Ministerpräsident Ramelow über seinen Namibia-Besuch

"Wir haben eine große ökumenische Verantwortung"

Ministerpräsident Bodo Ramelow (Linke) hat bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes (LWB) in Namibia für das Reformationsland Thüringen geworben. Im Interview berichtet er domradio.de von seinem Kurztrip nach Afrika.

Thürigens Ministerpräsident Bodo Ramelow / © Norbert Neetz (epd)
Thürigens Ministerpräsident Bodo Ramelow / © Norbert Neetz ( epd )

Noch bis zum Dienstag findet in Namibia, im südlichen Afrika, die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes statt. Das ist ein Treffen von rund 400 Delegierten aus 145 evangelischen Kirchen aus aller Welt. Dort reden sie über zahlreiche Themen: Von Kirche und Gesellschaft über Klimaschutz bis hin zu Menschenrechte. Mit dabei war auch Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow von der Linkspartei, er war gestern für einen Kurzbesuch nach Namibia gereist.

domradio.de: Was hat Sie denn nach Namibia geführt?

Bodo Ramelow (Ministerpräsident von Thüringen/Die Linke): Es gab zwei Anlässe. Den einen haben Sie gerade erwähnt. Die zwölfte Tagung des lutherischen Weltbundes. Denn immerhin ist Thüringen eins der Stammländer der Reformation und wir haben uns sehr intensiv, zehn Jahre lang, auf das aktuell laufende Reformationsjahr vorbereitet. Da gab es viel zu besprechen und viele Kontakte zu knüpfen. Die zweite Beziehung ist aber zu Namibia selber. Da gibt es ein Projekt, das zwischen Thüringen und Namibia gerade zur Serienreife gebracht wird. Das sogenannte Polycare-Projekt. Da geht es um Bausteine, die aus Wüstensand hergestellt werden. Ich habe mit dem Präsidenten, der Bauministerin und den Vertretern der Bauindustrie über genau dieses Projekt gesprochen und auch ein erstes Musterhaus gemeinsam mit der Bauministerin besichtigt.

domradio.de: Gehen wir noch einmal zu Punkt eins zurück, zum Reformationsjubiläum. Thüringen solle im Reformationsjahr nicht zu einem Disneyland werden, haben Sie gesagt. Damit spielen Sie vermutlich auf Kommerzialisierung dieses Events an. Was stört Sie denn aktuell?

Ramelow: Nein, nein, das bezieht sich auf meine Kernaussage, dass unser Bundesland, historisch gesehen die Wiege der Reformation ist, aber genauso, historisch gesehen die Wiege der Heiligen Elisabeth und vieler Bezugspunkte, die auch für katholische Christen von großer Bedeutung sind. Da haben wir eine große ökumenische Verantwortung. Aber immerhin, 75% aller Thüringerinnen und Thüringer sind eben mit Kirche überhaupt nicht vertraut. Diese Menschen haben mit Glauben faktisch nichts am Hut und deswegen ist unser Thema, dass wir nicht einfach zum Museum der Reformation oder der Wirkungsstätten der Heiligen Elisabeth oder der heiligen Radegundis werden. Sondern es muss auch ein Anlass sein, dass diese Orte Begegnungsorte mit den Christen aus der ganzen Welt sind, aber damit auch für uns wichtige Orte, die in unserem Alltag für uns, auch über das Jahr hinaus eine lebendige Rolle spielen müssen.

domradio.de: Also sprich, auch lebendige Kirche zu haben?

Ramelow: Lebendige Kirche aber auch lebendige Orte, und auch die Aufträge die wir, ich bin ja selber evangelischer Christ, als Christen gemeinsam haben. Beispielsweise die Aufgabe uns um Flüchtlinge zu kümmern, um Integration zu kümmern. Also lebendiges Miteinander und da spielen Themen gegen den Hass und gegen Ausgrenzung eine große Rolle. Da müssen Christinnen und Christen zusammen stehen. Ich würde mir wünschen, dass das etwas Bleibendes ist nach dem Reformationsjahr und weit über das Reformationsjahr hinaus. 

domradio.de: Ein Thema bei der Vollversammlung ist auch die gemeinsame Vergangenheit von Deutschland und Namibia. Bis 1915 war Namibia deutsche Kolonie und vor mehr als 100 Jahren gingen Deutsche dort brutal gegen Einheimische vor. Die Verbrechen gelten als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. Erst vor wenigen Tagen hat die Evangelische Kirche in Deutschland eine Erklärung veröffentlicht, in der sie Ihre Schuld für die Beteiligung an dem Völkermord anerkennt. Inwiefern haben sich Kirchen damals auch schuldig gemacht? 

