Reformationsbotschafterin der EKD Käßmann zieht positive Halbzeitbilanz des Jubiläumsjahres

"In konfessioneller Differenz liegt kreative Kraft"

Die Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Margot Käßmann, zieht im Interview eine positive Halbzeitbilanz des Jubiläumsjahres.

Margot Käßmann / © Meiko Herrmann (KNA)
Margot Käßmann / © Meiko Herrmann ( KNA )

epd: Im Festjahr zum Reformationsjubiläum ist Ende April Halbzeit. Welche Zwischenbilanz zieht die Botschafterin?

 

Margot Käßmann (Reformationsbotschafterin der Evangelischen Kirche in Deutschland): Wir sind sehr gut ins Jubiläumsjahr gestartet: mit dem Eröffnungsgottesdienst, mit der Verleihung der Luthermedaille an Kardinal Lehmann als ökumenisches Symbol, mit dem Empfang durch den Bundespräsidenten. Seitdem fährt auch der Reformations-Truck durch Europa. Zwei Punkte werden so schon jetzt klar: Dieses Mal wird international und nicht deutschnational gefeiert. Nicht konfessionalistisch, sondern ökumenisch.

 

epd: Im ersten Halbjahr standen viele Ereignisse im Zeichen der evangelisch-katholischen Ökumene - eine Pilgerreise der Spitzen von EKD und Bischofskonferenz ins Heilige Land, der Reformationstag in Lund mit Papst und Lutherischem Weltbund, der Versöhnungsgottesdienst in Hildesheim. Es gibt erste Stimmen von Menschen, denen das sehr viel erscheint.

Käßmann: Es wird darum gehen, die richtige Balance zu finden zwischen ökumenischer Ausrichtung einerseits und klarer evangelischer Grundhaltung andererseits. Die bleibenden Differenzen mit der römisch-katholischen Kirche können nicht geleugnet werden: Das Papsttum, die Marienverehrung, das Verständnis von Kirche, Amt und Abendmahl - das bleiben Differenzen.

epd: Empfinden Sie das als Defizit?

Käßmann: Ich persönlich finde das gar nicht defizitär, denn in der konfessionellen Differenz liegt auch eine kreative Kraft. Eine Einheitskirche fände ich genauso langweilig wie eine Einheitspartei.

epd: Als Reformationsbotschafterin haben Sie einen männlichen kleinen Kollegen erhalten: Der Playmobil-Luther hat eine riesige Stückzahl erreicht. Lassen sich darauf Rückschlüsse auf die Popularität des Themas Reformation schließen?

Käßmann: Soziologen sagen: Wenn eine Figur zur Playmobil-Figur wird, dann ist sie in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Das war so bei der ersten Playmobil-Ärztin, bei der ersten schwarzen Playmobil-Figur. Insofern ist auch Luther in der Mitte der Gesellschaft angekommen.

epd: Die Vielzahl von Luther-Devotionalien wird aber auch teils spöttisch, teils verächtlich kommentiert - die Palette reicht von der Luther-Quietschente über Luthersocken bis zu Luthertomaten. Sind solche Produkte mit dem Reformationsjubiläum vereinbar?

Käßmann: Ich könnte jetzt die Lippen zusammenkneifen und sagen: Nein, das ist mit dem Ernst des Protestantismus nicht zu vereinbaren. Aber die Kritik kommt ja gerade von solchen Leuten, die ansonsten sagen, Evangelische seien humorlos. Martin Luther selbst hat gesagt: Das Evangelium kann nur mit Humor gepredigt werden.

epd: Wir erleben derzeit eine Politisierung in der Mehrheitsgesellschaft und öffentliche Zeichen gegen Rechtspopulismus - etwa die Bewegung «Pulse of Europe». Sehen Sie, dass da eine neue zivilgesellschaftliche Kraft erwächst wie in den 80er Jahren die Friedensbewegung?

