Ex-TV-Pfarrer Jürgen Fliege wird 70

Bei Trost bleiben

Seit Jahrzehnten kämmt Jürgen Fliege kirchliche Traditionen gegen den Strich. Seine Auseinandersetzungen mit der Amtskirche sind legendär. Doch inzwischen ist der streitbare Theologe, Talkshowmoderator und Autor gelassener geworden.

Autor/in:
Sophie Rohrmeier
Prosit zum Geburtstag: Jürgen Fliege / © Ursula Düren (dpa)
Prosit zum Geburtstag: Jürgen Fliege / © Ursula Düren ( dpa )

Wenn die Menschen auf der Straße ihn erkennen, so erzählt Jürgen Fliege, dann fragen sie nicht nach einem Autogramm. Sie fragen, welchen Arzt er empfiehlt. Er, sagt der frühere TV-Pfarrer, sei der Tröster. Sein 70. Geburtstag an diesem Donnerstag steht an, und wieder einmal begibt sich der Pastor mit angeknackstem Ruf in das Feld zwischen Provokation und ewigem Missverständnis. Denn Jürgen Fliege will noch einmal heilen - und zwar besser als die Kirche.

Deshalb hat er gerade noch einmal ein Buch geschrieben. "Beten: Anleitungen für Dein Gespräch mit Gott". An diesem Buch soll die Beziehung der Betenden zu Gott gesunden - und damit am Rat eines Mannes, der sich schon oft mit der Kirche angelegt hat. Seine ARD-Talk-Show "Fliege" hatte fast zwölf Jahre lang die Nachmittage der Zuschauer geprägt. Genauso lange ist es nun her, dass sie abgesetzt wurde, weil es nicht mehr genug von diesen Zuschauern gab.

Seelsorge oder Schwafelei, Gefühl oder Geschäft. Ganz sicher konnten sich diese Zuschauer nie sein bei den Auftritten des evangelischen Pfarrers, der mit seiner Frau in Feldafing in der Nähe des Starnberger Sees wohnt - wenn er nicht, wie mehrmals im Jahr, in seinem Haus auf La Palma ist. Leisten kann er sich das, er bekommt seine Pfarrerspension auf Lebenszeit.

Grenzgänger

Bisweilen aber trieb Fliege es bis an die Grenze dessen, was seine Dienstherren aushalten mochten. Freche Sätze und fragwürdige Produkte brachten ihm 2011 ein Disziplinarverfahren ein. Die Evangelische Kirche im Rheinland hegte den Verdacht, Fliege habe gegen seine Amtspflichten verstoßen. Gegenüber einem jungen Brautpaar soll er gesagt haben, Gott und die Kirche seien "erst mal scheißegal", es komme auf die Seele an. Und er vermarktete eine "Fliege-Essenz". Fast 40 Euro zuzüglich Versandkosten kosteten die 95 Milliliter Flüssigkeit, die er "mit Trost und Kraft" aufgeladen haben wollte.

Nach zwei Jahren war das Verfahren beendet, Fliege sagt: ohne Schuldspruch. Die Kirche sagt: Wenn er das so meint. Weiter will sie sich dazu nicht äußern. "Es würde mich treffen, wenn es irgendwann so weit käme, dass ich aus der Kirche geschmissen würde", sagt Fliege heute. "Ich bin ein Kirchenmann von A bis Z, aber ich bin links, der Linksaußen Fliege."

Schlagermusik und Handauflegen

Ein paar kurzlebige Versuche mit Nischensendern folgten auf das Ende seiner ARD-Show und ziemlich viel Stille um ihn herum, doch gerade hat der Pietist wieder ein Plätzchen gefunden. Für das Deutsche Musik Fernsehen besucht er Dorfkirchen im Raum Berlin. Schlagermusik und Pfarrer haben die Heilsversprechen gemeinsam, die Liebe, den Himmel, die Erlösung.

Apropos, zurück zur "Fliege-Essenz". Sie habe ihre Kraft durch Handauflegen bekommen, warb der Pfarrer damals. Sein Buch über das Beten soll ein Plädoyer sein für das Gespräch mit Gott. "Aber bitte mit den richtigen Erwartungen", sagt Fliege. Ein "Ave Maria" in der Kirche lenke ab von den eigenen Worten, ein Gebet für den Frieden sei naiv.

Gott, sagt Fliege, werde nicht Syrien befrieden, Mehl zu den Hungernden schicken oder Krebs verschwinden lassen. "Heilen ist elementar - aber im Sinne von Jesus. Ich muss mich fragen: Kann ich Handauflegen?" Fliege weiß, dass aufgeklärten Menschen da der Atem stockt; dass sie an Esoterik und Scharlatanerie denken. Und er erklärt: Wenn er seine Hand in liebevoller Zuwendung einem anderen auflege, spüre dieser eine andere Energie als beim normalen Handschlag in der Straßenbahn. Um diese Bedeutung gehe es ihm.

Die Sektenexpertin Ursula Caberta sagte über ihn einmal, er sei zum Esoteriker mutiert. Für Fliege ist das ein Kampfbegriff, kein Missverständnis. Er zitiert den verstorbenen Bundespräsidenten Johannes Rau: Die Sekten seien die Sünden der Kirchen. Er wandle das ab, sagt Fliege, Esoterik sei die Sünde der Kirche. "Wo die Kirchen nicht hingehen, keine Zeremonie bieten, kein Sich-auf-den-Boden-Werfen wie Jesus, da fangen die Leute an zu spinnen." In diese Lücken will Fliege. Um die Menschen bei Trost zu halten.


Quelle:
dpa