Charlotte Knobloch hat am 3. Oktober mehrfach Grund zum Feiern

Mit doppelter Freude ins Jahr 5777

Der 3. Oktober ist für die etwas mehr als 100.000 Juden in Deutschland in diesem Jahr ein ganz besonderer Tag. Warum und wie sie ihn begehen, erläutert Charlotte Knobloch im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur.

Charlotte Knobloch / © Peter Kneffel (dpa)
Charlotte Knobloch / © Peter Kneffel ( dpa )

KNA: Frau Präsidentin, am 3. Oktober fällt das jüdische Neujahrsfest auf den Tag der Deutschen Einheit. Was bedeutet diese kalendarische Rarität für Sie als deutsche Jüdin?

Charlotte Knobloch (Präsidentin der Jüdischen Kultusgemeinde München und Oberbayern): Das ist ein sehr schönes Novum, das hatten wir noch nicht, soweit ich mich erinnern kann. Ich bin meiner Heimat sehr verbunden, was nicht immer so war, da bitte ich um Verständnis, aber heute kann ich das aus vollstem Herzen sagen. Wenn so ein großer Feiertag wie der Tag der deutschen Wiedervereinigung, für mich ein Freudenfest, mit dem jüdischen Neujahrsfest zusammenfällt, dann freut mich das sehr. Kann es ein schöneres Zeichen für unser Miteinander geben? Die deutschen Juden sind fest verwurzelter Teil unseres Landes. Die Verbundenheit mit der Bundesrepublik ist sehr groß. Der Wandel, den dieses Land seit 1945 vollzogen hat, ist einzigartig. Deutschland ist heute weltweit Vorbild für freiheitliche Demokratie, menschliche Werte und eine respektvolle, friedliche Gesellschaft. Ich bin leidenschaftliche Verfechterin dieser Errungenschaften und appelliere an die jungen Menschen, diese Werte zu verteidigen. Gerade in diesen Zeiten, da sich unsere Werte bewähren und wir uns als wehrhafte Demokraten beweisen müssen.

KNA: Wie werden Sie feiern?

Knobloch: Nachdem das ein hoher religiöser Feiertag für uns ist, werde ich mehr als den halben Tag in der Synagoge sein wie die anderen Gemeindemitglieder auch. Schön, dass durch den staatlichen Feiertag auch die kommen können, die sonst arbeiten müssten.

KNA: Wird die deutsche Einheit in der Synagoge eine Rolle spielen?

Knobloch: Sicher wird der Rabbiner darauf eingehen.

KNA: Welche Neujahrsbräuche pflegen Sie mit Ihrer Familie?

Knobloch: Das ist bei mir nicht anders als in anderen jüdischen Familien in der ganzen Welt. Wenn sie es sich einteilen können, kommen sogar Verwandte aus Übersee, um diese Tage gemeinsam mit dem Rest der Familie zu verbringen. Zum Neujahrsmahl werden gezielt süße Speisen vorbereitet. So gibt es zum Eingang eine Apfelspalte in Honig getaucht - als Sinnbild dafür, dass das kommende Jahr ein süßes werden möge, also ein gutes, dass sich Dinge, die man sich wünscht, erfüllen.

KNA: Fasst man da auch persönliche Vorsätze?

Knobloch: Die Religion hält uns dazu an, dass wir uns von Neujahr bis zum Versöhnungstag zehn Tage später Gedanken machen: Was ist vergangenes Jahr schief gelaufen, was könnte man besser machen? Wem hat man Unrecht getan? Gelübde, die man eingegangen ist, werden mit diesem Datum hinfällig und können erneuert werden oder eben auch nicht. So ist man nicht auf ewig an etwas gebunden, das man vielleicht einmal aus Unvorsicht oder Emotionalität heraus versprochen hat. Gott erscheint gerade in dieser Zeit als ein verständnisvoller, versöhnlicher Gott.

KNA: Juden treten am 3. Oktober ins Jahr 5777 ein. Was liegt dieser Zeitrechnung zugrunde? Und wieso ist der Termin eigentlich beweglich?

Knobloch: Dieses Jahr ist es ein sehr später Termin, weil in die jüdische Zeitrechnung, die einem Mondkalender folgt, ein zusätzlicher Monat eingefügt wurde, wir sagen dazu Überjahr, das gibt es alle sieben Jahre. Die Jahreszahl erklärt sich aus der Geschichte unserer Religion. Das Jahr 5777 errechnet sich nach unserem heiligen Buch ab dem Tag, an dem Gott die Welt erschaffen hat.

KNA: Heißt das, ein frommer Jude glaubt, die Erde, das Universum ist nicht älter als 6.000 Jahre? Astrophysiker kommen heute mit ihren Messungen ziemlich genau auf ein Alter von 13,8 Milliarden Jahren.

Knobloch (lacht): Da müssen Sie einen sehr frommen Juden fragen, der Ihnen das wahrscheinlich auch begründen kann. Ich halte mich an meine Religion und ihre Gebräuche.

KNA: Weltweit hat sich die christliche Zeitrechnung durchgesetzt. Ist das ein Problem für Juden?

Knobloch: Überhaupt nicht. Nach Zerstörung des zweiten Tempels in Jerusalem durch die Römer wurden die Juden in alle Welt verstreut. Seither sind sie angehalten - das ist ein religiöses Gebot -, sich nach dem Gesetz des jeweiligen Landes zu richten, in dem sie leben.

KNA: Was wünscht sich Charlotte Knobloch persönlich fürs neue Jahr?

Knobloch: In erster Linie Frieden für Israel, Gesundheit für meine Familie und viel Freude. Dass wir weiterhin unsere Demokratie und Freiheit genießen und beschützen. Und dass die Probleme, die wir momentan haben, hoffentlich mit dem endenden Jahr vergehen. Das mag eine Utopie sein, aber wünschen darf man sich das ja.

KNA: Werden Sie noch erleben, dass jüdische Einrichtungen in Deutschland nicht mehr täglich von der Polizei bewacht werden müssen?

Knobloch: Diese Hoffnung hatte ich zu Beginn der 1990er Jahre, als wir begonnen haben, das neue jüdische Gemeindezentrum und die neue Hauptsynagoge in München zu planen. Da waren Sicherheitsvorschriften immer wieder ein Thema. Insgesamt hat es ja fast 20 Jahre gedauert und ich dachte, bis das steht, wird es leichter sein - das Gegenteil war dann leider der Fall. Nein, das werde ich wahrscheinlich nicht mehr erleben. Aber hoffentlich meine Kinder.

Das Interview führte Christoph Renzikowski


Quelle:
KNA