Rheinischer Präses über Integrationspolitik und Europa

"Flüchtlinge müssen sich an Spielregeln halten"

Mit einer Wutrede zum Flüchtlingsthema hat der Präses der evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, zu Beginn der Synode in Bad Neuenahr für Aufsehen gesorgt. Bei domradio.de präzisiert er seine Aussagen.

Manfred Rekowski / © Monika Skolimowska (dpa)
Manfred Rekowski / © Monika Skolimowska ( dpa )

domradio.de: Die evangelische Kirche engagiert sich in der Flüchtlingsarbeit. Angesichts der Herausforderungen meinen immer mehr Menschen, dass es so nicht mehr weitergehen kann. Wie sehen Sie die Gemengelage zurzeit in Deutschland?

Rekowski: Mir war es bei der Diskussion, die jetzt gesellschaftlich und politisch um Obergrenzen und Ähnliches geführt wird, sehr wichtig, deutlich zu machen, den Rahmen etwas weiter zu fassen und zu fragen, was die Ursachen von Flucht sind. Da gibt es Entwicklungen zu beklagen: Die Bekämpfung der Fluchtursachen durch wirksame Entwicklungshilfe ist unterblieben, es wird zu wenig für die Menschen getan, die in Flüchtlingslagern, im Libanon und an anderen Orten leben. Über diese Punkte muss man reden, da muss man etwas tun. Die Frage ist nicht, ob wir helfen oder nicht, sondern die einzige Frage, die sich für Christen stellt, ist, wie und wo wir helfen, und da braucht es wirklich eine große Kraftanstrengung. Das habe ich sehr deutlich gemacht (bei der Rede zu Beginn der Synode, Anmerkung der Redaktion). Übrigens, Wutrede würde ich das nicht nennen. Ich habe Klartext gesprochen, aber wenn es verstanden und gehört wird, dann freut mich das.

domradio.de: Hört sinnvolle Hilfe da auf, wo die Überforderung des Helfenden anfängt oder meinen Sie, dass Deutschland da noch lange nicht angelangt ist?

Rekowski: Ich mache immer sehr deutlich, dass der Satz "wir schaffen das" richtig ist, aber nur ein Aspekt ist. Es muss aber auch deutlich werden, wie wir das konkret schaffen können. Ich will ein paar Punkte nennen, um die es meiner Ansicht nach gehen muss. Die Menschen, die hierher kommen, müssen relativ schnell das Gefühl haben, dass es auch mit ihnen weitergeht. Situationen, die ich persönlich erfahren habe, sind beispielsweise, dass zwischen der Ankunft von Familien mit schulpflichtigen Kindern und deren Einschulung Monate vergehen. Das ist für die Betroffenen katastrophal und natürlich auch für unsere Gesellschaft schwierig. Man hat nicht das Gefühl und die Erfahrung, dass die Aufnahme und das Ankommen gelingen. Auch mit Sprachkursen und Ähnlichem sieht es schwierig aus. Das muss schneller gehen, damit Menschen das Gefühl haben, hier ist Bewegung drin und das System kollabiert nicht. Da braucht es konkrete Dinge. Ich habe auch überaus positive Beispiele mitbekommen in unserem Land, auf die man auch schauen muss. Ich wehre mich auch gegen pauschale Kritik. Man muss sehen, was uns gelingt, und ich habe zum Beispiel in der Düsseldorfer Arbeitsagentur erlebt, wie man sehr klug, sehr intelligent, die Behörden, die mit Flüchtlingen zu tun haben, an einem Ort konzentriert. Ich glaube, "Migration Points" ist die Terminologie. Da wird die Person gesehen, wird wahrgenommen, wird ganzheitlich betreut und alles, vom Rechtsstatus bis hin zur Arbeitserlaubnis, wird da an einem Ort geklärt. Das gibt den Menschen das Gefühl: Ich bin hier und es geht weiter.

Ich glaube, wir brauchen mehr Entwicklungen dieser Art. Es sind nicht nur die staatlichen Behörden, die da etwas leisten müssen. Es ist natürlich auch die Gesellschaft insgesamt gefragt. Ich möchte etwa den Bereich des Arbeitsmarktes nennen. Ich fand es sehr ermutigend, etwa bei dem Jahresempfang der Industrie- und Handelskammer in Wuppertal, wo sehr deutlich appelliert wurde, dass da auch Unternehmen gefragt sind. Ich glaube, wir brauchen einen Kraftakt, damit nicht das Gefühl entsteht, dass das System kollabiert. Ich glaube, insgesamt sind wir sehr leistungsfähig, auch in Relation zu anderen betroffenen Ländern.

domradio.de: Wo ist für Sie der Mittelweg in der Diskussion um die Übergriffe in der Silvesternacht am Kölner Hauptbahnhof, zwischen Populismus und den Zusammenhängen in Bezug auf die Schwierigkeiten der Integration von muslimischen Einwanderern?