Ramelow: Wir reden von der preußischen Kaiserzeit und da hat die evangelische Kirche eine wichtige, staatstragende Rolle gespielt. Es gibt eine zweite Beziehung, die ich gerne mit ergänzen möchte. Denn tatsächlich hat ja der alternde Martin Luther antisemitische Hetzschriften geschrieben, die in Eisenach in der NS-Zeit dazu geführt haben, dass das Entjudungsinstitut der evangelischen Kirchen dort entstanden ist und das die "Deutschen Christen" dort ihr Zentrum hatten. Immerhin hat es auch ein hundert Jahre lang gedauert, bis sich der deutsche Staat im Verhältnis zu Namibia aufmacht, um zu sagen: "Wir wollen einen Weg wählen, der einerseits die Anerkennung des Völkermords zur Grundlage hat, zweitens aber auch einen Versöhnungsprozess einleiten soll. Über den Tag hinaus braucht es eine Zukunftsperspektive, die Deutsche und Hereros und Namas zusammen bringt. Also Menschen in Namibia und Menschen in Deutschland zusammen bringt. Über diese Themen haben wir geredet. Es ist also nicht einfach eine Erklärung der evangelischen Kirchen, die ich zur Kenntnis genommen habe, sondern umgekehrt auch ein Beziehungspunkt, bei dem wir auch mit den Menschen in Namibia darüber sprechen müssen, wie wir über die Perspektive hinaus ein Zukunftsvertrag entwickeln. Damit es sich nicht am Ende nur um eine juristische Formel oder ein Lippenbekenntnis handelt. 

domradio.de: Warum kommt die Entschuldigung erst 100 Jahre später?

Ramelow: Es ist bedauerlich. Ich bin ja als Jugendlicher in Bremen damit aufgewachsen. Am Bahnhof gab es einen riesigen Elefanten. Dieser Elefant war das Wahrzeichen des Kolonialismus und des Reichtums der deutschen Häfen, also der Hansestädte, das hat ja auch etwas mit Kolonialismus zutun. Und die Kolonialmächte haben alle zusammen den afrikanischen Kontinent ausgeraubt. Es ist also ein langer Prozess bis man versteht, dass Kolonialismus das Hauptverbrechen ist, über das wir sprechen müssen und der Massenmord, der Völkermord an Hereros und Namas zu der Zeit in der es befohlen worden ist, sogar geltendes Völkerrecht war. Also kein Menschenrecht, weil universelle Menschenrechte zu dieser Zeit noch keine Definition hatten. Die Hereros und die Namas galten gar nicht als Menschen. Überall auf der Welt, also nehmen wir mal Lateinamerika und die Besiedlung von Lateinamerika, haben sich auch Kirchen einspannen lassen in die Ermordung einfach Einheimischen, wenn die nicht gleich bereit waren, das Kreuz als ihre Religion anzunehmen. Wenn es denn 100 Jahre gedauert hat, dann ist das zwar lange, aber es ist nie zu spät die Schuld auf sich zu nehmen und die Hand zu reichen. 

domradio.de: Aktuell verhandelt auch die Bundesregierung mit der namibischen Regierung. Eine Entschuldigung gibt es, wird es auch Entschädigungen geben? 

Ramelow: Ich habe den Eindruck, dass Herr Polenz die Verhandlungen sehr gut führt. Es geht nicht um Reparationen im juristischen Sinne sondern um materielle Hilfe, damit ein Zukunftsvertrag möglich ist. Ich wünsche mir, dass man Geld in die Hand nimmt, damit aus der Entschuldigung eine Versöhnungsarbeit entstehen kann.

Das Interview führte Uta Vorbrodt.


Quelle:
epd