Ausstellung zeigt Personenkult um Martin Luther

Der Zahnstocher, der alles heilt

Um Luther entwickelte sich schon zu Lebzeiten ein Kult, der durch immer neue Legenden genährt wurde. Wichtig dabei: Holz, Stoff und ein Stück Mauer. 

Autor/in:
Andreas Öhler
Martin-Luther-Statue mit Augenbinde / © Alexander Baumbach (epd)
Martin-Luther-Statue mit Augenbinde / © Alexander Baumbach ( epd )

Martin Luther wetterte entschieden gegen die katholische Reliquien-Verehrung. Jeder Personenkult war ihm zuwider. Doch es half nichts. Schon zu Lebzeiten wurde der Reformator selbst quasi sakral überhöht, obwohl er in seinen Predigten dagegen anredete und mit Traktaten gegensteuerte. Allein Christus sollte im Mittelpunkt der Anbetung stehen - und nicht sein "Knecht".

Das Berliner Stadtmuseum zeigt ab Samstag im Nikolaikirchen-Museum die kleine Ausstellung "Sankt Luther - Reformator zwischen Inszenierung und Marketing". Zu sehen sind bis zum 28. Mai diverse Luther-Kultgegenstände. Zu den skurrilsten Exponaten gehört wohl ein Stück Wandputz aus dem Studierzimmer der Wartburg, von der Stelle, an der der Legenda nach das Tintenfass zerschellte, mit dem Doktor Martinus im Winter 1521/1522 nach dem Teufel warf.  

Zwischen Stoff und Holz 

Oder: ein Holzsplitter aus dem Bettgestell der Veste Coburg, auf dem der Reformator geschlafen haben soll. Nach dem Volksglaube heilt ein Zahnstocher aus diesem Holz alles Weh. Auch ein biefmarkengroßes Stück Stoff aus Luthers Mantel, das als "Berührungsreliquie" verehrt wurde, ist zu sehen.

Gleichwohl wusste der Reformator nur zu gut, dass die Verbreitung seiner Schriften nicht ohne die Vermarktung des Autors funktioniert. "Es ist keine Mär, dass man Luther, sofort als er von der Wartburg herunter geritten kam, die kaum getrocknete Bibelübersetzung aus der Hand riss und in den Druck gab", erläutert Kurator Albrecht Henkys. An seiner Seite habe der Reformator zudem eine Übersetzermanufaktur gehabt, die ihm arbeitsteilend beisprang.

Der Andy Warhol Wittenbergs

Und er hatte Lucas Cranach, den Andy Warhol Wittenbergs. Mit seinem Sohn produzierte er in seiner berühmten Malerwerkstatt Lutherporträts in Serie. Oft malten mehrere Gesellen an einem Bild, damit es schneller ging. Verkauft wurde schon bald in alle Welt. "Bei der Verbreitung dieser neuen Ware durften zugleich die alten Bedürfnisse der Kunden nicht außer Acht gelassen werden", so Henkys. Die Ikonographie des Mittelalters konnte nicht einfach aus den Köpfen getilgt werden.

Ein Beispiel: Verbrieft ist eine Beschwerde des Berliner Propstes Georg Buchholzer 1566 über den Brandenburger Kurfürst Joachim II., der bei der Einführung der Reformation so viele altkirchliche Gebräuche beibehalten habe. Luther beschwichtigte: "Und hat euer Churfürst an einer Chorkappe oder Chorrock nicht genug, die ihr anzieht, so zieht derer drei an. All diese Stücke geben oder nehmen dem Evangelio gar nichts."

Ein veränderliches Lutherbild 

Dass sich Martin Luther auch den Fürsten andiente, um seine Lehre hoffähig zu machen, habe zur Folge gehabt, so die Co-Kuratorin Mirjam Koring, dass die Landesherren und später der Staat den Rebell aus Wittenberg nach Belieben für propagandistische Zwecke vereinnahmten.
Jeder Geburts-und Todestag sei für polit-religiöse Feiern verschiedenster ideologischer Ausrichtung genutzt worden.

Dabei wurde jedes Mal ein anderes Lutherbild inszeniert: Unter den preußisch-protestantischen Hohenzollern wurde Luther zum deutschen Heros, dann nach 1870 zum visionären Reichseiniger stilisiert. In den zwei Weltkriegen machte man ihn zur Symbolfigur des Durchhaltewillens, wie ein zeitgenössisches Plakat von 1917 in der Schau zeigt. Selbst das gegenwärtige Reformationsgedenken ist nicht frei von Luther-Devotionalien. Der Reformator als Playmobil-Figur zählt - wenn auch ironisch gebrochen - dazu.
 


Quelle:
KNA