Rekowski: Ich bin immer sehr dafür, bei Integration nicht zu sagen, es sei alles "easy". Ich selber wohne in einem Stadtteil mit hohem Migrationsanteil im Bergischen Land und weiß, dass das sehr herausfordernd ist und dass es auch Entwicklungen gibt, die Zeit brauchen. Ich finde, da müssen wir sehr realistisch sein und sagen, das braucht seine Zeit.

Das andere, was ich aber auch sehr deutlich betone, ist, dass Menschen, die in unser Land kommen, sich an die Spielregeln - und es sind ja nicht nur Spielregeln, es sind Werte, Grundwerte - halten. Und das müssen wir auch kommunizieren. Ich halte es für nötig, dass Muslime, die hierher kommen, wahrnehmen - und das geht auch nur durch Begegnung, wie Menschen unterschiedlicher Religion zusammenleben - dass Männer und Frauen nach unseren Werten, unserem christlichen Menschenbild gleichwertig sind und dass es da keine Abwertung, keine Hierarchien gibt. Ich glaube, da müssen wir viele Begegnungsmöglichkeiten, Lernfelder schaffen, damit an der Stelle der gesellschaftliche Zusammenhalt nicht gefährdet wird. Das ist ein sehr hohes Gut.

domradio.de: Die EU ist aus einer Wirtschaftsgemeinschaft, aus einem Freihandelsprojekt zu einer politischen Gemeinschaft geworden. Muss sich Europa noch mehr über seine Werte klar werden? Droht Europa, vielleicht wieder nur noch auf das Wirtschaftliche reduziert zu werden?

Rekowski: Ich habe das ja so zugespitzt formuliert. Es muss sich zeigen, ob Europa mehr ist als ein überdimensionierter Förderverein zur Rettung maroder Banken. Es ist in der Tat die Frage, welche Werte zählen. Wir haben gerade vor einigen Tagen, vor der Landessynode, mit leitenden Geistlichen aus europäischen Nachbarstaaten, aus Ungarn, Tschechien, der Slowakei gesprochen. Das beunruhigt uns schon sehr. Was verbindet uns in Europa? Für welche Werte stehen wir ein? Die Gleichgültigkeit im Blick auf die Gesamtsituation und die Untätigkeit mancher europäischer Staaten ist überhaupt nicht hinnehmbar. Die Bereitschaft, die finanziellen Vorteile durch die EU-Zugehörigkeit mitzunehmen, aber auf der anderen Seite zu sagen, wenn es darum geht, mit dem Flüchtlingsproblem solidarisch umzugehen, sich weg zu ducken, ist nicht akzeptabel. Ich will aber auch selbstkritisch sagen, wir Deutschen waren auch kein gutes Vorbild. Solange sich das Flüchtlingsdrama in Lampedusa und Lesbos ereignete, haben wir europäische Solidarität auch nicht zwingend gelebt.

domradio.de: Wir stehen jetzt am Anfang des Jahres 2016. Wo sehen Sie die wichtigsten Punkte in der Flüchtlingspolitik, wo sich die evangelische Kirche engagieren muss?

Rekowski: Wir haben ja als evangelische Kirche - das gilt für alle Kirchen - ein sehr gutes Netzwerk und sind in den Kommunen vor Ort sehr präsent und verfügen über ganz viele Beziehungen. Wir haben das ja erlebt, bei allem, was wir medial wahrnehmen, dass es Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte, Brandanschläge und Pegida-Demonstrationen gibt. Wir erleben in der Kirche, dass es ganz viele Menschen gibt, die sich ehrenamtlich in der Flüchtlingsarbeit engagieren und das heißt, einen persönlichen Beitrag zum Zusammenhalt und zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft zu leisten. Wir werden sehr darauf achten – und das werden wir auch noch während der Landessynode beschließen - dass wir die Ehrenamtlichen nach Kräften fördern und unterstützen. Denn das ist so eine komplexe Herausforderung, auch wenn man mit den Schicksalen der Menschen, die auf der Flucht sind, konfrontiert wird, dass es der Unterstützung, der Begleitung und der Förderung bedarf, da werden wir einen ganz wichtigen Schwerpunkt setzen.

Das Interview führte Dr. Christian Schlegel.


Quelle:
DR