Berliner Kirchentag und Berliner Schnauze

"Allet oransche hier"

Der Kirchentag in Berlin stellt nicht nur manche Ureinwohner auf eine harte Probe. In diesen Tagen stoßen Spiritualität und Pragmatismus frontal aufeinander. Ein Unfallbericht.

Autor/in:
Andreas Öhler
Zuhörer auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 / © Markus Nowak (KNA)
Zuhörer auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag 2017 / © Markus Nowak ( KNA )

Berlin gilt im Rest der Republik als Heidenland. Das sogenannte Berliner Modell, wonach der Ethikunterricht Pflichtfach und Religionsunterricht ein freiwilliges Angebot ist, zeigt, dass der heilige Geist hier eher die Stadtumfahrung wählt. Schnoddriger Pragmatismus und Spiritualität passen nun einmal schwerlich zusammen, und der Berliner bleibt gegenüber allem Heiligen nüchtern, wie die zwei angesäuselten Urberliner aus dem Wedding, die die Kirchentagsbesucher am frühen Morgen so kommentierten: "Wat denn? Allet Oransche?! - Na Hauptsache, keene Holländer." Gefürchteter als friedensselige Protestanten sind unter Fußballkundigen nämlich die orange-gewandeten Fans der niederländischen Nationalmannschaft - die können wirklich gefährlich werden.

Pech jehabt

Auch der Berliner Busfahrer, dessen sprichwörtliche Unfreundlichkeit schon bald zum Weltkulturerbe gekürt werden dürfte, zeigt in dem Kirchentagstrubel, dass er sich treu bleibt. "Darf ich nur eine einzige Frage stellen?", fragt eine ergraute Kirchentagsbesucherin mit hanseatischer ausgesuchter Höflichkeit. "Det hamse doch schon! Pech jehabt, nu haben sie ihre einzige Frage schon verballert."

Sein Kollege regt sich darüber auf, dass beim Doppeldeckerbus auf dem Kurfürstendamm die obere Etage fast leer bleibt, während sich im unteren Abteil die Leute drängen. "Ihr Christenvögel, euch zieht's doch immer zum Herrn in den Himmel, aber denn keene Treppen steigen wollen! Det ham wer jerne."

Trompeten, Posaunen, Tubas

 "Wenn die Heiländer eenen druff machen, dann teilen die sich doch höchstens 'ne Bionade", sagte ein Berliner Wurstverkäufer auf dem Berliner Messegelände, einem Event-Ort des Kirchentages, den die tofu-gestählten evangelischen Besucher keines Blickes würdigen. Aus Halle 10 schmettert der Schall hunderter Trompeten, Posaunen und Tubas, alle Kirchenbläser der Nation proben für ihren ohrenbetäubenden Auftritt in Wittenberg beim großen Abschlussgottesdienst auf der Elbwiese. "Det is ja wie in Jericho!" sagt eine Urberlinerin mit wasserstoffperoxidgefärbter Hochfrisur. Ihr Gatte, leicht zerknirscht: "Wären die Jungs mal früher auf die Idee jekommen,dann wäre die Mauer schon früher jefallen."

Diese Berlinerin kann noch als religiös gebildet durchgehen. Allerdings: Dass der Kirchentag bereits zum sechsten Mal in Berlin stattfindet, und es da auch schon die Posaunenchöre gab, muss ihr in der Eile entfallen sein. Auch dieses Großevent wird der Berliner mit der gewohnten Überlebensstrategie bewältigen.

Keine Kirchen

Christi Himmelfahrt, in Berlin "Herrentag" genannt, klingt mit einer Begegnung in der S-Bahn Richtung Alexanderplatz aus. Ein verliebtes Pärchen auf der Flucht. Sie: "Det ist mir zu voll hier, ich krieg ich ne Vollkrise. Er beschwichtigend: "Lass uns noch 'n paar Stationen weiterfahren, da gibt es keene Kirchen mehr".


Quelle:
KNA