Käßmann: Ich wünsche mir, dass das eine große zivilgesellschaftliche Kraft wird, weil deutlich ist: Es reicht nicht, in den sozialen Netzwerken zu diskutieren. Am Ende macht es Eindruck, die eigene Meinung öffentlich zu demonstrieren. Ich erlebe gerade in Gesprächen mit Trump-Gegnern in den USA, dass die alten Veteranen der Bürgerrechts- und Antikriegsbewegung jetzt helfen, zivilen Widerstand neu aufzubauen. Vielleicht ist das bei uns ja ähnlich.

epd: Parallel zum Berliner Kirchentag sind insgesamt sechs Kirchentage auf dem Weg in Mitteldeutschland geplant. War es eine gute Idee, diese Veranstaltungen zeitgleich zu organisieren?

Käßmann: Das ist eine enorme logistische Herausforderung. Das Ziel ist, in ganz Mitteldeutschland das Reformationsjubiläum zu feiern und die Menschen auf den Weg zu bringen, am 28. Mai nach Wittenberg zu kommen. Der Gottesdienst auf der großen Elbwiese vor der Lutherstadt ist das zentrale Fest des Jubiläumsjahres. Ich wünsche mir, dass die Leute sagen: Das ist ein 500-Jahres-Ereignis, das kommt nicht wieder.

Es gibt eigentlich gar keine Entschuldigung, als evangelische Christin oder als evangelischer Christ am 28. Mai nicht dabei zu sein.

epd: Allein der riesige Aufwand für den Festgottesdienst in Wittenberg weckt große Erwartungen. Was erwarten Sie?

Käßmann: Ich wünsche mir, dass dieses Jahr und auch der Festgottesdienst dazu beitragen, dass Christinnen und Christen ermutigt sind zum Aufbruch. Wir müssen aus der Grundstimmung herauskommen: Wir werden weniger, wir werden ärmer, wir werden älter.

Die Zeiten verändern sich, das ist klar, aber wir werden relevant Kirche sein in diesem Land. Dazu müssen wir uns gegenseitig ermutigen. Wir erinnern 2017 an eine Bewegung, die vor 500 Jahren großen Mut zur Erneuerung hatte.

epd: Was kommt nach dem Reformationstag, wenn die Euphorie des Jubiläums vorbei ist? Es bleiben ja weniger schöne Themen wie Demografie und Mitgliederschwund oder auch eine drohende Verknappung der Kirchensteuern.

Käßmann: Ich hoffe, dass das Reformationsjubiläumsjahr die Grundstimmung verändert. Wir werden Besuch bekommen von Christinnen und Christen aus der ganzen Welt, die ganz andere Sorgen haben. Das sollte uns in Deutschland aufrütteln, nicht so viel Angst vor der Zukunft zu haben, sondern zu sagen: Wir werden diese Zukunft als Kirche mutig gestalten.

epd: Wann war das Jubiläumsjahr ein gutes Jahr?

Käßmann: Wenn wir zurückblicken können und sagen: Wir haben die Chance genutzt und in unserem Land sehr bewusst gemacht, was Reformation bedeutet. Zweitens: Wenn historisch gesehen wird, dass das Jubiläum nicht wie in der Vergangenheit nationalistisch-konfessionalistisch, sondern weltoffen und international und ökumenisch gefeiert wurde. Und wenn es drittens eine ermutigte Aufbruchsstimmung erzeugt hat, um aus dem Lamento über die Lage hinauszukommen, in einen Mut zum evangelischen Christsein im 21. Jahrhundert.

epd: Kann sich ein solcher Aufbruch auch an Zahlen festmachen lassen - an Kircheneintritten oder Taufen?

Käßmann: Wenn sich Menschen durch das Jubiläum ermutigt fühlten, in die Kirche einzutreten oder ihre Kinder taufen zu lassen, biblische Geschichten neu zu erzählen und sich auf die Traditionen und Rituale, die uns tragen und halten, zu besinnen in einer Zeit, die unter dem ständigen Druck von Innovation und Mobilität steht, wäre ich sehr glücklich.

epd: Ihr Mandat als Botschafterin für das Reformationsjubiläum läuft 2018 aus. Was kommt für Sie danach?

Käßmann: Für mich kommt danach der Ruhestand. Mit Abstrichen bei der Rente ist das mit 60 möglich. Ich selbst werde mich ab Mai 2018 für den Rest des Jahres zurückziehen und in aller Ruhe überlegen, was ich danach mache.

Das Interview führte Thomas Schiller.


Quelle:
epd