auch andere Bischöfe sind der Auffassung, dass Himmel und Erde, Gott und Welt sich nicht radikal trennen lassen - sondern eng miteinander verbunden sind. So rufen sie nicht nur zur Weihnachtszeit zum Zusammenhalt der Gesellschaft auf, lenken den Blick auf Flüchtlinge oder Arme, fordern Umweltschutz und fairen Handel.

Kardinal Reinhard Marx drückte die Verbindung von Glaube und Leben so aus: "Wenn ich glaube, dass Gott in Jesus der Bruder aller geworden ist, stärkt das meine Verbundenheit und Offenheit, meine Bereitschaft zur Solidarität und zum Miteinander", so der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz.

Bei "Unrecht, das Menschen angetan wird, da ist die Kirche gefordert."

Der Grat zwischen Lebensnähe einerseits und Parteipolitik andererseits ist natürlich mitunter schmal - und groß die Gefahr, mal von der einen, mal von einer anderen Partei politisch vereinnahmt zu werden. Als katholischer Flüchtlingsbeauftragter macht Erzbischof Stefan Heße öfters entsprechende Erfahrungen.

"Wenn einem eine Position der Kirche gefällt, dann verlangt er mehr davon. Wenn er etwas zu hören bekommt, das missfällt, dann bezweifelt er die Zuständigkeit oder die Kompetenz der Kirche", erklärte Heße unlängst im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA). Und beschrieb den kirchlichen Kompass so: "Wo es um die Grundlagen der Gesellschaft geht oder um Unrecht, das Menschen angetan wird, da ist die Kirche gefordert."

Sinnfragen statt Moral und Politisierung

Der Philosoph und Publizist Alexander Grau warnt die Geistlichen allerdings davor, als "Politkirche" zu stark auf die Themen Moral und Politisierung zu setzen. Im Deutschlandfunk betonte er, auch in einer "absolut sozial gerechten, ökologischen und pazifistischen Welt" hätten die Menschen immer noch Sinnfragen. Diese seien die Kernfragen der Religion - und "erst in einer zweiten Linie, wenn überhaupt, kommen dann gesellschaftliche Fragen".

Wie häufig hängt die Sicht der Dinge vom eigenen Blickwinkel ab.  Grünen-Chefin Simone Peter versteht die Kritik an den Predigten geradezu als Werbung für den Kirchgang - und twittert: "Dann sollte ich tatsächlich mal wieder in eine Christmette gehen. Hört sich gut an."


Quelle:
KNA