Große Programmvielfalt beim Evangelischen Kirchentag

Liberaler Protestantismus als roter Faden

Unter dem Motto "Du siehst mich" haben die Organisatoren in Berlin ihr Programm für den 36. Evangelischen Kirchentag vorgestellt. Der Journalist Benjamin Lassiwe war dabei und sieht vor allem eine große Programmvielfalt.

Programm für evangelischen Kirchentag vorgestellt / © Jürgen Blume (epd)
Programm für evangelischen Kirchentag vorgestellt / © Jürgen Blume ( epd )

domradio.de: Was ist denn mit dem Motto gemeint?

Benjamin Lassiwe (Journalist): "Du siehst mich" ist eine Losung des Kirchentags, die aus dem 1. Buch Mose stammt. Kirchentagspräsidentin Christina Aus der Au - eine Schweizer Theologieprofessorin - hat das heute auf der Pressekonferenz in Berlin so erläutert: Mit dem Motto möchte man zeigen, dass man einander wahrnehmen und miteinander ins Gespräch kommen möchte und auf den Dialog setzt. 

Der Kirchentag sagt: Die Welt ist in der Gefahr, gespalten zu werden. Der Dialog ist die Grundhaltung des Kirchentags. Man will die Gesellschaft weiter zusammen halten, man will sich über Themen verständigen, man möchte die Konfrontation, die man mit Nationalismen, mit der neurechten Bewegung und Fake-News hat, ausgleichen.

domradio.de: Und das versucht man ja auf ganz unterschiedliche Weise. Wenn man sich im Internet mal das Programm anguckt, sieht man, dass alles geboten wird. Gibt es denn auch so etwas wie einen roten Faden?

Lassiwe: Der rote Faden ist sicherlich das, was Frau Aus der Au und die Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär heute formuliert haben. Dieser Kirchentag wird im Vorfeld einer wichtigen Bundestagswahl zeigen, wie stark die Kräfte eines liberalen Protestantismus sind. Das heißt: Der Kirchentag setzt bewusst auf Vielfalt und auf ein 576 Seiten-starkes Programmbuch, aus dem sich dann jeder Teilnehmer das herauspicken kann, was ihn interessiert. Das ist ja schon seit vielen Jahren das Erfolgsrezept einer derartigen Großveranstaltung.

Im Zentrum stehen - wie in den vergangenen Jahren auch -  Themen wie der Friede in der Welt und der Umgang mit Flüchtlingen und Mitmenschlichkeit. In diesem Jahr steht auch ganz speziell das Reformationsjubiläum im Fokus, das 2017 begangen wird. Deswegen wird der Abschlussgottesdient dieses Kirchentags nicht in Berlin stattfinden, sondern am historischen Ort: der Lutherstadt Wittenberg.

domradio.de: Der Abschlussgottesdienst wird dann am 28. Mai in der Lutherstadt Wittenberg gefeiert. Ist das nicht kompliziert, die ganzen Kirchentagsbesucher von Berlin nach Wittenberg zu lotsen?

Lassiwe: Es gibt ja Präzedenzfälle, bei denen die Entfernung zwar nicht ganz so groß war, aber es dafür von der Teilnehmerzahl deutlich größer war. Ich denke da an die Messen bei den Papstbesuchen in Deutschland. Wenn man sich an den Papstbesuch im Rheinland erinnert, als die Menschen nachts zum Marienfeld in Köln herausfahren mussten, dann hat man eine ungefähre Vorstellung davon, welche logistischen Dimensionen jetzt beim Kirchentag erreicht werden müssen - nur das die Fahrtstrecken etwas länger sind.

Die Kirchentagsverantwortlichen setzen ganz stark auf die Deutsche Bahn, die die Strecke Berlin-Leipzig sperren wird und stattdessen im 10-Minutentakt Sonderzüge nach Wittenberg fahren lässt. Es gibt auch viele Gemeinden und Reisegruppen, die mit dem eigenen Auto-Bus anreisen werden.

domradio.de: Wie prominent ist das Thema Ökumene besetzt?

Lassiwe: Das Thema hat einige spektakuläre Gäste, die da zum Kirchentag kommen werden. Das gilt für den Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, der auch das Oberhaupt der weltweiten anglikanischen Kirche ist. Er ist zum ersten Mal im 21. Jahrhundert bei einem Kirchentag zu Gast.

Daneben gibt es zahlreiche Diskussionsveranstaltungen zum Reformationsjubiläum, zur Auswirkung der Reformation auf die Ökumene – da ist dann der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Marx, beteiligt. Und dann wird etwas aufgegriffen, was eine Premiere hatte beim ökumenischen Kirchentag in München – nämlich ein Gottesdienst mit der Artoklasia, der orthodoxen Brotsegnung, die dazu führt, dass tatsächlich katholische, evangelische und orthodoxe Christen im Rahmen eines Gottesdienstes gesegnetes Brot gemeinsam essen können.

domradio.de: Ein Thema, das heute auch eine wichtige Rolle spielte, ist, dass es beim Evangelischen Kirchentag auch eine Podiumsdiskussion mit einer Politikerin der rechtspopulistischen AfD geben wird. Das hat für viel Kritik gesorgt. Was sagen denn die Organisatoren dazu?

Lassiwe: Sie sagen, dass man mit der AfD reden muss -  in einem gewissen Maße. Die Kirchentagspräsidentin sagte vorhin, es sei nicht sonderlich christlich zu sagen, dass es da eine Gruppe Menschen gibt, mit denen wir gar nicht reden. Sie sagt, dass die Kirchentagsleitung keine Angst hat, sich auf der einen Veranstaltung mit dem Titel "Christen in der AfD" auseinanderzusetzen. Das muss man sich so vorstellen: Da gibt es eine Podiumsrunde, bei der Anette Schultner, die Bundesprecherin von "Christen in der AfD" auf Markus Dröge, den evangelischen Bischof von Berlin und die Juristin Diane Bednarz trifft.

Da wird es dann um die Frage gehen: kann man Christ und in der AfD sein? Dadurch hat sich der Kirchentag anders positioniert als es der Katholikentag im vergangenen Jahr in Leipzig tat. Da war ja die Ansage, AfD-Politiker auf keinem Podium zuzulassen.

Das Gespräch führte Heike Sicconi.


Quelle:
DR