Kirchenmusik als ökumenische Brücke

Schönheit der Ordnung und des Gesetzes

Kirchenmusik verbindet in der Ökumene, da ist sich Silvius von Kessel sicher. Im domradio.de-Interview spricht Erfurts Domorganist über Martin Luther, die Kraft der Kirchenmusik und die Entwicklung der Dommusik in Erfurt nach der Wiedervereinigung.

Prof. Silvius von Kessel / © Alexander Burzik, Weimar (privat)
Prof. Silvius von Kessel / © Alexander Burzik, Weimar ( privat )

In den kommenden zwölf Monaten begehen die evangelischen Christen das Reformationsjubiläum. Kirchenmusik könnte dabei zu einer ökumenischen Brücke werden, meint Silvius von Kessel, "weil Luther die Musik sehr geliebt und die Reformation die Musik beflügelt hat". Im "Lutherland" Thüringen muss sich von Kessel in diesem Jahr intensiv damit auseinander setzen. Vor allem die Pflege der Musik Johann Sebastian Bachs spielt dabei eine besondere Rolle. Das zeige sich in seiner ganzen Figur und seinen ganzen Schaffen, so von Kessel, der auch Vorsitzender der Thüringer Bach-Wochen ist. Dass Bach evangelisch war, spiele heute keine Rolle mehr. "Genauso spielen die evangelischen Kollegen aber auch katholische Komponisten wie Messiaen." Ganz persönlich ist von Kessel fasziniert von der Bachschen Musik, weil er dort die "Schönheit der Ordnung und die Schönheit des Gesetzes und damit auch der Schöpfung" wieder erkennt. "Ordnung ist etwas Schönes im guten Sinne und nicht etwas Spießiges." Auf dieser Grundlage dürfe es dann gerne, so wie in der Musik von Bach zu finden auch etwas "Bühnennebel" (Unordnung) geben.

Lateinische Sprache als universale Ergänzung

Seit 1994 ist Silvius von Kessel Domorganist in Erfurt. Damals habe er bereits ein großes Erbe angetreten, denn die Kirchenmusik, insbesondere der Orgelbau, in der DDR-Zeit sei von Qualität geprägt gewesen. Heute hingegen mache sich ein internationaler Einfluss deutlich, durch ihn selbst vor allem ein französischer. Von Kessel hatte für mehrere Jahre in Frankreich studiert, unter anderem bei Olivier Latry, dem Titularorganisten der Pariser Kathedrale Notre-Dame. Als seine Aufgabe an der Erfurter Domkirche versteht er neben die Pflege der Tradition und der Liturgie. Insbesondere freut er sich über die Rückgewinnung der lateinischen Sprache, die aber nicht in Konkurrenz zum Deutschen stehe, sondern als universale Ergänzung so wie das Englische in der Alltagssprache. "Die ganze Welt spricht Englisch und wir schaffen das Latein ab. Das kann es ja nicht sein," so von Kessel. Einmal im Monat wird eine der sonntäglichen Messfeiern im Erfurter Dom in lateinischer Sprache gefeiert.

Den Himmel offen halten

In den 22 Jahren seiner Tätigkeit hat von Kessel Erfurt lieben gelernt. Er fühle sich herzlich aufgenommen und sehr wohl. Das zeige sich insbesondere in vielen positiven Rückmeldungen auf die Konzerte und Aufführungen in der Kathedrale. Dabei spiele es auch keine Rolle, dass viele der Teilnehmer nicht getauft und nicht gläubig sind. Gerade diese seien vielmehr dankbar, dass dadurch ein Stück "abendländische Kultur" gepflegt werde. Das will von Kessel aber nicht im Sinne von AfD und Pegida verstanden wissen. Vielmehr sehe er es wie Alt-Bischof Joachim Wanke. "Wir halten den Menschen im positiven Sinne etwas vor, im Sinne von: Wir halten den Himmel offen." Seit zwei Jahren ist Ulrich Neymeyr als Nachfolger von Wanke neuer Bischof von Erfurt. Neymeyr sei - ebenso wie sein Vorgänger - zurückhaltend mit Einmischungen in die Kirchenmusik, berichtet von Kessel. "Wir merken aber, dass bei ihm Qualität gewürdigt wird. Es lohnt, sich auch in Details anzustrengen."


Erfurter Dom und Severikirche / © Roger Hagmann (KNA)
Erfurter Dom und Severikirche / © Roger Hagmann ( KNA )